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Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen. Marcel ProustЧитать онлайн книгу.

Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen - Marcel Proust


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auffallend als zu Bergottes Zeit, denn es verfeinerten sich die moralischen Begriffe in demselben Maße, in dem die Gesellschaft sich korrumpierte, und dann war jetzt das Publikum mehr als bisher über das Privatleben der Schriftsteller auf dem laufenden; an manchen Abenden zeigte man sich im Theater den Autor, den ich in Combray so bewundert hatte, dort in der Loge in einer Gesellschaft, deren Zusammenstellung allein schon ein ungewöhnlich lächerlicher oder peinlicher Kommentar, eine schamlose Verleugnung der These war, die er gerade in seinem letzten Werk verfochten hatte. Was die einen oder andern mir mitteilen konnten, gab mir keinen genaueren Aufschluß über die Güte oder Schlechtigkeit von Bergotte. Mancher, der ihm nahestand, lieferte Beweise für seine Härte, während irgend ein Unbekannter Beispiele seiner Gefühlstiefe anführte, die besonders ergreifend waren, weil sie offenbar hatten geheim bleiben sollen. Seine Frau hatte er grausam behandelt; aber in einem Dorfwirtshaus, in das er einmal übernachten kam, blieb er am Bett eines armen Weibes, das versucht hatte sich zu ertränken, und ließ, als er schließlich, genötigt war abzureisen, dem Wirt eine Menge Geld zurück, damit er die Unglückliche nicht verjage, sondern sich weiter ihrer annähme. Je mehr sich in Bergotte der große Schriftsteller auf Kosten des Mannes mit dem Knebelbart entwickelte, um so tiefer versank sein eigenes Leben in den Strom aller der Leben, die er sich vorstellte, und band ihn wohl kaum noch an tatsächliche Pflichten, die vielmehr ersetzt wurden durch die Pflicht, sich diese andern Leben vorzustellen. Und weil er nun die Gefühle der andern so deutlich sah, als wären es seine eigenen, konnte er bei gelegentlicher Berührung mit einem Unglücklichen, wenigstens vorübergehend, den Standpunkt dieses Leidenden statt seines persönlichen einnehmen, und von diesem Standpunkt aus mußte ihm die Sprache derer, die vor fremdem Schmerz weiter an ihre kleinen Interessen denken, ein Greuel sein. So kam es, daß er rings um sich gerechten Groll und unauslöschliche Dankbarkeit verbreitete.

      Er war vor allem ein Mensch, der eigentlich nichts liebt als bestimmte Bilder und seine Tätigkeit, sie (wie eine Miniatur ins Innere eines Kästchens) in Worte einzufügen und einzumalen. Wenn man ihm irgendeine Kleinigkeit schickte, die ihm Gelegenheit bot, solche Bilder damit zu verknüpfen, zeigte er sich verschwenderisch im Ausdruck seiner Dankbarkeit, während er für ein reiches Geschenk oft nichts Derartiges äußerte. Hätte er sich vor einem Tribunal verteidigen müssen, er würde, ohne es zu wollen, seine Worte nicht nach dem Eindruck, den sie auf den Richter machen könnten, gewählt haben, sondern in Hinblick auf Bilder, die der Richter sicherlich nicht wahrnehmen konnte.

      An jenem Tage, als ich ihn zum ersten Male bei Gilbertes Eltern sah, erzählte ich Bergotte, daß ich vor kurzem die Berma in Phèdre gesehen habe; er sagte, in der Szene, in der sie mit in Schulterhöhe erhobenem Arme stehen bleibt, – gerade einer der Szenen, der man so starken Beifall gespendet hatte –, habe sie mit adliger Kunst Meisterwerke beschworen, die sie vielleicht nie gesehen, eine Hesperide, die auf einer Metope in Olympia diese Geste mache, und auch die schönen Jungfrauen des alten Erechtheion. »Es ist vielleicht eine Eingebung, obwohl ich mir vorstellen kann, daß sie in die Museen geht. Es wäre interessant, das nachzuprüfen (›nachprüfen‹ war eine Lieblingswendung von Bergotte, und viele junge Leute, die ihm nie begegnet waren, hatten sie von ihm übernommen, indem sie durch eine Art Wirkung in die Ferne sprachen wie er).«

      »Sie denken an die Karyatiden?« fragte Swann.

      »Nein, nein,« sagte Bergotte, »außer in der Szene, in der sie der Oenone ihre Leidenschaft bekennt und mit der Hand die Bewegung der Hegeso auf der Stele des Kerameikos macht; es ist eine viel ältere Kunst, die sie wieder belebt. Ich sprach von den Koren des alten Erechtheion, und ich bekenne, daß es vielleicht nichts soweit von der Kunst Racines Entferntes gibt, aber es gibt in Phèdre schon soviel Dinge ... ob nun eins mehr ...? Oh und dann doch! sie ist recht hübsch, die kleine Phädra des sechsten Jahrhunderts, die senkrechte Haltung des Armes, die Locke, die marmorn wirkt, oh doch, ein starkes Stück, das zu erfinden. Darin liegt mehr Antike als in so manchen Büchern, die man heuer ›antikisch‹ nennt.«

      Da Bergotte in einem seiner Bücher eine berühmte Anrufung an die archaischen Statuen gerichtet hatte, waren für mich die Worte, die er jetzt aussprach, sehr klar und gaben mir neuen Anlaß, mich für das Spiel der Berma zu interessieren.

      Ich versuchte, sie in meinem Gedächtnis wiederzusehen so, wie sie in dieser Szene gewesen war, in der sie, wie ich mich erinnerte, den Arm in Schulterhöhe erhoben hatte. Und ich sagte mir: »Das ist die Hesperide von Olympia, das ist die Schwester einer der wunderbaren Beterinnen der Akropolis, das ist adlige Kunst.« Damit aber diese Gedanken mir die Geste der Berma verschönern könnten, hätte Bergotte sie mir vor der Aufführung liefern müssen. Wäre dann diese Haltung der Künstlerin tatsächlich vor mir sichtbar gewesen in dem Augenblick, wo das, was stattfindet, noch die Fülle der Wirklichkeit hat, ich hätte versuchen können, daraus die Idee archaischer Skulptur zu gewinnen. Was ich nun aber von der Berma in dieser Szene bewahrte, war eine nicht mehr zu modifizierende Erinnerung, geringfügig wie ein Bild, dem die tiefen Untergründe des Gegenwärtigen mangeln, in denen man graben und etwas wahrhaft Neues herausholen kann; solch einem Bilde läßt sich wohl nachträglich eine Auslegung aufzwingen, aber nachprüfen läßt sie sich nicht mehr, es fehlt ihr die Möglichkeit der objektiven Sanktion. Um sich an der Unterhaltung zu beteiligen, fragte mich Frau Swann, ob Gilberte daran gedacht habe, mir das zu geben, was Bergotte über Phèdre geschrieben hatte. »Meine Tochter vergißt alles«, fügte sie hinzu. Bergotte lächelte bescheiden und bestand darauf, das seien ein paar ganz unwichtige Seiten. »Aber es ist doch ein entzückendes Ding dieses Heftchen, dieser kleine ›tract‹«, erklärte Frau Swann, um sich als gute Wirtin zu zeigen und glauben zu machen, sie habe die Broschüre gelesen; sie liebte es nicht nur, Bergotte Komplimente zu machen, sondern auch eine Wahl unter dem, was er schrieb, zu treffen, ihm eine Richtung zu geben. Und tatsächlich inspirierte sie ihn, allerdings auf andere Art, als sie glaubte. Jedenfalls gab es zwischen der Eleganz des Salons von Frau Swann und einer ganzen Seite des Werkes von Bergotte starke Beziehungen, und die alten Leute von Heut können den Salon und das Werk abwechselnd eines als Kommentar des anderen benutzen.

      Nun ließ ich mich darauf ein, zu erzählen. Oft fand Bergotte meine Eindrücke nicht richtig, aber er ließ mich reden. Ich sagte, mir habe die grüne Beleuchtung in der Szene, in der Phèdre den Arm hebt, gefallen. »Ah, damit werden Sie dem Dekorationsmaler, der ein großer Künstler ist, Freude machen, ich werde es ihm erzählen, er ist sehr stolz auf diese Beleuchtung. Ich muß allerdings bekennen, daß ich persönlich sie nicht sehr liebe: da schwimmt alles in einer meergrünen Geschichte, die kleine Phèdre wirkt zu sehr wie ein Korallenzweig unten in einem Aquarium. Sie werden einwenden, das hebe die kosmische Bedeutung des Dramas hervor. Das ist wahr. Und doch wäre es besser für ein Stück, das sich bei Neptun abspielt. Ich weiß wohl, Neptuns Rache kommt auch vor. Mein Gott, ich verlange ja nicht, man soll immer nur an Port-Royal denken, aber schließlich ist doch das, was Racine erzählt hat, keine Liebesgeschichte von Seeigeln. Aber mein Freund hat das nun einmal so gewollt, und sehr stark ist es immerhin und im Grunde recht hübsch. Ja, und dann haben Sie es schließlich gern gehabt, Sie verstehen, nicht wahr, wir denken im Grunde darüber gleich. Es ist ein bißchen sinnlos, was er da gemacht hat, nicht wahr, aber schließlich ist es doch sehr klug.« Wenn Bergottes Meinung so der meinen entgegengesetzt war, zwang sie mich doch nicht zum Schweigen, machte mir nicht jede Antwort unmöglich wie die des Herrn von Norpois. Das beweist nicht, daß die Meinungen Bergottes weniger Wert und Gültigkeit hatten als die des Botschafters, im Gegenteil: ein starker Gedanke teilt seinem Widersprecher ein wenig von seiner Kraft mit. Da er teilhat am allgemeinen Wert alles Geistigen, fügt er sich ein, pfropft sich auf dem Geiste dessen, den er widerlegt, er ist mitten unter angrenzenden Gedanken, mit deren Hilfe der Angegriffene nun auch wieder einigen Vorteil gewinnt und den fremden Gedanken vervollständigt und berichtigt; und so wird die schließliche Formulierung in gewisser Weise das Werk der beiden, die disputierten. Nur auf Ideen, die genaugenommen keine sind, Ideen, die keine Anknüpfung, keinen Stützpunkt, keinen brüderlichen Zweig im Geiste des Gegners finden, kann dieser im Kampfe mit lauter Leere nichts antworten. Die Argumente des Herrn von Norpois (in Sachen der Kunst) schlössen jede Replik aus, weil sie ohne Wirklichkeit waren.

      Da Bergotte meine Einwürfe nicht ablehnte, gestand ich ihm, daß Herr von Norpois sie mißachtet habe. »Aber das ist doch ein alter Gimpel,« antwortete er, »er hat auf Sie losgehackt, weil er immer meint, einen Ausgekochten oder


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