Toni der Hüttenwirt Paket 1 – Heimatroman. Friederike von BuchnerЧитать онлайн книгу.
dann nehm i alles zurück! I will nix gesagt haben, außer daß die Petra fesch ausschaut.«
»Wir müssen jetzt gehen, Petra. Toni und ich wollen heute noch rauf zur Berghütte. Wir fahren bis zur Oberländer Alm, dann haben wir immer noch ein gutes Stück Aufstieg vor uns. Meine Handynummer habe ich dir ja gegeben. Wenn du Hilfe brauchst, ruf mich an. In ein paar Stunden bin ich dann bei dir. Das verspreche ich dir, Petra. Außerdem kannst du dich jederzeit an meine Schwiegermutter wenden. Die Meta wird sich um dich kümmern.«
»Des mach i!« bekräftigte die Baumbergerin.
»Sollen wir dir den Bello dalassen, ein paar Tage?« fragte Toni.
»Vielen Dank. Das wird nicht nötig sein. Danke, Anna und Toni, für euer Angebot. Auch noch einmal ein ganz herzliches Danke für eure Hilfe und die schönen Sachen – dir auch Baumbergerin.«
»Das haben wir doch gerne gemacht!«
Anna umarmte Petra und flüsterte ihr ins Ohr.
»Mußt keine Angst haben! Der Christoph tut dir nichts.«
»Wer ist dieser Christoph Unterlercher eigentlich, Anna? Du warst doch so erstaunt, als ich dir den Namen nannte.«
»Das soll er dir selbst erzählen, Petra! Wir müssen jetzt wirklich gehen.«
Als Dankeschön überreichte Petra Anna und Meta einen großen Blumenstrauß, den sie im Garten gepflückt hatte.
Dann stand sie am Weg und schaute nach, bis die drei im Auto verschwunden waren.
Nachdenklich ging sie zurück in die Küche. Etwas unschlüssig stand sie vor dem Herrgottswinkel in der Ecke. Meta Baumberger hatte sie am Nachmittag beiseite genommen und ihr einen Rat gegben. Petra sollte dort eine Kerze anzünden und all ihre Sorgen und Ängste dem Heiland erzählen. Sie wollte auch ihre Träume und Wünsche der himmlischen Macht anvertrauen.
Petra war kein sehr religiöser Mensch, jedenfalls bisher. Doch jetzt im Dirndl war sie eine andere geworden. Schaden kann es ja nicht, dachte sie. Sie holte eine kleine Kerze aus der Vorratskammer. Dort gab es eine ganze Kiste davon. Sie zündete sie an und stellte sie auf. Die Flamme brannte ruhig und hell. Petra empfand das ruhige Brennen der Flamme als sehr tröstlich. Sie faltete die Hände vor ihrer Brust und versuchte, Worte zu finden. Womit sollte sie anfangen? Es gelang ihr nicht richtig. Selbst in diesem Augenblick drängte sich immer wieder das Bild von Christoph Unterlercher in den Vordergrund. So stand sie einfach da und ließ die Gedanken ziehen. Irgendwann wurde sie ganz ruhig.
Danach ging Petra durch das ganze Haus und besah sich alles noch einmal. Sie streichelte die bemalten Schränke und Kommoden in den Zimmern. Sie rückte die Blumen auf dem Empfangstisch ein weiteres Mal zurecht. Sie schlug das dicke alte Buch auf, in dem ihre Großeltern und ihr Vater die Namen und die Anschriften der Pensionsgäste notiert hatten.
Auf die freie Doppelseite schrieb sie.
»Pension Petra Vogelmeier«, und daneben das Datum.
Sie hatte die Wörter in Gänsefüßchen gesetzt. Denn es war ja noch nicht wirklich ihr Hof, auch wenn ihr Herz schon lange davon Besitz ergriffen hatte. Einen Augenblick blieb sie auf dem Stuhl hinter dem Empfangstisch sitzen und ließ den Tag an sich vorbeiziehen. Er war sehr ereignisreich gewesen. Sie war Christoph Unterlercher begegnet und hatte die ersten Spuren ihrer Wurzeln gefunden.
Petra aß zu Abend. Nachdem sie das Geschirr abgewaschen hatte, ging sie hinauf und holte die alte Ledermappe aus der Kommode im Schlafzimmer. Draußen setzte die Dämmerung ein. Das Tal lag schon ganz im Schatten. Es wurde kühl. Die letzten Sonnenstrahlen tauchten den Gipfel des ›Engelssteig‹ in rötliches Abendlicht.
Nachdem Petra auf der Bank vor dem Haus gesessen hatte, bis die Sonne untergegangen war, ging sie hinein. Sie machte Licht in der Küche und setzte sich an den Tisch.
Mit zitternden Händen hielt sie die Bündel Briefe in Händen, die ihr leiblicher Vater, Zacharias Vogelmeier, an ihre Mutter geschrieben hatte, viele, viele Jahre lang. Sicherlich waren es zu Beginn mehr gewesen. Doch dann schrieb er immer im Juli, zum Geburtstag ihrer Mutter, zu Osten und zu Weihnachten. Alle Briefe waren ungeöffnet zurückgekommen, mit dem Vermerk: Annahme verweigert.
Petra löste einen Knoten der Kordel, mit dem ihr Vater die Briefe der einzelnen Jahre zusammengebunden hatte. Sie begann die Briefe zu lesen aus dem Jahr ihrer Geburt.
Sorgfältig, als öffnete sie einen wertvollen Schatz, steckte sie die Klinge eines schmalen Küchenmessers in die Kante des Umschlages und schnitt ihn auf. Sie nahm das Stück gefaltetes Briefpapier heraus und begann zu lesen.
Danach legte sie es zur Seite. So arbeitete sie sich von Brief zu Brief und von Jahrgang zu Jahrgang. Dabei kam ihr Herz ihrem verstorbenen Vater immer näher, und ihre Mutter wurde ihr immer fremder.
Wie mußte ihr Vater gelitten haben!
Wie einsam mußte er gewesen sein!
Er hatte Petras Mutter geliebt, so sehr geliebt. Er hatte sie in diesen Briefen an seinem Leben teilnehmen lassen. Alles hatte er ihr geschrieben, was auf dem Hof geschah, wenn eine Kuh kalbte, ein Pferd eine Kolik hatte, wenn das Wetter gut oder schlecht war. Die kleinste Kleinigkeit hatte er ihr geschrieben. Die Briefe waren viele Seiten lang.
Für Petra war es ein komplettes Tagebuch ihres Vaters. Dies war sein Vermächtnis, mehr als der Hof. Durch all die Briefe erzählte er ihr, wie sie den Hof zu führen hatte, was zu machen war, im Laufe der Jahreszeiten. Er vermittelte ihr die Geschichte des Hofes in den letzten fündundzwanzig Jahren.
Immer wieder wischte sich Petra beim Lesen die Tränen aus den Augen. Sie empfand großes Mitleid mit dem Mann, der so einsam gewesen sein mußte. Der seiner einzigen Liebe, auf seine Art und Weise, ein Leben lang die Treue gehalten hatte. In den letzten Briefen sprach er auch von ihr, von Petra. Er bat Vera, Petras Mutter, um Vermittlung zwischen ihm und Petra. Er machte ihr keine Vorwürfe, daß sie Petra so lange vor ihm verborgen gehalten hatte. Im Gegenteil, er dankte ihr für das Geschenk der Geburt einer so schönen und lieben Tochter. Er hatte in den Jahren, seit er gewußt hatte, daß er Vater war, Vera immer zum Tage von Petras Geburt eine Karte mit Blumen geschickt.
Die Turmuhr schlug Mitternacht, als Petra alles gelesen hatte. Sie ließ die Briefe nach Jahrgängen geordent auf dem Tisch liegen. Schnell zog sie eine dicke Strickjacke an und ging hinaus zu ihrem Auto.
Dabei wäre sie fast mit Christoph Unterlercher zusammengestoßen, der sie seit Stunden unbemerkt durch das Fenster beobachtet hatte. Im letzten Augenblick konnte er sich hinter einem Holzstapel verstecken. Gut, daß ich mein Auto ›Beim Baumberger‹ habe stehen lassen, dachte er.
Er sah ihr nach, wie sie davonfuhr, bis die Rücklichter ihres Autos ganz von der Dunkelheit verschluckt wurden. Dann rannte er hinterher.
Wo wollte sie hin?
Was konnte mitten in der Nacht ihr Ziel sein?
Christoph Unterlercher sah, daß Petra ihren Wagen bei der Kirche geparkt hatte. Die umliegenden Häuser lagen alle im Dunkel.
War sie in der Kirche?
Christoph drückte die Klinke an der Kirchentür herunter. Die Tür war abgeschlossen. Unschlüssig blieb er vor dem Gotteshaus stehen. Er hörte Schritte und erkannte in der Dunkelheit eine Männergestalt.
»Soll ich dir aufschließen, Christoph?«
Christoph erkannte den Pfarrer. Sie wechselten wenige Worte.
»Ich nehme an, daß Petra auf dem Friedhof ist. Ich habe gehört, wir ein Auto abgestellt wurde. Das geschieht selten mitten in der Nacht hier in Waldkogel. Ich saß noch über meiner Predigt für den kommenden Sonntag. Da löschte ich schnell das Licht und schaute hinaus. Eine Frauengestalt ging auf das Friedhofstürchen zu. Ich kenne auch Petras Auto. Doch die Frau sah nicht wie Petra aus, soweit ich es in der Dunkelheit erkennen konnte, Christoph.«
Christoph Unterlercher packte den Pfarrer an beiden Schultern.
»Doch, das war Petra! Danke, Hochwürden!