Mami Staffel 6 – Familienroman. Claudia TorweggeЧитать онлайн книгу.
Maschinen im Keller.«
»Stimmt.« Clemens lachte. »Wenn Rosi kocht, dann geht’s zu wie in einer Großküche. Dazu haben die fünf auch noch einen gesegneten Appetit. Da kommen Mengen zusammen, ich sage Ihnen!«
Nathalie dachte an ihren Ältesten, Dennis, der ihr auch beinahe die Haare vom Kopf futterte. Er war vor wenigen Wochen sechzehn geworden und steckte mitten in der tiefsten Pubertätskrise. Pickel, Konzentrationsstörungen und ständiger Heißhunger waren im Moment seine größten Probleme.
»Wie alt sind Ihre Kinder?« mischte sich Clemens Stimme in Nathalies Überlegungen.
Sie blickte auf, erinnerte sich, wo sie sich befand, und schüttelte die Gedanken mit einer kleinen, anmutig wirkenden Kopfbewegung von sich ab.
»Sechzehn, vierzehn und vier Jahre alt«, antwortete sie mit einem kleinen, zärtlichen Lächeln, das mütterlichen Stolz und Liebe verrieten. »Sandra haben sie ja bereits kennengelernt. Dennis, mein Ältester, sitzt am liebsten den ganzen Tag vor seinem Computer. Und meine Jüngste, Stefanie, nun, die hat eigentlich nur Unsinn im Kopf. Aber sie ist unheimlich süß und furchtbar verschmust.«
Clemens Hochdahls Gesicht hatte sich bei Nathalies Worten verändert. Der entspannte, freundliche Ausdruck war daraus verschwunden und hatte einer ernsten, eher abweisenden Miene Platz gemacht.
»Dann haben Sie ja wirklich alle Hände voll zu tun«, meinte er, während er, plötzlich appetitlos geworden, seine Torte mit der Gabei zerkrümelte. »Ihr Mann ist sicherlich schrecklich stolz auf seine Familie.«
Jetzt war es Nathalie, die abweisend dreinblickte.
»Mein Mann und ich, wir haben uns vor eineinhalb Jahren getrennt.« Ihre Stimme klang spröde. Es fiel ihr immer noch schwer, über das Scheitern ihrer Ehe zu sprechen, aber sie war nicht der Typ, der sich in Lügen flüchtete oder nur halbe Wahrheiten erzählte. Deshalb sprach sie mutig weiter. »Wir haben die Scheidung eingereicht. Ich kümmere mich seitdem alleine um die Kinder.«
Obwohl das Thema alles andere als lustig war, hatte sich Clemens’ Miene wieder entspannt. Ein erleichterter Glanz lag auf seinem Gesicht. Ja, er wirkte beinahe fröhlich.
»Das tut mir leid«, beteuerte er, obwohl dies eine faustdicke Lüge war. Nein, er bedauerte es ganz und gar nicht, daß sich dieser dreifache Familienvater aus dem Staub gemacht hatte. Dieser Dussel wußte gar nicht, was er da aufgegeben hatte! »Sie haben es bestimmt nicht leicht, alleine, mit drei halbwüchsigen Kindern.«
Nathalie wischte die Bemerkung mit einer achtlosen Handbewegung fort.
»Nun, so schlimm ist es nun auch wieder nicht. Die drei sind eigentlich ganz friedlich.« Sie unterbrach sich, um Clemens eingehend zu mustern. »Haben Sie Kinder?«
Diese Frage brannte ihr seit Minuten auf der Zunge.
Clemens schüttelte mit einem bedauernden Schulterheben den Kopf.
»Leider nein.« Er griff erneut nach seiner Kuchengabel und wollte zu essen beginnen, aber als er sah, was er während der Unterhaltung mit seiner Herrentorte angestellt hatte, schob er den Teller angewidert von sich.
»Meine Frau ist vor zehn Jahren verstorben«, fuhr Clemens ohne falsches Pathos fort. »Es ging so schnell, so vollkommen unerwartet, daß ich Monate gebraucht habe, um ihren Tod überhaupt zu begreifen. Und dann habe ich noch mal beinahe drei Jahre benötigt, um mit dem Schmerz fertig zu werden.« Er hob erneut die Schultern. Es war eine ratlose, aber auch abschließende Geste, die andeuten sollte, daß er es aufgegeben hatte, sich über dieses Thema den Kopf zu zerbrechen. »Es ging eben einfach alles zu schnell.«
Nathalie starrte betreten auf die Tischdecke. Sie traute sich nicht, Clemens anzusehen, weil sie fürchtete, er könnte die Freude in ihren Augen sehen, die seine Worte in ihr ausgelöst hatten.
Es war völlig verrückt. Sie kannte diesen Mann erst seit zwei, höchstens drei Stunden und schon war sie bis über beide Ohren in ihn verliebt. So verliebt, daß sie sich – schämen sollte sie sich eigentlich dafür! – sogar darüber freute, daß er Witwer war, anstatt sein herbes Los von Herzen zu bedauern. Sie mußte wirklich komplett – wie drückte Sandra das immer aus? – »durchgeknallt« sein!
»Ah, das… das tut mir leid«, schaffte sie es, herauszubringen, obwohl ihr Herz so wild pochte, daß sie das Gefühl hatte, es steckte ihr mitten im Hals. »Woran – ich meine – wie konnte das – so schnell…«
Himmel, jetzt fing sie auch noch an zu stammeln! Sie entwickelte sich zurück! Gerade hatte sie den geistigen Stand einer Dreijährigen erreicht.
Zum Glück verstand Clemens sie auch so.
»Meine Frau litt an Diabetes«, erklärte er nüchtern. »Das war uns allerdings nicht bekannt. Ich habe es erst in der Klinik erfahren…« Jetzt seufzte er doch. Die Erinnerung an den schrecklichsten Tag in seinem Leben weckte den alten Schmerz, der immer noch in einem Winkel seiner Seele lauerte. »Sie ist beim Einkaufen mitten in einem Supermarkt ohnmächtig zusammengebrochen und nicht mehr zu sich gekommen. Die Ärzte sagten mir später, daß Petra ins Zuckerkoma fiel. Drei Tage lang haben sie um ihr Leben gerungen, dann war es vorbei.«
Er gab sich einen Ruck. Das alte, sympathische Lächeln erschien wieder auf seinem Gesicht.
»Genug Trübsal geblasen«, verkündete Clemens entschlossen. »Erzählen Sie mir von ihren Kindern. Was tun sie, welche Hobbys haben sie, gehen sie gerne zur Schule?«
Nathalie war froh, das Thema wechseln zu können. Bereitwillig erzählte sie von Dennis, Sandra und Stephanie, und Clemens hörte ihr aufmerksam zu.
Ab und an lachte er herzlich, wenn Nathalie einen besonders witzigen Streich ihrer Rangen schilderte, aber als sie über die Schulschwierigkeiten ihres Ältesten sprach, wurde seine Miene äußerst aufmerksam.
»Dennis kann seinen Mathelehrer nicht ausstehen«, berichtete Nathalie besorgt. »Wissen Sie, wenn ich ehrlich sein soll, dann muß ich zugeben, daß ich den Typen auch nicht ausstehen kann. Ein schrecklicher Mensch, der ständig in einem trockenmoosgrünen Anzug herumläuft und sich die Hände reibt. Kaum einer in der Klasse versteht die Matheaufgaben. Der Durchschnitt lag voriges Jahr bei Zwei-Komma-zwei. Inzwischen ist mindestens die Hälfte der Schüler auf eine glatte Vier abgerutscht.«
»Wir hatten damals in der Oberstufe auch so einen Lehrer«, wußte Clemens zu berichten. »Der hat so umständlich erklärt, daß wir nur noch Bahnhof verstanden. Irgendwann hat’s uns gereicht. Wir sind geschlossen zum Direx marschiert und haben ihn aufgefordert, an einer Mathestunde teilzunehmen. Danach haben wir einen neuen Lehrer bekommen.«
Nathalie horchte auf.
»Hört sich gar nicht so dumm an«, stellte sie nach kurzem Überlegen fest. »Wissen Sie was, genau diesen Vorschlag werde ich meinem Sohnemann unterbreiten.«
Die Erwähnung ihres Ältesten rief Nathalie die reichhaltigen Pflichten in Erinnerung, die noch auf sie warteten.
Sofort war das schlechte Gewissen da, als sie daran dachte, daß sie Steffi heute praktisch den ganzen Tag Reginas Obhut überlassen hatte.
Hastig, bevor sie es sich wieder anders überlegen und der Versuchung, die Zeit mit diesem faszinierenden Mann noch ein wenig in die Länge zu ziehen, erliegen konnte, erklärte Nathalie:
»Tur mir leid, aber ich muß diese nette Unterhaltung abbrechen. Meine Kinder haben mich heute noch so gut wie gar nicht gesehen.« Während sie sprach, sah sie sich bereits nach der freundlichen Bedienung um. »Die Kleine war heute den ganzen Tag bei der Nachbarin. Die ist zwar sehr kinderlieb, aber ich möchte ihre Gutmütigkeit trotzdem nicht über Gebühr beanspruchen.«
Clemens warf einen raschen Blick auf seine Armbanduhr und nickte.
»Ja, für mich wird es auch Zeit, wieder ins Geschäft zurückzukehren.« Er betrachtete Nathalie einen Moment nachdenklich, dann zuckte er die Schultern. »Schade, die Zeit ist viel zu schnell vergangen.«
In diesem Moment näherte sich die Kellnerin. Es gab einen kurzen Disput, als Nathalie ihr Portemonnaie