Im Sonnenwinkel Staffel 1 – Familienroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
ja, was wollte sie denn auch? Er war ein Kavalier, wohlerzogen und höflich. Aber warum hatte er ihr Blumen geschenkt, wenn er doch mit einer anderen verabredet war, und warum hatte er ihr so viel Zeit gewidmet? Ein wenig enttäuscht war sie jetzt doch, wenn sie es sich auch nicht eingestehen wollte!
*
»Fabian, denk daran, was aus dir noch werden kann«, neckte das junge blonde Mädchen ihn, der gedankenvoll dem entschwindenden Wagen nachblickte. »Seit wann steigst du fremden Mädchen nach?«
»Seit heute!«, knurrte er. »Und du hättest ruhig ein paar Minuten später daherkommen können.«
»Entschuldige vielmals. Ich konnte ja nicht wissen, dass du dich deiner Schwester schämst«, fuhr sie spottend fort.
»Aber sie weiß nicht, dass du meine Schwester bist«, brummte er.
»Das wird sie schon noch erfahren, wenn dir so viel an ihr liegt.«
»Bestimmt wird sie das. Das Fatale ist nur, dass sie meine Schülerin werden wird.«
»Jesses, Jesses!«, stöhnte Stella. »Sie geht noch zur Schule? Schick ist sie, einen tollen Wagen hat sie, und da machst du dir wohl nicht Hoffnungen, dass sie sich in einen Studienassessor verliebt! Armer Fabian, wenn dir schon mal ein Mädchen gefällt, muss es ausgerechnet eine Schülerin sein. Pass nur auf, dass du dich nicht in Kalamitäten bringst, Charly guckt schon ganz bekümmert.«
Ahnungslos, was ihr noch bevorstehen würde, fuhr Henrike wieder heimwärts. Betrübt fiel ihr ein, dass sie den Kuchen vergessen hatte wegen dieses arroganten Lümmels, der scheinbar stadtbekannt war.
Neben ihr lagen die Blumen. Hübsch sah der Strauß aus mit der roten Rose in der Mitte. Ihr Gesicht wurde ganz heiß.
Im Rückspiegel bemerkte sie, dass ein anderer Wagen ihr folgte. Ein großer Straßenkreuzer, der auf der schmalen Straße kaum Platz hatte.
Als sie im Sonnenwinkel anhielt, fuhr er an ihr vorbei. Mit einem schnellen Blick erhaschte Henrike das Profil des Mannes, eines sehr interessanten, nicht mehr ganz jungen Mannes.
Es tut sich ja hier im Sonnenwinkel doch allerlei. Gar so einsam scheint es gar nicht zu werden, dachte sie befriedigt, während ein paar Sonnenstrahlen aus den Wolken brachen, auf ihr Haar fielen und den See geheimnisvoll funkeln ließen.
*
Der Industrielle Felix Münster, der in dem Straßenkreuzer an Auerbachs Haus im Sonnenwinkel vorbeigefahren war, hatte dem jungen Mädchen keine sonderliche Beachtung geschenkt.
Die Auerbachs sind also schon eingezogen, dachte er nur, dann bog er die Straße zum Herrenhaus Erlenhof ein. Zwar hatte er sich erst für morgen bei den Riedings angemeldet, da er aber einmal in der Gegend war, hatte er den impulsiven Entschluss gefasst, gleich heute vorbeizuschauen.
Lang gestreckt lag das Herrenhaus inmitten des verwilderten Parks. Verwittert war die Hausfront und arg renovierungsbedürftig.
Vielleicht haben die Damen von Rieding schon eingesehen, wie kostspielig der Unterhalt dieses Besitzes sein wird, dachte er. Jedenfalls wollte er nichts unversucht sein lassen, doch noch in den Besitz dieses Hauses zu kommen.
Er stieg aus und ging langsam auf das Herrenhaus zu. Zwischen den Bäumen entdeckte er eine hell gekleidete Gestalt, mit gemessenen Schritten ging er auf diese zu.
»Hallo«, sagte er leise, als er in ihre Nähe kam.
Erschrocken zuckte Alexandra von Rieding zusammen. Der eindringliche Blick der dunklen Augen verwirrte sie. In Sekundenschnelle prägte sich ihr die Persönlichkeit dieses Mannes ein. Eine sehr markante Persönlichkeit, die faszinierend wirkte.
»Sie wünschen?«, fragte sie zurückhaltend.
»Münster«, stellte er sich vor, »habe ich die Ehre, mit Frau von Rieding zu sprechen?«
»Mit der Tochter«, entgegnete sie, womit sie ihm ein flüchtiges Lächeln entlockte.
Sie war mehr als mittelgroß, aber er überragte sie fast um Haupteslänge. So hatte sie sich den Industriellen Felix Münster nicht vorgestellt. Sie hatte geglaubt, dass ein Mann, der ein so gewaltiges Unternehmen leitete, älter und bei Weitem nicht so attraktiv sein müsste.
»Wir hatten erst morgen mit Ihrem Besuch gerechnet«, sagte sie. »Meine Mutter ist nicht zu Hause.«
»Vielleicht könnte ich vorerst Ihnen mein Anliegen vortragen«, murmelte er.
Sie wusste schon, worum es ging, und ein eigensinniger Zug legte sich um ihren Mund.
»Bitte«, forderte sie ihn auf. »Entschuldigen Sie mich nur für einen Augenblick, ich muss mich ein wenig frisch machen.«
Sie ging voran mit einem lässigen und doch anmutigen Gang. Schnell hatte sie ihre Selbstsicherheit zurückgewonnen und wappnete sich bereits mit Abwehr, um sich seiner dynamischen Ausstrahlung nicht unterlegen zu zeigen.
Sie schloss die Tür auf, und sie betraten die kühle, etwas düster wirkende Halle.
Doch das Wohnzimmer, zu dem sie die Tür öffnete, war sehr geschmackvoll und zugleich gemütlich eingerichtet.
»Bitte, nehmen Sie Platz, Herr Münster, ich bin gleich zurück«, sagte sie.
Alexandra kam bald zurück und trug ein schlichtes lindgrünes Wollkleid, das das leuchtende Braun ihres Haares noch unterstrich.
Seine Miene verriet nicht, ob er überhaupt wahrnahm, dass er eine ungewöhnlich aparte junge Dame vor sich sah, und das war für Alexandra ungewohnt. Kein abschätzender Blick, kein Maßnehmen, wie sie es burschikos nannte.
»Wie Sie wohl wissen werden, bin ich an diesem Besitz sehr interessiert«, begann er unumwunden. »Ich habe schon mit dem alten Herrn von Rieding über einen eventuellen Verkauf verhandelt. Sein plötzlicher Tod kam dazwischen.«
Knapp und klar, keine Phrasen, das gefiel ihr eigentlich. Das, was dann kam, weniger.
Sie verschlang die Hände ineinander. »Nein, wir werden nicht verkaufen. Wir haben uns entschlossen, das Herrenhaus zu behalten.«
Jetzt malte sich Enttäuschung auf seinen Zügen. Alexandra beobachtete ihn unauffällig.
»Warum sind Sie eigentlich so am Erlenhof interessiert, Herr Münster?«, fragte sie beiläufig.
»Das hat einen ganz bestimmten Grund«, murmelte er. Zum ersten Mal war eine leichte Unsicherheit in seiner Stimme.
»Ich habe einen fünfjährigen Sohn«, begann er stockend. »Seine Mutter starb bei seiner Geburt.«
Er sagte »seine Mutter«, nicht »meine Frau«, registrierte Alexandra in ihrem Unterbewusstsein.
»Manuel ist ein scheues, zartes Kind«, fuhr er fort. »Ich hatte ihn einmal mit hierhergenommen, und zum ersten Mal habe ich ihn begeistert gesehen. Die Felsenburg schien ihn magisch anzuziehen. Ich hätte ihm gern den Wunsch erfüllt, hier leben zu dürfen.«
Ein Frösteln kroch über Alexandras Rücken. Sie war tiefer beeindruckt, als sie sich eingestehen wollte.
»Nun, wenn Ihr Entschluss feststeht, ist wohl nichts zu ändern.«
Das war wieder der Unternehmer, der seine kostbare Zeit nicht mit unnötigem Gerede vergeudete. Er war aufgestanden und ging zum Fenster, von dem aus man die Dependance sehen konnte, ein kleineres, aber recht anmutiges Gebäude, wenn man von dem unschönen Verputz absah.
Felix Münster drehte sich um. »Die Dependance würden Sie dann wohl auch nicht verkaufen?«, fragte er sehr direkt. »Ich wäre bereit, jede gewünschte Summe zu zahlen.«
Geld spielt keine Rolle, ging es ihr durch den Sinn, und wenn er sich etwas in den Kopf setzt, will er zumindest einen Teilerfolg erzielen.
Sie hob langsam den Kopf. »Ich glaube, meine Mutter kommt. Wenn Sie noch ein paar Minuten Zeit haben, könnten Sie mit ihr sprechen.«
War das nicht schon