Mami Bestseller 10 – Familienroman. Corinna VolknerЧитать онлайн книгу.
muss.
Anna Bona ist schon vorausgegangen. Sie will schnell zu Rosalie, um zu erfahren, was das Kind so unglücklich macht.
»Wir sind in Sorge, weil Dorothea und Stefan sich immer noch nicht gemeldet haben«, raunt Hermine der Schwester nun zu. »Mutter zeigt es zwar nicht, aber sie blickt alle fünf Minuten auf die Uhr. Die beiden sind doch schon am frühen Morgen um sechs Uhr in Hamburg abgefahren.«
Priska atmet gepresst, hält sie am Arm zurück und sagt so leise, dass ihre Mutter es nicht hören kann: »Sie kommen auch nicht mehr, Hermine. Sie sind mit dem Wagen kurz hinter der Autobahnabfahrt verunglückt. Man hat sie zu uns ins Krankenhaus eingeliefert. Ich bin froh, dass du hier bist.«
Bestürzt blickt Hermine sie an. »Mein Gott! Ist es schlimm?«
Priska nickt und geht ins Wohnzimmer. Dort hockt Rosalie mit blassem, angstvollem Gesicht in der Sofaecke und wagt es nicht, ihre Mutter anzusehen.
Anna Bona zuckt ratlos die Schultern und sieht ihren beiden ältesten Töchtern entgegen. »Sie sagte kein Wort. Seht euch nur das Mädel an! Was mag ihr widerfahren sein? Priska?«
Das klingt wie ein Hilferuf und legt sich wie eine Zentnerlast auf die Schultern der jungen Ärztin.
Hermine tritt neben ihre Mutter, legt einen Arm um deren Schultern, um sie so einem Sessel zuzuführen. »Komm, Mama, nimm hier Platz. Du kannst Rosalie nur helfen, wenn du versuchst, ruhig und tapfer zu sein. Priska muss dir – muss uns etwas Schreckliches mitteilen, und bestimmt trägt sie schwer daran. Aber es hat wohl keinen Sinn, unsere Große länger mit ihrem bedrückenden Wissen allein zu lassen. Wir müssen es gemeinsam tragen. Also rede, Priska! Die beiden sind verunglückt. Hast du Genaues erfahren können in der Klinik?«
Dankbarkeit gegenüber Hermine empfindet Priska, weil diese ihr den Beginn ihres Berichts erleichtert hat. Hermine hat sich neben die Mutter gestellt, während sie selbst ans Fenster tritt, um von dort leise zu antworten: »Ja, Hermine, ich hatte ja noch Dienst. Stefan hat den Wagen gefahren. Irgendwie ist er in einer Kurve von der Straße abgekommen und gegen einen Pfeiler geprallt.«
»Oh, mein Gott! Ich habe es geahnt!«, entfährt es Anna Bona in tiefster Verzweiflung. Sie will sich erheben, aber sanft drückt Hermine sie wieder in den Sessel zurück. Sie belässt ihre Hände auf den rundlichen Schultern der Mutter und blickt Priska in schweigsamer Herausforderung an.
Priska schluckt trocken, ehe sie schnell hinzufügt: »Mutter, es tut mir so leid. Stefan lebte nur noch einige Minuten, nachdem man ihn ins Krankenhaus eingeliefert hat. Mich rief man gleich zu Dorothea. Sie …«
»Sie lebt also?«, wirft Anna Bona hoffnungsvoll ein. Stumm wendet sich Priska herum und blickt in den Garten. Es übersteigt ihre Kräfte. Warum hat sie den Pfarrer nicht mitgebracht, wie ihr der Geistliche angeboten hat? Oder Dr. Schultheiß, den Hausarzt ihrer Eltern.
»Warum sagst du denn nichts, Kind?«, bittet die zitternde Stimme der alten Frau hinter ihr. »Sprich doch! Bitte! Das Kind? Ist es tot? Hat Dorothea ihr Baby verloren?«
»Baby? Was heißt das, Mama? Erwartete Doro denn ein Kind?« Rosalie hebt ihr auf die Brust gesunkenes Kinn, fieberhafte Spannung im Blick. »Priska?«
Das gleicht einem Schrei, der die Kälte um Priskas Herz vertreibt. Sie dreht sich um, sieht, dass Rosalie zu ihrer Mutter geeilt ist, dicht an ihrer Seite auf dem Teppich hockt und sie mit beiden Armen umfängt.
»Es ist so, Rosalie«, beginnt Priska mit ergriffener Stimme. »Deine Schwester erwartete ein Kind. Sie kam ja eigens nach hier, um es in Tübingen zur Welt zu bringen. Und es war ihr noch vergönnt.«
Sie schweigt und senkt vor dem leidvollen Blick ihrer Mutter die Augen.
»So ist Dorothea also auch tot«, sagt Anna Bona mit schwerer, müder Stimme.
»Oh, Mutter!« Rosalie weint verzweifelt und birgt ihr Gesicht an der Mutter Herz.
»Scht. Scht«, macht diese und wiegt die schmale Gestalt wie ein Kind in ihren Armen, wobei sie keinen Blick vom Gesicht ihrer Ältesten nimmt.
Priskas Lippen zucken, als unterdrücke sie so besser ihre Tränen. Sie hätte auch gern geweint, es hätte sie gewiss erleichtert. Schließlich hat sie mehr noch als Mutter und Schwestern vom Schrecken des Unfalls mitbekommen. Aber auch vom Tröstlichen. Davon muss sie nun unbedingt reden.
»Hört zu, ich war bei Dorothea, war über eine Stunde an ihrem Bett. Sie war klar bei Verstand, und sie war glücklich, denn der Arzt versicherte ihr, dass den Kindern nichts geschehen sei. Ja, den Kindern. Dorothea beschwor die Ärzte, ihre Kinder zu retten. Das geschah dann auch durch eine Kaiserschnittoperation. Aber zuvor hat unsere unglückliche Schwester mir ein Versprechen abgerungen, das ich euch mitteilen muss, weil es uns alle betrifft. Es wird wahrscheinlich unser Leben verändern. Vielleicht lehnt ihr beide, Rosalie und Hermine, es auch ab, euch am Vermächtnis eurer Schwester zu beteiligen. Nun gut denn, ich kann euch zu nichts zwingen. Was mich betrifft, ich halte mich an mein gegebenes Wort, und sollte es mich das Glück meines Lebens kosten.«
Immer ernster und eindringlicher hat Priska zum Schluss gesprochen, und sie erreicht damit, dass der erste heftige Schmerz um die Verstorbene etwas in den Hintergrund tritt.
»Willst du dich nicht deutlicher ausdrücken?«, mahnt schließlich nach einigen Sekunden betroffenen Schweigens die Journalistin.
Und Rosalie hat sich erhoben, scheint die Spannung nicht mehr ertragen zu können, sie liest ihr jedes Wort von den Lippen ab.
»Dorothea beschwor mich, keines ihrer Kinder an Olav Bredersen abzugeben. Ihre letzten Worte klangen unversöhnlich gegenüber Stefans Vater. Gewiss nicht ohne Grund.«
»Kinder?«, fragte Hermine leicht konsterniert. »Ich denke, es geht um das Kind unserer toten Schwester.«
Da zuckt um Priskas Mund ein sanftes Lächeln, ehe sie mit leicht hochgehobenen Schultern bekennt: »Es sind Drillinge. Ja, da staunst du, Mama. Deine Tochter brachte drei gesunde, süße Kinder zur Welt, bevor sie starb. Es sind zwei Jungen und ein Mädchen. Alle drei sind lebensfähig und liegen zurzeit im Brutkasten der Kinderstation. Dort müssen sie noch drei Wochen bleiben, dann dürfen wir sie zu uns nehmen.«
»Aber«, japste Hermine, »wie stellst du dir das vor?«
Priska sieht sie gelassen an. »Ich stelle mir gar nichts vor. Ich sage euch nur, wie Dorothea es sich vorgestellt hat.«
Hermine senkt den Blick. Natürlich hat sie den leisen Tadel in Priskas Stimme gehört. Aber sie ist klug genug, um sofort die Tragweite des Geschehens zu erfassen.
»Wie willst du Bredersen denn die drei Kinder vorenthalten?«, fragt sie schließlich gefasster. »Er hat immerhin in Stefan seinen einzigen Sohn und – Erben verloren. Nun sind da zwei Enkelsöhne, von der Kleinen ganz zu schweigen.«
In Priskas Gesicht tritt zornige Röte. »Du vergisst, dass Doro und Stefan nicht miteinander verheiratet waren. Durch die Schuld von Olav Bredersen. Nun kommt uns dieser Umstand gelegen. Ich habe das bereits geregelt. Im Geburtsschein der Kinder steht: Vater unbekannt. Übrigens lässt Bredersen seinen toten Jungen heimholen.«
Mutter Bona sitzt reglos in ihrem Sessel, hört nur zu, hält die Hände im Schoß gefaltet, als ob sie beten würde.
Jetzt sagt sie bedrückt: »Wenn Dorothea es wirklich so will? Auch Olav Bredersen hat ja ein Herz und wird um seinen Sohn trauern. Wir haben die Kinder. Welch ein Glück, dass sie alle drei unversehrt geblieben sind.« Und Priska anblickend fügt sie flüsternd hinzu: »Ich bin froh, dass du bei Dorothea sein konntest.«
Priska geht zu ihr und neigt flüchtig ihr Gesicht auf das silbrige Haar. »Sie hat nicht gelitten, Mutter, denke immer daran. Ihr letzter Wunsch war es, dass ihre Kinder in uns neue Mütter finden. Sie meinte, da wir ja noch zu dritt wären, möge jede von uns eines ihrer Kinder ans Herz nehmen und halten wie das eigene. Stell dir das nur vor, Mama. Da bekommen deine drei ledigen Töchter Priska, Hermine und Rosalie am gleichen Tag ihr Baby. Was die Leute wohl dazu sagen werden?«
Mit diesen Worten erreicht