Mami Staffel 2 – Familienroman. Gisela ReutlingЧитать онлайн книгу.
Barbara nicht sofort mit Beschwerden begann, versöhnte sie, denn sie gab sich einen Ruck. »Na, kommen Sie nur an den Tisch. Wolln Sie ein Glas Milch? Ich hab die Ziegen gerade gemolken.«
Barbara bejahte, obwohl sie keinen Durst hatte und schon gar nicht auf Ziegenmilch. Sie wartete neben dem Holztisch vor dem Haus und der grob zusammengehauenen Bank davor, bis Agnes mit einem Krug zurückkam. Dann erst setzte sie sich.
»Wunderschön ist es hier oben, Frau Heimhofer«, lobte sie diplomatisch. Wenn man über das Gerümpel hinwegsah, bot sich ja ein herrlicher Blick hinunter in die Landschaft bis zur anderen Seite des Tals. Und kaum hatte sie einen Schluck aus dem Krug ohne Würgen heruntergebracht, wies sie über das sommerliche Panorama. Da unten schlängelte sich die Wese durchs Dorf. Wie ein zartes silbernes Band schmückte sie das saftige Sommergrün, wurde hinter der Kirche wieder sichtbar und wand sich unter dem Brückchen hindurch an den bunten Bauerngärten vorbei.
Auf der anderen Seite markierte die Bahnstrecke die Abgrenzung des Dorfes. Und rundherum wachten die Bergriesen majestätisch über den Frieden in der herrlichen Gegend.
»Was ist jetzt mit dem Gritli?« fragte Agnes schroff. Ihr Blick stach nahezu drohend in Barbaras Augen. Die nahm die Brille schnell vom Haar und verbarg sie in ihrer Tasche. Eine Sonnenbrille paßte nicht hierher. Ihr Vater hatte recht. Sie hätte es wissen müssen.
»Nun ja, Gritli… letzte Woche kam sie dreimal zu spät. Und an keinem der Tage hat sie ihre Hausaufgaben ordnungsgemäß erledigt.«
»Das müssen Sie ihr sagen, nicht mir. Ich hab andres zu tun, als dem Kind immerzu auf die Finger zu schauen.« Agnes wies um sich, deutete mit dem Daumen hinter sich auf das Kleinviehzeug und erhob sich danach abrupt, um einige Schritte am mächtigen Haus vorbeizustapfen. Dann sah sie sich um und winkte Barbara heran.
»Sie denken wohl, wir hier oben schauen Löcher in die Luft?«
»Aber nein, gewiß nicht!«
Barbara stand noch nicht neben ihr, da deutete sie auf ein kleines Häuschen, das im Schatten des Hofes nur zwanzig Meter weiter oberhalb der Ansteigung lag. »Das war die Hütte von Theres. Schauen Sie nur, was der Sepp jetzt damit macht! Er räumt aus und macht drinnen alles neu. Ein Durcheinander ist ’s, das ich noch beizeiten wegschaffen muß. Die ersten Gäste kommen in zwei Wochen. Und nicht mal die Gardinen hab ich genäht«, ächzte die alte Agnes, um dann ihre Ziegen von den beiden Apfelbäumen an der anderen Seite des Hofs zu verscheuchen. »Das fehlt noch, daß ihr Viecher die winzigen Äpfel abreißt!« schimpfte sie.
Barbara wußte nicht, was sie mehr abstieß. Der harsche Ton der Bäuerin oder die mißliche Lage der gesamten Familie. »Gäste?« nahm sie das Gespräch wieder auf, als Agnes zurückgekehrt war.
»Ja, das ist dem Sepp eingefallen, daß wir die Hütte nun an Touristen vermieten. Das bringt ein wenig Geld.«
»Gewiß. Aber Ihnen lädt es noch mehr Arbeit auf.« Dafür erntete sie endlich einen freundlicheren Blick von Gritlis Großmutter.
»Leicht wurd ’s mir nicht, Sepps Plan mitzutragen, Frau Lehrerin. Ich hab’ ja schon gehofft, das Gritli und ich können uns in das kleine Austragshäusel teilen. Gemütlich könnt ’s da sein. Und der Sepp hätte dann den Hof für sich und würd sich endlich nach einer rechten Frau umsehen, damit ich mich mal zur Ruhe setzen kann.«
»Für Gritli wäre das auch ein Segen«, pflichtete Barbara ihr bei. »Sie hätten Zeit für sie.«
Agnes Heimhofer zuckte mit den mächtigen Schultern. »Zeit? Das Kind hat ein Bett im eigenen Kämmerchen und mußte noch nie Hunger leiden. Was soll ich da noch Zeit opfern? Für unsereins gab ’s das auch nicht.«
»Nun ja…, Gritli wächst doch ohne Eltern auf.«
Agnes nickte einsichtig, aber zu energisch für eine liebende Großmutter. »Solang der Sepp keine Frau mit auf den Hof bringt, wird nichts aus Spielen und Träumen. Die Theres hat ihr Häuschen dem Gritli vererbt. Aber darin zu wohnen bringt uns nichts ein. Vermietet er es, wenn ’s instandgesetzt ist, kommt ein schönes Geld rein. Das wird dann dem Gritli gehören. Ist das nicht genug? Was braucht sie da noch meine Zeit!«
»Ach, so ist das.«
»Ja, so ist das.« Agnes sah sie argwöhnisch an. »Der Sepp tut nichts, was dem Kind schaden könnt, Frau Lehrerin. Das müssen Sie mir glauben. Er versucht dem Gritli ein Vater zu sein. Und dabei geht uns der Thilo so ab auf dem Hof, daß er manchmal ganz rot wird vor Wut über seinen Bruder.«
»Thilo ist Gritlis Vater, nicht wahr?«
»So ist ’s. Aber reden Sie jetzt nicht von dem. Der Sepp hört ’s nicht gern.« Dann preßte Agnes die Lippen fest zu und deutete bergan. Barbara blickte hoch. Da kam er also, der älteste Sohn, Gritlis Onkel Sepp.
»Thilo, der hat ’s Gritli, den Sepp und mich allein gelassen«, flüsterte ihr die Großmutter noch schnell zu. »Eine Schande ist ’s, mehr sag ich nicht.«
Mit lauerndem Blick trat der Sepp nun zu ihnen. Barbara war ihm schon einige Male begegnet, aber noch nie war ihr aufgefallen, wie grobschlächtig und mißgelaunt er wirkte. Ersteres mochte an dem speckigen Hut, den schäbigen Lederhosen und dem fadenscheinigen Hemd liegen. Das war wohl seine Arbeitskleidung und die ließ den Schluß zu, daß er jetzt im Sommer sechzehn Stunden täglich schuften mußte, um den Berghof zu erhalten. Seit Thilo fort war, blieben ihm wohl kaum einige Minuten Zeit für die kleinen Freuden des Lebens. Darauf beruhte gewiß seine Übellaunigkeit.
»Was gibt ’s denn, Frau Lehrerin?« begrüßte er Barbara grimmig. »Hat Ihr Vater sich beschwert, weil ich ihn nicht mit dem Ausbau von Tante Theres’ Hütte beauftragt hab? Das schaff ich allein.«
»Um Gottes willen, nein!« wehrte Barbara erschrocken ab. »Mein Vater weiß nichts von dem Umbau des Häuschens und hat genug zu tun.«
»Hast ihr schon erzählt, was wir mit dem Häuschen planen?« wandte er sich seiner Mutter zu. Die nickte ernst.
»Und? Was hält die Frau Lehrerin von der Idee?« Er sah Barara herausfordernd an.
»Sie ist gut«, gab Barbara zurück. »Nur werden Ihnen Gäste noch mehr Arbeit aufladen. Und ich hoffte, einer von Ihnen hätte etwas mehr Zeit für’s Gritli.«
Da lachte er dröhnend. »Unser Leben ist hart genug. Das weiß das Gritli. Nur Sie wissen das wohl nicht. Warum sind Sie so streng mit dem Kind? Weil sie arm ist? Keine Angst, sie wird schon noch ihre Chance bekommen. Nennt man das nicht so? Denn was wir durchs Vermieten einnehmen, kommt auf ihr Sparbuch. Haben Sie noch Fragen?«
Barbara ärgerte sich über ihn. »Nein, das reicht.«
»Gut, gut«, gab Sepp zurück. »Und wenn sie sich über Gritli beschweren wollen, dann schreiben Sie lieber an ihren Vater, den Thilo.« Er lachte heiser. »Nur wissen wir nicht, ob er noch in Kanada ist. Ob unsere Nachricht vom Tod der Theres ihn erreicht hat, steht auch in den Sternen. Der hat ’s sich einfach gemacht nach dem Tod vom Hannerl, seiner Frau. So was wie Verantwortung kennt der nicht.«
Barbara holte tief Atem, aber zum Antworten kam sie nicht.
»Wir sind gut zum Gritli, aber sie muß selbst begreifen, daß es nur noch auf sie selbst ankommt. Tagelang hockt sie auf dem höchsten Felsen ganz weit oben auf dem Gipfel, dem Felshorn, um die Wolken zu betrachten. Wenn’s Wetter schlecht ist und der Nebel dick vom Tal hochkommt, können wir nicht sehen, ob sie zur Schule geht oder hoch über die Wolken steigt. Was sollen wir machen? Immer hinterher? Oder sie beim nächsten Mal übers Knie legen?«
»Natürlich nicht!«
»Na, sehen Sie. Dann haben Sie also doch ein Herz. Und warum ermahnen und ängstigen Sie das Kind wegen jeder Kleinigkeit?«
»Ja, wenn ’s so einfach wär!« entfuhr es Barbara.
Sepp sah sie nur noch feindseliger an. »Was sie von der alten Theres gelernt hat, das beherrscht sie ja. Aber reicht das für ein Leben ohne Vater und Mutter? Sie muß begreifen, wie hart ihr das Schicksal mitgespielt hat, sag ich immer. Sie braucht ihre ganze Sturheit