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Leni Behrendt Staffel 4 – Liebesroman. Leni BehrendtЧитать онлайн книгу.

Leni Behrendt Staffel 4 – Liebesroman - Leni Behrendt


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Ralf, das war ungeschickt von mir«, sagte sie leise unter seinem forschenden Blick.

      »Du weinst, Lenore?«

      »Nur so ein bißchen. Entschuldige, bitte.«

      »Vor allen Dingen entschuldige du, daß ich mich so gar nicht um dich kümmerte. Aber der Artikel im Fachblatt, er ist so interessant …«

      »Dann lies nur ruhig weiter«, unterbrach sie ihn freundlich, und er hätte es vielleicht auch getan, wenn der Zug nicht eben auf einer Station gehalten hätte.

      Gleich darauf betrat ein Herr das Abteil, welches das junge Paar bisher allein gehabt hatte. Der Hinzugekommene machte den Eindruck, als ob er sich selbst nicht leiden könnte.

      »Machen Sie das Fenster auf!« gebot er barsch, während er sich bemühte, den Koffer ins Netz zu heben, wobei er mit ganz besonderem Ungeschick vorging. »Es ist ja hier wirklich eine Luft zum Ersticken.«

      »Bedaure sehr«, entgegnete Ralf kühl. »Sie sehen doch, wie die Tropfen gegen die Scheiben schlagen.«

      »Was ist schon dabei?«

      »Daß es bei geöffnetem Fenster hereinregnen würde … Ja, sind Sie denn ganz von Gott verlassen?«

      Mit diesem empörten Ruf sprang Ralf auf und griff nach dem schweren Koffer, der unweigerlich auf Lenore gefallen wäre, hätte der Gatte nicht so schnell gehandelt.

      Anstatt sich nun zu entschuldigen, knurrte der Ungeschickte wie ein böser Kettenhund. Bedankte sich auch nicht, als der Arzt den Koffer ins Netz hob, sondern drückte sich in die dritte Ecke des Abteils und spielte mit sich selbst böse.

      Doch nur Sekunden war ihm das Spezialvergnügen gegönnt. Es kam nämlich eine junge Frau dazu. Auf dem einen Arm trug sie ein Baby, das aus Leibeskräften schrie, der andere Arm schleppte eine vollgestopfte Tasche, aus der es überquoll.

      »Was wollen Sie denn mit dem Schreihals hier?!« fuhr der Choleriker sie an, worauf sie ihn zuerst verdutzt ansah und dann schnippisch bemerkte: »Fahren natürlich, wie Sie ja auch.«

      »Aber nicht in diesem Abteil.«

      »Warum denn nicht?«

      »Weil ich Kindergebrüll nicht vertragen kann.«

      »Dann müssen Sie zu Hause bleiben. Denn auch Schreihälse haben das Recht, mit der Bahn zu fahren. – Danke, mein Herr!« Das galt dem Arzt, der ihr die schwere Tasche abnahm. »Bitte, nicht ins Netz tun. Da ist nämlich so allerlei darin, was der Junge braucht. Stellen Sie also das Ding auf den Sitz.«

      »Das ist verboten«, belferte der Mann in der Ecke dazwischen. »Der Sitz muß für die Reisenden freibleiben.«

      »Wenn noch welche hinzukommen sollten, werde ich mich schon danach richten.«

      Sprach’s, hielt Umschau – und ehe Lenore, die sich verschüchtert in ihre Ecke drückte, es sich so recht versah, hatte sie das Kind auf dem Schoß.

      »Halten Sie ihn mal, Fräulein«, forderte die Mama kurz und bündig. »Ich muß nach der Flasche suchen.«

      Schon wühlte sie in der Tasche herum. Warf alles, was ihr im Wege war, auf den Sitz, bis sie dann endlich von tief unten herauf die Flasche hervorklaubte. Indes schrie der Junge wie am Spieß. Strampelte dazwischen mit Armen und Beinen, so daß Lenore alle Mühe hatte, ihn zu halten.

      »Werfen Sie das Balg doch einfach zum Fenster hinaus!« brüllte der cholerische Herr dazwischen. »Es ist eine Unverschämtheit von dieser Person.«

      »Wer ist denn hier eine Person, he?« fuhr die verächtlich Betitelte empört auf, dabei eine Windel – gleich einer Fahne schwenkend. Und wer weiß, ob die Erboste diesen wichtigen Gegenstand dem Angreifer nicht um die Ohren geschlagen hätte, wenn der Arzt nicht eingegriffen hätte.

      »Ruhe!« gebot er so scharf, daß selbst der kleine Knabe zu schreien aufhörte und angstvoll den Hals Lenores umklammerte. »Man muß tatsächlich anzweifeln, sich hier unter kultivierten Menschen zu befinden.«

      »Ich bin sonst schon einer …«, sagte die junge Mutter.

      »Dann benehmen Sie sich auch danach«, schnitt Ralf ihr kurz den Faden der Beredsamkeit ab. »Ignorieren Sie den ungemütlichen Mitreisenden. Kümmern Sie sich lieber um Ihr Kind, das wahrscheinlich vor Hunger schreit.«

      »Herrjeh, herrjeh, spielt der sich aber auf!« murrte die Zurechtgewiesene, indem sie den Jungen nahm und ihm die Flasche reichte, aus der er sofort in langen Zügen saugte. »Schade, daß mein Mann nicht hier ist, der würde schon dreinschlagen, er ist nämlich Amateurboxer. Nehmen Sie sich also nur in acht, Sie – Sie da in der Ecke! Er holt mich nämlich vom Bahnhof ab. – Aha, jetzt hat er Angst!« fuhr sie triumphierend fort. »Ganz käsig sieht er aus.«

      »Moment mal!« fiel Ralf hastig ein, indem er aufsprang und zu dem Herrn trat, der mit schmerzverzogenem Gesicht dasaß und die Hand rechtsseitig auf die Magengegend preßte. Der Mund war verkrampft, auf der Stirn perlten Schweißtropfen.

      »Ich bin Arzt, mein Herr, und möchte Ihnen helfen. Ist es die Galle?«

      »Ja. Bitte eine Spritze!«

      »Die habe ich leider nicht bei mir. Ist es denn so arg?«

      »Es fängt erst an, aber bald wird’s unerträglich werden, das kenne ich aus Erfahrung. Wenn ich wenigstens Wasser hätte, um eine Tablette nehmen zu können.«

      »Das hole ich Ihnen rasch aus dem Speisewagen.«

      »Damit kann auch ich aushelfen«, meldete sich die junge Frau, die angesichts des leidenden Mannes ihre Rachegelüste vergessen hatte. »Ich habe nämlich immer auf Reisen eine Flasche Wasser bei mir, für alle Fälle.«

      Schon hatte Lenore das Baby wieder auf dem Schoß, das jetzt jedoch friedlich war, weil es satt war und schlief. Flinke Hände kramten in der Tasche und förderten nicht nur eine Flasche Wasser, sondern auch einen Becher zutage.

      Indes hatte der Arzt sich von dem Herrn die Tabletten zeigen lassen, die dieser der Rocktasche entnahm.

      »Das Mittel ist gut, wenn auch stark. Vom Arzt verordnet?«

      »Na, was denn sonst? Ohne Rezept kriegt man die Dinger ja nicht.«

      »Ein Glück. Und nun geben Sie mal her, meine kleine Gnädige. Sie sammeln ja direkt feurige Kohlen auf das Haupt Ihres Widersachers.«

      »Wenn er Schmerzen hat, muß man doch schon«, lachte sie Ralf an, daß die Zähne nur so blitzten.

      Sie war überhaupt eine hübsche Frau – rosig, mollig, blitzsauber. Ein rasches Mundwerk, aber ein gutes Herz.

      Nachdem der Leidende die Tablette geschluckt hatte, knurrte er den jungen Mann an: »Danke. Sie sollten sich um einen so unleidlichen Kerl gar nicht bemühen.«

      »Dafür bin ich Arzt«, kam es ruhig zurück. »Haben Sie noch weit zu fahren?«

      »Auf der nächsten Station steige ich aus. Ich will dort ins Krankenhaus zur Beobachtung. Da sollen nämlich die Ärzte eine Menge verstehen. Hauptsächlich der eine Arzt, Skörsen heißt er wohl.«

      In Ralfs Augen blitzte es überrascht auf, allein er gab sich nicht zu erkennen. Auch nicht, als die junge Frau eifrig sagte: »Da kann sich der Herr mir anschließen. Ich will nämlich auch ins Krankenhaus, wo dieser Doktor Skörsen arbeitet.«

      »Nanu, was wollen Sie denn da?« fragte Ralf verwundert. »Sie schauen doch aus wie das blühende Leben.«

      »Ich will ja auch nicht als Patientin ins Krankenhaus, sondern anders. Mein Mann ist nämlich Portier dort. Er heißt Ewald Druschke. Gott, was bin ich froh, daß der alte Portier gestorben ist und Ewald nicht nur seinen Posten, sondern auch seine Wohnung bekommen hat!« machte sie aus ihrem Herzen keine Mördergrube. »Da – hört doch endlich das getrennte Leben auf. Ich da, er dort – das bekamen wir auf die Dauer nun wirklich satt. Ach herrjeh, da fahren wir ja schon in den Bahnhof ein, und hier liegt alles herum wie in Sodom und Gomorrha.«


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