Gesammelte Werke. Джек ЛондонЧитать онлайн книгу.
hatte er versetzt, und er und Saxon hatten in trauriger, düsterer Stimmung in einem japanischen Restaurant gegessen, das auf irgendeine wunderbare Weise eine einigermaßen genügende Mahlzeit für zehn Cent servierte. Nach dem Essen wollten sie in ein Kino gehen, was fünf Cent für jeden kostete.
Vor der Zentralbank wurde Billy von zwei streikenden Kutschern angesprochen, die ihn mitnahmen. Saxon wartete an der Ecke, und als er nach dreiviertel Stunden wiederkam, wusste sie, dass er getrunken hatte.
Ein Stückchen weiterhin, vor dem Forum-Café, blieb er plötzlich stehen. An der Bordschwelle stand ein Privatautomobil, und ein junger Mann half zwei sehr elegant gekleideten Damen hinein. Auf dem Führersitz saß ein Chauffeur. Billy legte dem jungen Mann die Hand auf den Arm. Er war ebenso breitschulterig wie Billy und eine Kleinigkeit größer. Er hatte blaue Augen, kräftige Züge, und Saxon fand, dass er ein schöner Mann war.
»Darf ich ein paar Worte mit Ihnen sprechen, Kamerad?« sagte Billy mit leiser, schleppender Stimme.
Der junge Mann warf einen hastigen Blick auf Billy und Saxon und fragte ungeduldig:
»Was gibt es?«
»Sie sind Blanchard«, begann Billy. »Ich sah Sie gestern. Sie fuhren an der Spitze des Zuges.«
»Ja, hab ich das nicht gut gemacht?« fragte Blanchard heiter mit einem hastigen Blick auf Saxon.
»Gewiss. Aber deshalb will ich nicht mit Ihnen reden.«
»Wer sind Sie?« fragte der andere, der jetzt plötzlich misstrauisch geworden war.
»Einer von den streikenden Kutschern. Die Sache ist nämlich, dass Sie mein Gespann fuhren, ja, das ist alles. Nein, lassen Sie Ihr Schießeisen stecken!« – Blanchard hatte die Hand halb in die Tasche gesteckt. – »Ich will hier keinen Krach machen. Aber ich will Ihnen nur etwas sagen.«
»Dann beeilen Sie sich.«
Blanchard hob den Fuß, um ins Auto zu steigen.
»Jawohl«, fuhr Billy fort, ohne im geringsten seine aufreizende Langsamkeit fallen zu lassen. »Ich will Ihnen nur sagen, dass ich Sie finden werde. Nicht, solange der Streik dauert. Aber später einmal, und dann werde ich Ihnen eine solche Tracht Prügel geben, wie Sie sie noch nie im Leben bekommen haben.«
Blanchard sah Billy forschend und mit Interesse an, und ein bewundernder Schimmer trat in seine Augen. »Sie sind ein starker Bursche«, sagte er. »Aber glauben Sie auch, dass Sie das können?«
»Gewiss kann ich es. Ich werde es Ihnen schon zeigen.«
»Nun ja, Kamerad. Kommen Sie zu mir, wenn der Streik beendet ist – dann werden wir ja sehen, wer der Stärkere ist.«
»Vergessen Sie es nicht«, sagte Billy. »Ich werd es Ihnen zeigen.«
Roy Blanchard nickte beiden freundlich lächelnd zu, lüftete den Hut vor Saxon und stieg ins Auto.
*
Von jetzt an schien es Saxon, als sei ihr Dasein ganz ohne Sinn und Zusammenhang. Sie lebte wie in einem bösen Traum. Alles war möglich, selbst das Unwahrscheinlichste. Es gab keinen Halt in der Strömung der Gesetzlosigkeit, die sie zu einer Katastrophe trieb – sie wusste selbst nicht, zu welcher. Hätte sie sich auf Billy verlassen können, so würde sie nichts gefürchtet haben. Aber er war ihr entrissen in dem Wahnsinn, der alle anderen gepackt hatte. So vollkommen war die Veränderung, die mit ihm vorgegangen war, dass er fast wie ein zudringlicher Fremder in seinem eigenen Hause wirkte. Es war ein anderer Mann, dessen Blick ihr aus seinen Augen entgegenleuchtete – ein anderer Mann mit gewaltsamen, hasserfüllten Gedanken; ein Mann, der es nirgends gut hatte, und der ein eifriger Vorkämpfer für alles Zuchtlose und Böse dieser Zeit wurde. Dieser Mann verurteilte Bert nicht mehr, sondern murmelte selbst heimlich von Dynamit und Revolution.
Saxon kämpfte schwer, um sich das geistige Gleichgewicht und die Kaltblütigkeit, sowie die körperliche Reinheit und Kühle zu bewahren, auf die Billy früher solchen Wert gelegt hatte. Nur einmal verlor sie die Selbstbeherrschung. Er war sehr schlechter Laune gewesen, und eine besonders brutale, ungerechte Bemerkung brachte sie schließlich auf.
»Mit wem sprichst du?« fragte sie heftig.
Er war sprachlos und verblüfft und konnte nur ihr Gesicht anstarren, das leichenblass vor Zorn war.
»Wage nicht noch einmal, so zu mir zu sprechen, Billy«, sagte sie gebieterisch.
»Ach, kannst du denn nicht begreifen, dass ich nur schlechter Laune bin?« fragte er, halb zur Entschuldigung, halb im Trotz. »Gott weiß, dass ich genug um die Ohren habe.«
Als er gegangen war, warf sie sich aufs Bett und weinte, als ob ihr das Herz brechen sollte. Denn sie, die so tief demütig lieben konnte, war ein stolzes Weib. Nur die Stolzen können wirklich demütig, nur die Starken wahrhaft sanft sein. Was nutzte es, so fragte sie sich, wenn der einzige auf der Welt, der etwas für sie bedeutete, seinen eigenen Stolz, seine Kampfbereitschaft und seinen Gerechtigkeitssinn verlor und sie den schwersten Teil der gemeinsamen Last tragen ließ?
Und wie sie im Kummer über den Verlust ihres Kindes – diesem tiefen Kummer, der in ihrem Organismus selbst wurzelte – allein gewesen war, so trug sie auch diesen neuen Kummer, der in gewissem Sinne noch größer war, allein. Sie liebte Billy vielleicht nicht weniger, aber ihre Liebe war im Begriff, einen anderen Charakter anzunehmen, weniger stolz und weniger zuversichtlich zu werden. Sie wollte sich mit Mitleid mischen – dem Mitleid, das zur Verachtung führen kann, und davor schauderte es sie.
Sie kämpfte um die Kraft, dieser neuen Situation ins Auge zu blicken. Die Verzeihung schlich sich in ihr Herz, und es war ihr eine Erleichterung, bis ihr einfiel, dass in der wahrsten, höchsten Liebe kein Raum für Verzeihung sein durfte. Und sie weinte wieder, während der Kampf von neuem begann. Schließlich war eines unumstößlich: dieser Billy war nicht der Billy, den sie geliebt hatte. Dieser Billy war ein ganz anderer, ein kranker Mann, und er war ebensowenig verantwortlich wie ein Fieberpatient für seine wilden Fantasien. Sie musste Billys Pflegerin sein, ohne Stolz, ohne Verachtung, ohne etwas verzeihen zu müssen. Zudem stand er auch wirklich mitten im Kampfe und war schwindlig von den Schlägen, die er gegen andere richtete und die andere gegen ihn richteten.
Und so rüstete Saxon sich zum Kampf, dem schwersten von allen, die in der Weltarena ausgefochten werden – dem Kampf des Weibes. Sie vertrieb alle Zweifel, alles Misstrauen aus ihrem Gemüt. Sie verzieh nichts, weil es nichts gab, das Verzeihung erforderte. Sie verpflichtete sich zu einem absoluten