Gesammelte Werke. Джек ЛондонЧитать онлайн книгу.
wie der Teufel losgegangen sind. Hören wir auf davon! Ich habe das Gefühl, dass ich dich auf festes Land führen wollte und selbst in den Sumpf geraten bin. Ich wollte dir vielleicht einen Rat geben, aber unsereins ist alt und plump, man soll besser die Hände von so zerbrechlichen Sachen lassen.«
»Ich weiß, wie gut du es gemeint hast, Daddy.«
Sie ließ sich auf seine Knie fallen und lag so zärtlich an seiner Brust, wie er es sein Leben lang nicht gefühlt hatte.
»Du guter Daddy, machst dir soviel unnütze Sorgen um mich.«
Dies war der letzte Augenblick, in dem er ihr das sagen konnte, was ihm eigentlich auf der Zunge lag:
»Was geht es uns an, Frona, uns beide, was die Welt sagt? Du bist eine Welse und hast deinen Kompass in der Brust, du brauchst nach Himmel und Hölle nicht zu fragen, wenn du etwas tust. Und wenn du es dir einfallen lässt, ganz ohne Kirche und Standesamt ein Kind zu bekommen, nur weil du eben ein Kind haben willst, dann wird es trotz allem ein Welse sein, und wir beide fragen den Henker danach, von wem es ist.«
Als die letzte Glut im Kamin zerfiel und die Wärme das Zimmer verließ, lag sie immer noch an seiner Brust. Er erzählte ihr, was sie eigentlich hören wollte, von ihrer Mutter, die ihr so heroisch das Leben gegeben hatte, von all den mutigen Welses, die vor ihm gelebt hatten, und von dem großen, einsamen Kampf bei Treasure City, in dem sein Vater den Tod gefunden.
*
Die lange vorbereitete Theatervorstellung fand statt und wurde ein so riesiger Erfolg, wie Dawson ihn höchstens einmal in jedem Jahre erlebte. St. Vincents Regiekunst war außer Zweifel. Er hatte aus all den ungefügen Menschen eine Art richtiger Schauspieler gemacht und schien selbst auf der Bühne ein Fachmann zu sein, kein Dilettant. Sie hatten »Nora« von Ibsen gespielt, nichts zum Lachen, sondern ein Stück, das die Menschen quälte und zugleich erhob. Unter seinem Einfluss, von seinem Talent mitgerissen, war Frona, die die Nora gab, weit über ihre Grenzen hinausgewachsen. Sie hatte Töne des Leides und der Leidenschaft gefunden, die jeden ergriffen.
Unter endlosem Beifall war der Vorhang gefallen. Dann sammelte Frau Sheffield die Honoratioren der Gesellschaft um sich und hielt die Kritik in so flammend begeisterten Ausdrücken, dass Jacob Welse sich ärgerte. Auch Dave Harney knurrte in das allgemeine Lob hinein, erstens sei das Stück wie vom Teufel gespielt worden, und zweitens sei es wirklich ein verdammt gutes Stück, und drittens hätte er schon, wer weiß wie lange, keinen so schönen Abend gehabt. Aber dann flüsterte er dem Polizeioffizier zu:
»So’n bisschen Schleiertanz hätte man schließlich auch gern gesehen. Und mehr Mädels, vor allem mehr Mädels! Und warum hat der Ibsen, oder wie der Bursche heißen mag, denn gar keine Schlager hineingedichtet?«
»Das hätte verdammt schlecht gepasst«, belehrte ihn Onkel Matt, der nicht hören konnte, dass man an irgendeiner Leistung Fronas Kritik übte. »Die Frona hat das so großartig gespielt«, sagte er, »so verdammt großartig, dass andere Mädels nur gestört hätten. Das gebe ich Ihnen schwarz auf weiß, wenn Sie es wollen.«
»Haben Sie Gummi gekauft?«
»Gummi?«
»Aber natürlich, was hab’ ich Ihnen denn geraten? Wenn das Tauwetter kommt, steigen die Gummistiefel ins Aschgraue, habe ich Ihnen gesagt. Dies Jahr kommen sie auf drei Unzen Gold das Paar, sonst fress’ ich alle alten Besen in Dawson City. Heute können Sie sie noch für eine Unze das Paar kaufen.«
»Der Teufel soll Sie und Ihre Gummischuhe holen!«
Aber damit war die Kunst für diesen Abend erledigt, und man sprach wieder von reelleren Dingen.
Gregory St. Vincent brachte Frona nach Hause. Als sie allein in der eiskalten Winterluft standen, schüttelte er sich, als müsste er alles abwerfen, was ihn da drin umgeben hatte, und sagte mit einem tiefen Seufzer: »Endlich!«
»Was endlich?«
»Endlich kann ich Ihnen sagen, wie wundervoll Sie die Nora gespielt haben! Vielleicht haben Sie Perlen vor die Säue geworfen, aber ich wenigstens war so ergriffen, dass ich selbst kaum weiterspielen konnte. Bei der großen Szene, in der Sie für immer aus meinem Dasein verschwinden …«
»… was war da?«
»Ja, da waren Sie nicht Nora, und ich war nicht Torwald, sondern wir waren Frona und Gregory. Wie Sie da auf einmal in Hut und Mantel vor mich treten und mit der Reisetasche in der Hand abgehen, da hat mir das Herz geblutet.«
Frona antwortete nicht. Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander. Der Zauber dieses Abends lag noch über ihnen; von der Begeisterung, mit der sie der Kunst gedient hatten, war noch etwas in ihrem Blut. Es war ein klarer Abend, nicht übermäßig kalt für zwei junge Menschen in dicken Wolfspelzen, die beide auf das Außen nicht achteten. Das Land lag ringsum in Licht gebadet, ein weiches Licht, dessen Quelle weder Stern noch Mond war. Am Horizont spannte sich von Südost nach Nordwest ein blassgrünes, leuchtendes Band; von ihm ging der matte Strahlenglanz aus. Plötzlich zeichnete sich, wie das Licht eines Scheinwerfers, ein Bündel weißer Strahlen auf dem nachtschwarzen Himmel. Für einen Augenblick war gespenstischer Tag; dann senkte sich noch tiefer die schwarze Nacht auf die Erde herab. Nur im Osten gärte es aus einem grünlichen, leuchtenden Nebelschleier, lichte Dämpfe brodelten empor, fielen wieder, als versuchten mächtige, körperlose Hände, den Äther an sich zu reißen. Einmal schoss eine zyklopische Rakete in feuriger Bahn vom Horizont bis zum Zenit empor und fiel wie in zitternder Flucht wieder auf die Erde herab.
Im Augenblick dieses flammenden Triumphes brach die Stille auf der Erde. Zehntausend Wolfshunde heulten zugleich all ihre Sehnsucht und ihren Hunger in die Luft. Frona schauerte zusammen. St. Vincent legte den Arm um sie. Jetzt jammerten die Wolfshunde nur noch leise, ihr Winseln war noch fürchterlicher als das einstimmige Klagegeheul. Es war, als ginge durch diese ganze Welt eine große unbezwingbare Furcht, als bebte aller Schmerz der Kreatur durch das Tal.
Frona legte sich fester in St. Vincents Arm und schloss die Augen. Da spürte sie die Furcht der Kreatur nicht mehr. Es zitterte in ihren Nerven von einem ganz neuen, fremden Gefühl, und das war Wonne.
»Muss ich noch Worte zu dir sprechen?« fragte er mit seiner tiefen Stimme, die eben erst alle Zuhörer im Theater entzückt hatte, und die jetzt so gedämpft, so ganz allein für sie klang.
»Nein, Gregory!«
*
»Ich kann dir so wenig bieten, Geliebte!« sagte der Mann, als er Frona bis zur Tür ihres Vaterhauses gebracht hatte. »Das unsichere Los eines immer wandernden Zigeuners …«