Gesammelte Werke. Джек ЛондонЧитать онлайн книгу.
seinen Mund über Wasser zu bekommen, aber es glückte nicht. Sie ließ den geliebten Kopf los, warf sich selbst in die eiskalte Flut, fühlte rings und fand die Stelle, an der sein rechter Arm zwischen die Balken geklemmt war. Die Balken konnte sie nicht heben, aber sie fand eine handliche Dachlatte – alles dauerte nur Sekunden –, presste sie zwischen die Balken und setzte mit der Kraft eines Mannes den Hebel an. Der erste Versuch missglückte, die kostbare Latte bog sich und knirschte drohend. Sie fand eine andere Lücke, in der sie den Hebel ansetzen konnte, beugte sich darunter, stemmte und drückte mit aller Kraft ihres Körpers. Der Arm ihres Vaters wurde frei! Mit Schmutz und Erde bedeckt, kam sein Gesicht zum Vorschein.
Jacob Welse schöpfte mühsam Atem, minutenlang brach und spuckte er das Wasser aus. Dann rieb er seine Augen und erkannte, dass sein Leben gerettet war.
»Das war nicht schlecht für ein kleines Mädel!«
Mit seinem Mund voll Schmutz und Erde küsste er Frona, dann spien sie beide lachend die Erde aus.
Courbertin kam um die Ecke des zusammengestürzten Hauses gesprungen.
»Das sein eine Bursche!« rief er begeistert. »Eine ganz rabiate Bursche! Hat sich bei die Fall seine Schädel eingeslagen, und seine Tabak ist weg. Jetzt er lamentieren nur um die Tabak!«
»Wir müssen warten, bis die anderen wiederkommen. Ich kann leider nicht mehr tragen helfen«, sagte Jacob Welse und wies auf seinen rechten Arm, der schlaff herunterhing. »Nur ein bisschen verstaucht. Nichts gebrochen. Aber für heute taugt er nichts mehr.«
*
Der Fluss schob seine Eisfülle ruhig weiter. Er war wieder im Fallen, aber an der Küste war eine drei Meter hohe Mauer von Eisschollen zurückgeblieben. Die großen Blöcke hatten sich zwischen gestürzten und noch aufrechten Bäumen, über die schlammbedeckten Wiesen hin, in das Land gewälzt wie der Auswurf eines titanischen Ungeheuers.
Die Sonne schien, dass die Eisberge dampften, sie flammten wie ein Berg von Diamanten, manchmal, hier und dort, kalbten sie, dann stürzten Türme und Minaretts, die in allen Farben des Regenbogens leuchteten, mit Brausen in die Flut zurück.
An einer offenen Stelle lag Courbertins Kanu, dort hatten sich alle Bewohner des »Split-up-Island« mit Ausnahme der drei Chechaquos und der beiden Kranken versammelt. Man hatte endlich wieder Zeit, an die Rettung des Verunglückten zu denken.
»Zwei Mann sind mehr als genug«, erklärte der Schotte Phillips. »Wenn drei im Kanu sind, kann man den Mann nicht mehr laden!«
»Wir müssen drei Mann sein, das wissen Sie so gut wie ich«, erwiderte Corliss.
»Nein, zwei sind mehr als genug, sage ich!«
»Ich fürchte auch, dass wir es zu zweit schaffen müssen«, erklärte Del Bishop.
Der Schotte machte ein zufriedenes Gesicht. »Absolut richtig. Und ich hab’ keine Angst, dass ihr es nicht ausgezeichnet schaffen werdet, mein Junge!«
»Einer von den beiden werden Sie sein, Phillips«, fuhr Corliss ihn an.
»Denke nicht dran! Es sind genug andere da!«
»Das stimmt leider nicht. Courbertin hat keine Ahnung vom Paddeln. St. Vincent kann offenbar nicht über das dünne Eis kommen. Herr Welse kann nicht mit, weil er den Arm nicht gebrauchen kann. Also machen wir zwei es, Sie und ich!«
»So, und der Riesenbengel da, der Bishop? Der kann anders paddeln als ich.«
Aber Frona wusste es besser.
»Bishop ist ein tapferer Kerl!« erklärte sie. »Vielleicht hat er mehr Mut im kleinen Finger als Sie in Ihrem ganzen Leichnam. Ich bin mit ihm gereist. Aber ich weiß, dass er vom Rudern nichts versteht und vom Paddeln erst recht nichts, und auf dem Wasser ist er überhaupt nicht viel wert.«
Der Schotte wurde blass: »Ich will nicht leugnen, dass ich leidlich paddeln kann, und aushalten tu ich schließlich auch, was ein anderer aushält. In Gottes Namen, dann wollen wir ein bisschen warten, bis der Fluss eisfrei ist.«
»Maul halten, du Feigling!«
Del war mit einer ledernen Lunge und einer Kehle aus Messing zur Welt gekommen. Als ihn jetzt die Wut packte, wurde der Schotte ängstlich und widersprach nicht mehr.
»Ich sehe offenes Wasser! Ich komme mit!« rief Frona. Im Augenblick riss Corliss sein dickes Flanellhemd herunter, um sich besser regen zu können. Frona warf Rock und Jacke ab und sah jetzt in ihren ledernen Reithosen wie ein junger, tüchtiger Bursche aus.
»Sie werden’s schaffen«, erklärte Del.
Jacob Welse trat besorgt an das Boot, um die Paddeln zu untersuchen.
»Willst du wirklich? …«
Frona nickte.
»Ihr Mädel hat Mut!« fiel Phillips ihr ins Wort. »An mir sollte es auch nicht fehlen, aber ich hab’ ein Weib und drei Kinder zu Hause.«
Gleich darauf wurde das Boot von einer flachen Eisscholle aus zu Wasser gelassen.
»In den Bug mit dir, Phillips!« kommandierte Del Bishop. Der Schotte stöhnte, aber er hörte Del Bishops schweren Atem in seinem Genick und wusste seinem Schädel die eisernen Fäuste zu nahe. Er gehorchte.
Frona setzte sich in den Stern und ergriff ihr Ruder: »Steuern kann ich!«
»Sie? Frona? …« fragte Corliss, der jetzt erst bemerkte, dass sie mitkommen wollte. Er sah Jacob Welse zweifelnd an, aber der Alte verzog keine Miene.
»Los jetzt!« rief Del ungeduldig.
1 Barriere, Absperrung <<<
7
Der dunkle Strom, der jetzt mit reißender Schnelligkeit zwischen kristallenen Eismauern dahinschoss, bot ein erhabenes Bild. Im Hintergrund reckten sich grüne Wälder in den leicht bewölkten Sommerhimmel, und über allem lag die Sonne, deren Hauch heiß war, wie aus einem Schmelzofen. Bei diesem Anblick erinnerte sich Corliss an ein Bild im Wohnzimmer seiner Mutter. Er sah sie plötzlich in einer ihrer häufigen Teegesellschaften zwischen all den weißhaarigen Damen und Herren, sah die bunten Teppiche vor Augen, die zierlichen Dienstmädchen, hörte die Kanarienvögel …
In seinem Rücken fühlte er eine Frau …, die Frau, um die seine Gedanken kreisten …, und nun zogen alle Frauen, denen er im Leben begegnet war, im Geiste an ihm vorüber. Sie schienen ihm blasse, schwach leuchtende Gespenster, alle, im Vergleich mit dieser zarten, schlanken Frona, die hinter ihm den Riemen führte, um das Boot