Heimatkinder Staffel 3 – Heimatroman. Kathrin SingerЧитать онлайн книгу.
breitschultrige Gestalt des Forstmeisters.
»Julia, wo steckst du denn?« Die Worte klangen nicht unwillig, sondern besorgt. Das Glück leuchteten aus den dunklen Augen des Mannes. Doch als er seinen Bruder und seine junge Frau so eng beieinanderstehen sah, huschte ein Schatten über seine Züge.
Julia wandte sich um und taumelte ihm entgegen. »Matthias, warum hast du mir verschwiegen, dass Heidi und Carsten nicht deine Kinder sind? Warum hast du es mir nicht gesagt? Warum nicht?«
Matthias Hartmann wirkte plötzlich wie ein ertappter, schuldbewusster Schulbub.
Er suchte nach Worten, holte tief Luft.
»Du hast – du hast mich nie so direkt danach gefragt.«
Björn lachte spöttisch auf und ging auf seinen Bruder zu, geduckt wie ein Tiger auf dem Beutepfad, als wolle er Matthias anspringen. »Die Wahrheit ist, Bruderherz, dass du Julia in eine Falle gelockt hast.«
»Bist du übergeschnappt?«
»Durchaus nicht, ich habe meine sieben Sinne beisammen. Die Kinder waren das Lockmittel. Julia hätte dich nie und nimmer geheiratet, wenn sie gewusst hätte, dass Heidi und Carsten meine Sprösslinge sind!«
Matthias starrte entgeistert auf seine Frau.
»Ist das wahr?«, fragte der Förster schließlich gepresst.
Sie stand zwischen den beiden Brüdern wie ein hilfloses Lämmchen zwischen zwei Raubtieren. Gehetzt irrte ihr Blick hin und her. Der Brautschleier verfing sich in den tief herabhängenden Zweigen der Birke.
»Ich weiß es nicht!«, rief sie verzweifelt. »Alles passte so gut zusammen, ich mag dich – aber natürlich haben auch die Kinder eine große Rolle gespielt.«
»Es wird sich in unserem Leben ja nichts ändern«, erwiderte Matthias ruhig. »Björn weiß es sicher zu schätzen, dass Heidi und Carsten ein gutes Zuhause und eine liebevolle neue Mutter gefunden haben.«
»Aber er hat gesagt …«, keuchte Julia außer sich, »er hat gesagt, dass er auf seine Kinder nicht verzichten will!« Ihre Augen flackerten vor Angst.
»Ach, das ist ja ganz neu!« Matthias maß seinen jüngeren Bruder mit einem misstrauischen Blick. »Bisher war von übertriebener Vaterliebe nie die Rede. Und auch gar nichts zu bemerken.«
Björn hob die Faust, als ob er auf Matthias einschlagen wollte. »Lüg nicht! Es ist erst ein paar Wochen her, da habe ich gesagt, dass ich die Kinder zu mir nehmen werde, sobald ich die passende Gefährtin gefunden habe. Ist das wahr, oder nicht?«
»Du wolltest mich damit beruhigen, weil du annahmst, die Kinder wären mir eine Last.«
»Nein, mein lieber Matthias, du irrst dich. Ich habe es ernst gemeint. Und inzwischen ist das eingetreten, worauf ich heimlich immer gewartet habe.«
»Nun?«
»Ich habe die Richtige gefunden.«
»Tatsächlich? Und du bist überzeugt, dass sie auch die richtige Mutter für die Kinder ist?«
»Allerdings. Denn die Richtige, von der ich spreche, ist Julia!«, stieß er hervor.
Das Gesicht des Forstmeisters lief hochrot an. »Du vergisst offenbar, dass Julia meine Frau ist.«
»Ich liebe Julia, und sie liebt mich. Sie ist in die Kinder vernarrt, und darum hat sie den schlimmsten Fehler ihres Lebens gemacht, nur darum«
»Nein!«, wimmerte Julia, »nein!«
Sie presste beide Hände an die Ohren. »Ich kann das alles nicht mehr hören. Björn, ich bitte dich, lass mir die Kinder. Bitte!«
»Ich werde nichts überstürzen, aber dass ich euch meine Kinder für immer überlasse – das kommt natürlich gar nicht infrage!«
Julia stürzte davon. Sie raffte ihr langes weißes Brautkleid hoch und stolperte, wie von Furien gehetzt, durch den Garten ins Haus. Das fröhliche Lachen und Stimmengewirr, das ihr entgegenschlug, verursachte ihr Übelkeit. Unbemerkt hastete sie die Treppen hinauf bis zum Dachboden. Dort ließ sie sich auf einen Stuhl mit gedrechselter Lehne sinken. Ein Albtraum?
Sie biss sich in die Unterlippe, dass sie aufstöhnte. Also kein Traum, sondern schreckliche Wirklichkeit!
Sie hatte aus Versehen den falschen Mann geheiratet! Welch eine Ironie des Schicksals! Björn, vor dessen leidenschaftlicher Liebe sie fliehen wollte, wäre der Richtige gewesen. Er war der Vater der Kinder, die sie so liebte!
Aber es war erst wenige Stunden her, seit sie Matthias vor dem Altar die Treue versprochen hatte.
»… bis dass der Tod euch scheidet.«
Sie stöhnte ihre Verzweiflung heraus, grub die Zähne in die Fingerknöchel. Was sollte sie nur tun? Ihren Mann verlassen?
Das Bild vor ihren Augen verschwamm. Sie musste sich mit aller Gewalt zusammenreißen, um nicht ohnmächtig zu werden.
Eine Viertelstunde später schritt sie die Treppen hinab und mischte sich wieder unter die Gäste, die feucht-fröhlich feierten. Niemand bemerkte die Zerrissenheit ihres Herzens. Irgendwie gelang es ihr, die Zeit bis zur Abfahrt der Gäste durchzustehen. Lächeln – lächeln! Am liebsten hätte sie sich wie ein verwundetes Tier in einen finsteren Winkel verkrochen, um sich auszuweinen.
Heidi und Carsten waren an diesem Abend rechtschaffen müde. Julia brachte sie zu Bett – ihre Kinder.
Ihre Kinder? Welch ein groteskes Missverständnis! Oder tatsächlich eine Falle – wie Björn behauptet hatte?
Als Heidi in den Kissen lag, streckte sie die Händchen nach Julia aus. Die junge Frau beugte sich nieder. Das Kind schlang die Ärmchen fest um ihren Hals und flüsterte: »Tante Julia, dürfen wir jetzt Mami zu dir sagen?«
Diese Frage versetzte Julia fast einen Schock. Welch ein seliger Moment wäre dies gewesen, wenn das Schicksal sich nicht auf so grausame Weise gegen sie verschworen hätte!
Sie konnte die Kinder unmöglich enttäuschen. »Natürlich dürft ihr«, erwiderte sie und schluckte den Kloß, der in ihrer Kehle steckte, gewaltsam hinunter. »Ich freue mich.«
Als sie sich aufrichtete, stand Carsten im Schlafanzug vor ihr und meinte ernsthaft: »Keiner von den anderen Kindern hat eine so hübsche Mami wie wir.«
»Und keine ist so lieb!«, rief Heidi eifrig.
»Schön, dass ihr mit mir zufrieden seid, meine Schätzchen!«, lächelte Julia, und unhörbar setzte sie hinzu: »Hoffen wir, dass uns allen schlimme Enttäuschungen erspart bleiben.«
Nachdem die Kinder ihr Gutenachtgebet gesprochen hatten, musste Julia sie noch einmal zärtlich an sich drücken, denn beide steckten sehnsüchtig die Arme aus. Die Kinder waren glücklich an diesem Tag – wenigstens die Kinder.
Wie lange noch?
Als Julia das Kinderzimmer verließ, kam ihr das sonst so behagliche Forsthaus wie ein unheimliches Verlies am Ende der Welt vor. Hier war sie gefangen mit ihren Nöten und ihrer Verzweiflung. Sie hatte geglaubt, am Ziel ihrer Wünsche zu sein, und musste feststellen, dass sie völlig in die Irre gelaufen war.
Matthias kam ihr entgegen – ihr Mann.
Er wirkte müde, als schleppe er eine ungeheure Last auf den Schultern.
»Julia, du wirst sehen, alles wird gut«, begann er mit dumpfer Stimme und legte den Arm um sie.
»Woher nimmst du diesen Optimismus?«
»Die Drohungen, die Björn ausgestoßen hat, waren sicher nicht ernst gemeint. Was soll er mit den Kindern anfangen? Du wirst sehen, wenn er sich innerlich erst einmal beruhigt hat, wird er einsehen, dass Heidi und Carsten bei uns am besten aufgehoben sind. Warten wir’s ab.«
»Wahrscheinlich hast du recht.«
»Björn hat mir neulich erst erzählt, dass es keine Frau in seinem Leben gibt, die er heiraten