Eine Mutter. Gerstäcker FriedrichЧитать онлайн книгу.
ein ziemlich guter Haushalter und – sonderbarer Weise – fast der Einzige oder doch einer der Wenigen vom ganzen Theaterpersonal, der in Haßburg keine Schulden hatte.
Das ganze Logis bestand nur aus zwei neben einander liegenden Stuben, jede mit einem kleinen Alcoven versehen, dann einer etwas engen und nur nothdürftig erleuchteten Küche, und einer kleinen Holzkammer.
Die eine Stube hatte Pfeffer selber zum Studir- und Wohnzimmer inne, in dem daranstoßenden Alcoven schlief er. In dem andern Zimmer wohnten Mutter und Tochter, und es wäre kaum möglich gewesen, sich zwei sonst ganz gleiche Räumlichkeiten verschiedener zu denken, als diese zwei sich zeigten.
Das Zimmer der Frauen glich einer Puppenstube. Die allerdings sehr zerwaschenen Gardinen waren schneeweiß; ebenso der sorgsam gescheuerte Boden. Kein Stäubchen lag auf irgend einem der sauber polirten Erlenmöbel. Überall herrschte die größte, ja, fast peinliche Ordnung, und nur auf einem schmalen Arbeitstisch am Fenster, an dem Henriette saß und einen geschmackvollen Kranz von künstlichen Veilchen und Schneeglöckchen zusammenstellte, lagen die verschiedenen zu ihrer Arbeit nöthigen Ingredienzen ebenso durcheinander, wie es die Arbeit gerade mit sich bringt.
An Allem sah man, daß hier sorgliche und ordnungsliebende Frauenhände walteten – und wie lag dagegen das Nachbarzimmer!
Dort wirthschaftete Onkel Pfeffer, und zwar als unumschränkter Gebieter der Räumlichkeit, über welche man aber nicht gleich beim ersten Betreten des Zimmers einen vollkommenen Überblick bekam, da eine permanente Wolke von Tabaksqualm den überhaupt nicht sehr hellen Raum in ein ewiges, geheimnißvolles Halbdunkel hüllte. Hatte man sich aber erst daran gewöhnt und war nicht gleich beim ersten Betreten dieses künstlerischen Heiligthums über einen Haufen dicht an der Thür liegender Broschüren, Bücher und Schriftstücke gestolpert, so erschien Fürchtegott Pfeffer, wie der heraufbeschworene Geist eines Zauberers, mit in Papilloten rund herum fest eingewickelten Haaren, in einem sehr schmutzigen, langen, wattirten Schlafrock, die lange Pfeife in der Linken, eine offene »Rolle«, aus der er memorirte, in der rechten Hand, und blieb dann jedesmal – beide Arme vor sich haltend und mit einer Bewegung etwa mitten in der Stube stehen, als ob er hätte sagen wollen: Na, wer stört mich nun wieder?
Die Stube selber befand sich nicht allein in einer künstlerischen, sondern sogar in einer künstlichen Unordnung, gegen die aber weder Schwester noch Nichte einschreiten durften. Pfeffer behauptete nämlich – und vielleicht nicht ganz mit Unrecht –, sobald einmal bei ihm aufgeräumt würde, fände er nie mehr, was er suche, und es sei nachher eine Heidenarbeit, sein Studirzimmer wieder in den Stand zu setzen, wie er es allein brauchen könne, das heißt: in ein wahres Chaos von lauter benutzten und unbenutzten Dingen.
Die Gardinen waren jedenfalls, als sie am Ersten des Monats aufgemacht worden, eben so rein und weiß gewesen, wie in der Nachbarstube; wenn aber auch erst drei Wochen dazwischen lagen, so sahen sie doch jetzt schon entsetzlich aus. Ein schwarzer Reif schien auf sie gefallen zu sein – wie ein Trauercouvert mit schwarzen Rändern hingen sie von der Decke nieder, und noch immer zog der dicke Qualm zu ihnen empor und setzte sich den vorangegangenen Rußtheilchen an.
An den Wänden hingen eine Menge Bilder von theatralischen Größen, alle jedoch nur in einfach braunen oder schwarzen Rahmen. Was aber die Kunst getrennt, hatte die Kunst hier wieder vereint, denn über dem kleinen, mit buntem Kattun bezogenen Sopha nahmen Bogumil Dawison und Emil Devrient den Ehrenplatz ein, ja, ein Lorbeerkranz verband sogar Beide mit einander.
Dort hingen auch Ludwig Löwe und Laroche, dort hingen die Charlotte Ackermann, die alte Schröder und eine Menge berühmter Schauspieler und Schauspielerinnen; dort hingen Schiller, Göthe, Lessing, Iffland – aber kein einziges Bild eines Tenoristen oder einer Primadonna, und noch viel weniger eins, das nur im Entferntesten auf die Posse Bezug gehabt hätte.
Pfeffer haßte nicht allein die Oper, sondern auch die Posse, und war vielleicht gerade deshalb ein so ausgezeichneter Komiker, weil er seine Rolle mit einer solchen Erbitterung – ja, mit einem wahrhaft tödtlichen Haß abspielte, gewissermaßen, um sie nur los zu werden.
Außerdem stand in der Stube noch ein alter Schreibtisch aus Nußbaumholz, aber von oben bis unten mit Büchern, Rollen, Costümbildern, Zeitungsblättern wie allen nur erdenklichen Rauchapparaten, als Tabakskasten und Beutel, Pfeifenröhren, Cigarrenspitzen etc., bedeckt. Den Nipptisch in der Stube bildete aber die Commode mit einem Photographie-Album im Centrum. Rechts davon stand ein unbenutzter Mahagoni-Tabakskasten mit gestickten Seitenwänden, neben ihm ein gesticktes Uhrgehäuse, links eine eben solche Cigarrentasche, wie ein mit Silber beschlagener, guter Meerschaumkopf in geöffneter Kapsel – Alles mit dichtem Staub bedeckt, denn abwischen durfte es Niemand.
Zwischen den beiden Fenstern, über einem kleinen Wandschrank, war auch ein Spiegel angebracht, der Vorhang aber von beiden Seiten so gesteckt worden, daß er den obern, also benutzbaren Theil desselben vollkommen bedeckte und nur den untern sichtbar ließ, den Pfeffer brauchte, wenn er sich rasirte.
Zwischen den beiden Stuben die er und seine Schwester bewohnten, bestand eine Verbindungsthür, aber sie schien cassirt zu sein. Es hing wenigstens auf seiner Seite eine dicke wollene Decke davor, und ein kleines Büchergestell war so angebracht, daß es den untern Raum vollkommen ausfüllte. Aber nicht deshalb war es etwa geschehen, weil sich Bruder und Schwester nicht vertragen hätten – im Gegentheil, es gab kaum zwei Geschwister, die sich zärtlicher liebten, wenn sich auch Pfeffer selber etwas Derartiges nie merken ließ. Wäre aber die Thür benutzt gewesen, so hätte der fortwährende und furchtbare Tabaksqualm auch unfehlbar in das andere, von den Damen bewohnte Zimmer hineinziehen müssen, und Pfeffer selber that da Einspruch.
So verkehrten sie denn, wenn auch nicht so rasch, doch eben so häufig durch den kleinen Vorsaal mit einander, der draußen auf die Treppe ausmündete und dadurch dem Tabaksrauch einen freien Abzug gab, ohne in das Zimmer der Schwester zu dringen. Nach einem stillschweigenden Übereinkommen betrat er deshalb auch nie das Nachbarzimmer mit seiner Pfeife – wenigstens nie, wenn die Fenster geschlossen waren. An warmen Sommertagen, wenn diese weit geöffnet standen, kam er aber doch auch manchmal einen Moment »als Schornstein«, wie er es selber nannte, hinüber, blies den Qualm ein paar Minuten dort in's Freie hinaus und kehrte dann in sein »Rauchnest« zurück – oftmals, ohne auch nur eine einzige Silbe gesprochen zu haben. Heute Morgen war er in besonders schlechter Laune, denn die zahlreichen Musikbanden, von denen manchmal zwei zu gleicher Zeit verschiedene Melodien unter seinem Fenster bliesen, hatten jedes Memoriren unmöglich gemacht. Was half es ihm, daß er die Fenster fest verschlossen hielt und die Rouleaux selbst herunter ließ, um so wenig als möglich von dem Treiben da unten zu hören und zu sehen! Die schrillen Töne drangen doch hindurch, und der Tabaksqualm wurde zuletzt so dicht und arg, daß er es selber nicht mehr darin aushalten konnte.
Mit einem halb verbissenen Fluche zog er die Rouleaux wieder in die Höhe, stieß die Fensterflügel auf und ging dann, sein Zimmer auch durch die geöffnete Thür lüftend, einen Augenblick zu seiner Schwester hinüber, wo er an eins der weitgeöffneten Fenster trat.
»Du kannst wohl heute bei dem Lärm nicht arbeiten, Onkel?« fragte ihn das junge Mädchen, das in einfach bürgerlicher, fast etwas dürftiger Tracht an einem kleinen Tisch am Fenster saß und künstliche Blumen zusammenstellte. Sie sah ihm wohl an, daß er mürrisch und verdrießlich war, konnte aber in solchen Fällen noch immer am besten mit ihm auskommen.
»Arbeiten,« knurrte Pfeffer an seiner Pfeifenspitze vorbei und schoß erst eine Anzahl von Rauchringeln in die blaue, sonnige Luft hinaus – »arbeiten, bei dem Skandal? Es ist ordentlich, als ob sie Einem das Gehirn auseinander trieben. Das halte ich auch nicht länger aus. Gott straf' mich, morgen kündige ich das verwünschte Logis und ziehe an's andere Ende der Stadt! Lieber doch oben auf einem Thurm und eine Meile vom Theater wohnen, als hier in diesem Sodom und Gomorrha!«
Henriette lächelte leise vor sich hin, denn den nämlichen Entschluß faßte der Onkel an jedem solchen Markt, hütete sich aber wohl, ihn je auszuführen; denn die Wohnung lag ihm selber viel zu bequem und nahe beim Theater, um sie leichtsinnig aufzugeben. Er war eben verdrießlich heute, und da mußte man ihn austoben lassen; er wurde auch schon von selber wieder gut.
Jetzt