Mami Staffel 5 – Familienroman. Eva-Marie HornЧитать онлайн книгу.
und klemmte sie sich genau wie die Mappe unter den Arm. Mit einem freundlichen Gruß verabschiedete er sich von den Kollegen.
Die meisten Schüler hatten inzwischen das Gebäude bereits verlassen und strebten in kleinen Gruppen ihrem Heim zu. Einige von ihnen wurden von ihren besorgten Müttern abgeholt. Eine lange Schlange Autos hielt am Straßenrand. Daß auch Heidis Fahrzeug darunter war, fiel Jens nicht auf.
Mit langen Schritten durchquerte er die Pausenhalle und trat ins Freie.
»Papa!« rief es laut hinter ihm her.
Jens zuckte erschrocken zusammen. Es gab keinen Zweifel, dieser Ruf galt ihm. Wie peinlich, wenn die Kollegen das hörten. Sie wußten doch alle, daß er nicht verheiratet war. Jens dachte daran, einfach weiterzugehen und so zu tun, als habe er nichts gehört.
Doch dann hallte dieses eine Wort erneut über den Platz vor der Schule. »Papa!«
Ein kleines Mädchen rannte Seeger nach: Conny. Der blonde Pferdeschwanz flog nur so, der Inhalt des Schulranzens klapperte.
Im nächsten Moment war das Kind neben Jens und schaute mit freudig leuchtenden blauen Augen zu ihm auf. Die schmalen Wangen waren vom raschen Laufen gerötet. Connys Atem ging schnell.
Der junge Lehrer blieb stehen und lächelte etwas unsicher. Bestimmt gab es zahlreiche Lehrkräfte und noch viel mehr Schüler, die diese Szene beobachteten. Man würde ihn darauf ansprechen.
»Das mit dem Vogelnest war super. In unserem Garten ist auch eines, in dem kein Vogel mehr wohnt. Es hängt in der großen Tanne. Soll ich es mitbringen?«
»Nur, wenn du es gefahrlos erreichen kannst. Ich möchte nicht, daß du auf eine Leiter steigst.«
»Ich kann es mit einem Stab herunterschlagen. Oder du holst es. Ja, bitte. Dann kann ich dir auch mein neues Fahrrad zeigen.«
»Ich glaube, das wäre deiner Mutti nicht recht. Was macht der Knöchel?«
Sofort dachte Conny an den gestrigen Tag, den sie auf der Couch hatte verbringen müssen. Das war sehr ärgerlich gewesen. Besonders deshalb, weil Conny diese Maßnahme selbst verschuldet hatte. »Der Knöchel, och, der ist wieder heil.« Conny hüpfte davon. In einiger Entfernung drehte sie sich nochmals um und winkte ihrem ›Papa‹ zu.
Jens setzte seinen Weg mit langen Schritten fort. An der Straße fuhr inzwischen ein Auto nach dem anderen weg.
»Steig ein!« rief es aus einem türkisfarbenen Kleinwagen, als Jens näherkam. Erst jetzt erkannte er, daß Heidi auf ihn wartete. Er konnte sich nicht darüber freuen, da er sofort wußte, daß es Probleme geben würde.
»Wer war das Mädchen?« fragte seine Freundin gleich nach der Begrüßung.
»Eine Schülerin der dritten Klasse. Sie will mir noch ein zweites Vogelnest besorgen.« Jens hoffte, daß Heidi nicht mehr wissen wollte.
Doch sie gab sich nicht so schnell zufrieden. »Die Kleine hat dich ›Papa‹ genannt. Ist sie deine Tochter?« Mißtrauisch sah Heidi den jungen Lehrer von der Seite her an. »Du hast mir doch erzählt, daß du frei und ungebunden wärst.«
»Bin ich ja auch.«
»Nicht, wenn du ein Kind hast. Zahlst du für das Mädchen? Und was ist mit der Mutter? Siehst du sie noch?«
»Conny ist nicht meine Tochter. Und ihre Mutter habe ich nur einmal gesehen.«
»Das genügt ja«, geiferte Heidi. »Außerdem kannst du mir nicht erzählen, daß ein Kind seinen Lehrer freiwillig Papa nennt. Das gibt es nicht.«
»Hätte ich auch gedacht. Wie Conny auf die Idee kommt, ist mir wirklich schleierhaft. Sie ist das Kind, das sich in der Sportstunde den Knöchel verstaucht hat. Ich wollte dir ja davon erzählen, aber du hast mir nicht zugehört. Ich schwöre dir, daß ich weder Conny noch Frau Eschenbach zuvor kannte.«
»Eschenbach? Doch nicht die Besitzerin der bekannten Fabrik für Gartenmöbel?« Heidi stand mit ihrem Fahrzeug noch immer am Straßenrand. Ungeduldig klopfte sie mit ihren Fingern aufs Lenkrad.
»Doch, ich glaube schon.« Jens war bereit, von seinem Besuch in der alten Villa zu erzählen.
Doch davon wollte Heidi gar nichts wissen. »Man hört, daß sie mit ihrem Geschäftsführer liiert sein soll. Dieser eitle Pfau ist bei uns im Tennisclub. Schmeißt mit den Moneten nur so um sich. Jedes Jahr ein neues Auto, und immer der teuerste Schlitten. Ständig reist er durch die Welt, dieser Udo Braun, und gibt an wie ein arabischer Ölscheich. Er würde demnächst Frau Eschenbach ehelichen, hat er in der Club-Gaststätte erzählt. Vermutlich wollte er Kredit schinden, der Angeber.«
Heidis Bericht war für Jens irgendwie belastend. Er konnte sich nicht vorstellen, daß eine Frau wie Connys Mutter einen Kerl heiratete, der offensichtlich nur seine eigenen Interessen im Kopf hatte. Merkte sie denn nicht, daß er ihr etwas vormachte? Für Conny hatte er bestimmt auch nichts übrig. War es da verwunderlich, daß sie sich einen anderen Vater suchte? Das Kind war zu bedauern, obwohl es ihm eigentlich an nichts fehlte.
Da ihn Heidi noch immer forschend ansah, schob Jens seine Überlegungen zurück. »Auf jeden Fall ist damit klar, daß ich nichts mit der Mutter meiner Schülerin habe. Und wenn mich das Kind Papa nennt, dann hat das rein gar nichts mit meiner Vergangenheit zu tun. Es ist nur eine Laune des Mädchens.«
»Hoffentlich«, murmelte Heidi, noch immer nicht ganz überzeugt. »Ich habe nämlich überhaupt keine Lust, einen Mann zu heiraten, der noch zehn Jahre lang Alimente zahlen muß.«
»Willst du mich denn überhaupt heiraten?« fragte Jens, der nicht so richtig wußte, ob dies auch sein Wunsch war. Gewiß war Heidi eine reizvolle Frau, mit der das Leben ganz bestimmt nicht langweilig wurde. Aber würde er ihre Art, ihn zu bevormunden, immer ertragen?
»Warum wohl bin ich mit dir zusammen und nicht mit Bulli? Weil ich mir vorstellen könnte, mein ganzes Leben mit dir zu verbringen. Du bist zuverlässiger und gewissenhafter als er. Lach’ nicht, das ist wichtig für mich.«
»Für mich auch.« Jens, froh darüber, daß die Diskussion damit beendet war, gab Heidi einen Kuß auf die Wange. »Fahr’ los«, forderte er seine Freundin auf, »ich lade dich zu Spaghetti ein!«
»Um in diesen Genuß zu kommen, lohnt es sich natürlich, einen Zahn zuzulegen«, lachte Heidi und startete mit pfeifenden Reifen.
*
Peter Simon hatte sich vom Flughafen aus in ein Hotel bringen lassen, um die Zeitumstellung durch ausgiebiges Schlafen zu überbrücken.
Am nächsten Tag nahm er einen Leihwagen und fuhr zur Villa
Eschenbach. Dort war alles fast unverändert. Das helle Gebäude, im Jugendstiel errichtet, strahlte Ruhe und Würde aus wie eh und je. Der parkartige Garten ringsum war gepflegt wie zu der Zeit, da Gudruns Eltern noch lebten. Die Bäume waren etwas höher geworden und die üppig blühenden Forsythien dichter. Nur die Schaukel im hinteren Teil des Gartens war neu.
Flüchtig dachte Peter an das Kind, das sie benutzte, seine kleine Tochter. Er hatte keine Beziehung zu ihr. Als er damals Deutschland verließ, war Cornelia noch ein Kleinkind, das noch nicht sprechen konnte. Seither hatte er das Mädchen nicht mehr gesehen, auch nicht auf Fotos.
Die Haushälterin öffnete auf sein Klingeln. Auch sie war noch dieselbe, allerdings erkannte sie Peter nicht. Das lag daran, daß sie mit seinem Auftauchen nicht rechnete. Die Chefin sei im Büro, gab sie Auskunft und schloß die Tür gleich wieder, da sie den dunkelhaarigen, braungebrannten Mann wohl für einen Ausländer hielt.
Über solche Reaktionen amüsierte sich Peter. Er fuhr zum Werk, das sich in der Zwischenzeit erstaunlich vergrößert hatte. Moderne Produktionsstätten und ein Bürogebäude aus Glas und Stahl vermittelten den Eindruck, daß das Unternehmen gut florierte.
Peter pfiff anerkennend durch die Zähne. Er hatte schon immer gewußt, daß Gudrun tüchtig war. Aber er hätte nie gedacht, daß sie so viel Geschäftssinn besaß.
Dem Mann an der