Der kleine Fürst Staffel 6 – Adelsroman. Viola MaybachЧитать онлайн книгу.
haben Sie sich geirrt«, erwiderte sie leise. »Ich hätte mich sehr gern mit Ihnen getroffen, aber ich wollte Ihnen von dieser Geschichte nichts erzählen. Elise und Joseph waren in Gefahr, ich durfte nicht über sie reden, bis ich sie in Sicherheit wusste. Es gab viele Probleme – ich war ziemlich unter Druck.«
»Ja, das habe ich jetzt verstanden. Sie sind sehr mutig.«
»Eigentlich nicht«, widersprach sie. »Es gab nur keine andere Möglichkeit, ihnen zu helfen. Was meinen Sie, welche Ängste ich ausgestanden habe, als ich die Zwillinge als meine Kinder ausgegeben habe, mit gefälschten Papieren. Ich habe buchstäblich Blut und Wasser geschwitzt.«
»Ich glaube, ich kann es mir vorstellen«, lächelte Konstantin. »Wenn ich das richtig verstanden habe, können wir uns jetzt also verabreden?«
»Wozu?«, fragte sie. »Wir sehen uns doch sowieso dauernd, so lange wir hier auf Sternberg sind. Stimmt es übrigens, dass Sie von einigen Freunden ›Tino‹ genannt werden?«
»Ja – und Sie sind Tina.«
»Klingt wie ein Artistenduo beim Zirkus«, lachte sie.
Ein einziger langer Blick, den sie tauschten, genügte, um alle noch offenen Fragen zu beantworten. Behutsam zog Konstantin Bettina in seine Arme. »Das habe ich mir schon während deines Vortrags gewünscht«, sagte er leise.
»So früh schon?«, wunderte sie sich. »Ich muss allerdings gestehen, dass du mir auch schon aufgefallen bist, während ich am Rednerpult stand. Und später dann, im Restaurant, da war es um mich geschehen.«
»Es ist dir aber ziemlich gut gelungen, das vor mir zu verbergen«, sagte Konstantin, und dann küsste er sie endlich. Es wurde ein langer, inniger Kuss, mit dem sie einen Schlusspunkt unter die Missverständnisse der Vergangenheit setzten. Diesem ersten Kuss folgten viele weitere, sie vergaßen Ort und Zeit – und sie bemerkten nicht einmal, dass mehrmals jemand kam, nach ihnen Ausschau hielt und sich rasch wieder zurückzog, mit einem Lächeln auf den Lippen.
Nur Elise und Joseph blieben einen Moment lang stehen und sahen dem Liebespaar zu. Niemandem gönnten sie ein solches Glück mehr als der Frau, die ihnen so selbstlos geholfen hatte.
*
»Henning hat es von Anfang an geahnt«, sagte Alexa. Sie und ihr Mann waren gleich am nächsten Tag nach Sternberg gefahren. Nun saßen die beiden Frauen allein auf der Terrasse und ließen die Ereignisse der letzten Tage Revue passieren. »Zuerst wollte ich ihm nicht glauben, aber er hat ja Recht behalten.«
»Bei uns war es Chris, der zuerst angefangen hat zu zweifeln«, berichtete die Baronin.
Sie wechselten einen verständnisinnigen Blick, während sie Elise und Joseph zusahen, die ihre Kinder kaum eine Minute aus den Augen ließen. Sie hielten sich an den Händen und schienen ihr Glück immer noch nicht fassen zu können, dass sie endlich wieder mit Miriam und Paul vereint waren. Paul hatte sich im Übrigen kurz zuvor ein Beispiel an seiner Schwester genommen und etwas gesagt, das entfernt wie ›Papa‹ geklungen hatte. Josephs Rührung war unbeschreiblich gewesen.
Anna steuerte mit Christian und Togo den Familienfriedhof an. »Und wir haben die ganze Zeit Deutsch mit Miriam und Paul gesprochen, Chris. Das konnten sie doch überhaupt nicht verstehen!«
»Ich glaube, das war nicht so schlimm«, erwiderte der kleine Fürst. »Tina hat, wenn sie mit ihnen allein war, bestimmt alles auf Französisch noch mal erzählt.«
»Glaubst du?«
»Ganz bestimmt!«
Friedrich und Henning machten einen Rundgang durch die Ställe. »Gut, dass der Spuk vorbei ist«, brummte Henning. »Alexa war außer sich, Fritz.«
»Nun ja, zwei schwarze uneheliche Kinder – das bietet auch heute in unserer aufgeklärten Zeit noch Anlass für einige Aufregung, Henning. Ein Leben als allein erziehende Mutter ist sicherlich niemals leicht, und daran wird Alexa gedacht haben.«
»Ja, sicher«, gab Henning zu. »Aber weißt du was? Ich habe die beiden Racker richtig ins Herz geschlossen – sie wären mir als Enkel sehr willkommen gewesen.«
Der Baron lachte. »Sag deiner Tochter das!«
»Zu spät«, schmunzelte Henning. »Sie hat ihr Herz an Herrn von Klawen verloren – diese Verbindung wird uns wohl kaum schwarze Enkelkinder bescheren.«
Friedrich staunte. Das war ihm tatsächlich bisher entgangen.
Ein Blick ins Labyrinth, das sich in der Mitte des Parks befand, hätte freilich genügt, ihm zu sagen, dass Henning Recht hatte: Er hätte Bettina und Konstantin in zärtlicher Umarmung sehen können.
»Ich liebe dich, Tina.«
»Und ich liebe dich, Tino.«
»Am liebsten würde ich dich nie mehr loslassen.«
Bettina lachte leise und schmiegte sich an den geliebten Mann. »Dann bleiben wir eben für immer hier an dieser Stelle stehen«, sagte sie und küsste ihn. »Denn wo du bist, da will ich auch sein.«
»Heiraten wir, Tina? Ich möchte, dass du meine Frau wirst.«
Sie nickte nur, das war ihm Antwort genug. Sie blieben noch lange im Labyrinth, bis es schließlich kühl wurde.
»Wir kommen morgen wieder her«, schlug Bettina vor. »Aber jetzt lass uns hineingehen, ja? Außerdem werden wir vielleicht schon vermisst.«
Sie suchten den Ausgang des Labyrinths – und fanden ihn nach einigen vergeblichen Versuchen schließlich auch. Als sie sich dem Schloss näherten, hörten sie lebhafte Stimmen und Gelächter.
»Hier ist das Glück zu Hause«, sagte Bettina leise.
Er legte einen Arm um ihre Schultern, sie schlang ihren um seine Hüfte. Eng aneinandergeschmiegt kehrten sie zu den anderen zurück.
»Was meinst du, Albert?«, fragte Kurt Wille. »Schaffen wir das bis heute Abend?«
Die junge Frau, die er mit »Albert« angesprochen hatte, schob sich ihren Bauhelm in den Nacken und betrachtete nachdenklich den noch nicht vollendeten Brückenpfeiler. Sie hatte dunkle kurzgeschnittene Haare, ebenfalls dunkle Augen und ein sehr ausdrucksvolles Gesicht. Wer sie nur flüchtig ansah, konnte sie zunächst für einen jungen Mann halten, zumal sie wie alle anderen hier einen Blaumann trug. Erst bei näherem Hinsehen fielen der volle Mund, die weiche Rundung ihrer Wangen und ihre zarte Haut auf. »Ja«, beantwortete sie die Frage ihres Kollegen jetzt mit großer Entschiedenheit. »Wenn wir uns ranhalten, schaffen wir das!«
»Ihr habt es gehört, Jungs!«, dröhnte Kurt, ein blonder Riese mit hellblauen Augen und beeindruckend breitem Kreuz. »Zeigen wir den Bürohengsten mal, wozu echte Männer imstande sind!« Er grinste. »Entschuldige, Albert, ist nicht persönlich gemeint.«
»Weiß ich doch, Kurt!« Albertina von Braun lachte vergnügt, dann drehte sie sich um und ging wieder an die Arbeit. Sie war schneller als die meisten ihrer männlichen Kollegen, und sie hatte sich deren Respekt innerhalb kürzester Zeit verschafft. Als Bau-Ingenieurin war sie in eine Männerdomäne eingebrochen, aber das hatte sie vorher gewusst, und sie war bereit gewesen, einiges einzustecken für ihren Traumberuf. Als sie an ihrem ersten Arbeitstag auf der Baustelle erschienen war, hatte man sie mit verdächtiger Freundlichkeit empfangen. Sie war auf der Hut gewesen – zu Recht. Überall hatten sie ihr kleinere und größere Fallstricke ausgelegt und gespannt auf ihre Reaktion gewartet.
Sie hatte sich Zeit gelassen bis zur Mittagspause, dann war sie aufgestanden, hatte sich breitbeinig vor die Männer gestellt und gesagt: »Ihr werdet mich nicht los, und wenn ihr euch auf den Kopf stellt. Von mir aus spielt eure blöden Spielchen weiter, lasst mich ausrutschen oder ein paar Meter tief stürzen – ihr werdet mich nicht los. Dies ist der Beruf, den ich liebe. Ich bin gut, mindestens so gut wie ihr. Aber wahrscheinlich habt ihr ja nur Angst,