Der kleine Fürst Staffel 6 – Adelsroman. Viola MaybachЧитать онлайн книгу.
nicht lange genug. In sechs Stunden landet die Maschine ja schon.«
Anna verschwand gähnend in ihrem Zimmer.
*
Konstantin fluchte leise vor sich hin. Er hatte das Kapitel, in dem er den Fehler entdeckt hatte, umgeschrieben, war aber noch immer weit davon entfernt, zufrieden zu sein. Er würde es noch mindestens zwei Mal gründlich überarbeiten müssen, dabei war er auch mit dem restlichen Manuskript noch längst nicht fertig. Die Zeit lief ihm davon, und er wusste nicht, wie er es schaffen sollte, den Abgabetermin einzuhalten, obwohl er immer bis tief in die Nacht arbeitete.
So auch heute. Es war drei Uhr morgens, er konnte einfach nicht mehr denken. Wenn er jetzt nicht aufhörte, würde er wahrscheinlich irgendwann anfangen, Unsinn zu schreiben. Er fuhr den Computer herunter und schaltete ihn aus. Dann stand er auf, dehnte und streckte sich und fluchte erneut. Ihm tat der Rücken weh, der Nacken war verspannt und als er sein Gesicht im Badezimmerspiegel betrachtete, erschrak er regelrecht. Dieses bleiche Gespenst mit den dunklen Rändern unter den Augen sollte er sein, Konstantin von Klawen, ein attraktiver groß gewachsener Mann mit braunen Haaren und braunen Augen, dem man nachsagte, dass er eine große Anziehungskraft auf Frauen ausübte?
»Wenn sie mich jetzt sehen könnten«, brummte er, »würden sie garantiert allesamt die Flucht ergreifen.«
Sein Telefon klingelte, er konnte es kaum glauben. Aber dann beeilte er sich, den Apparat zu suchen – um diese Zeit rief nur eine an: seine verrückte Verlegerin Helen Marienhagen. Sie war eine Nachteule wie er und wusste, dass er vermutlich noch nicht im Bett lag oder sich gerade erst hineingelegt hatte.
»Habe ich dich geweckt?«, lautete ihre erste Frage.
»Nein, Helen, das hast du nicht. Ich habe eben erst aufgehört zu arbeiten. Der Zeitdruck macht mich ziemlich fertig, wenn ich ehrlich sein soll.«
»Deshalb rufe ich ja an«, erklärte sie. »Ich habe mit meinen Leuten hier gesprochen, ob wir dir irgendwie mehr Zeit verschaffen können. Also, wir bieten dir zwei Wochen an – mehr geht nicht.«
»Sag das noch mal«, bat er. »Hast du eben gesagt, dass ich zwei Wochen zusätzlich bekomme?«
»Das habe ich gesagt«, bestätigte sie. »Aber wenn du noch einen Fehler entdeckst …«
Er hatte ihr offen gesagt, dass eins der Kapitel auf einer falschen Voraussetzung beruhte – mit Helen hatte er schon immer offen reden können. Er wusste, dass sie ihr Wissen niemals gegen ihn verwenden würde.
»Garantiert nicht«, erklärte er energisch. »Ich könnte dir jetzt auch erklären, wie es passieren konnte, dass mir diese Information entgangen ist, aber das würde zu weit führen. Wenn ich zwei Wochen zusätzlich kriege, schlafe ich jetzt erst einmal vierundzwanzig Stunden, wenn es recht ist.«
Sie lachte. Er sah sie vor sich: eine hübsche junge Frau mit roten Locken, die er nur in Jeans und Lederjacken kannte. Beides stand ihr ausgezeichnet, was sie natürlich wusste. Ihr Mann war Rockmusiker. Die meisten Leute ahnten nicht einmal, dass Helen verheiratet war – glücklich zudem. Clemens vergötterte sie, und sie verpasste keins seiner Konzerte. Clemens und seine Band waren mittlerweile ziemlich erfolgreich, von Jahr zu Jahr waren sie bekannter geworden. Er gönnte Helen ihr Glück von Herzen. Sie gehörte zu den Menschen, denen er vorbehaltlos vertraute, und davon gab es nicht allzu viele.
»Von mir aus kannst du noch länger schlafen, du musst nur wissen, dass es keine weitere Verlängerung geben wird. Aber da du bisher mein pünktlichster Autor warst und mich außerdem noch nie mit einem Manuskript enttäuscht hast, fand ich, dass wir dir jetzt mal ein wenig entgegenkommen sollten.«
»Und was hast du den anderen erzählt? Welchen Grund hast du angegeben?«
»Eine hartnäckige Grippe, die dich aus dem Zeitplan geworfen hat«, antwortete sie unbekümmert. »Der wahre Grund geht außer uns beiden doch niemanden etwas an, oder?«
»Helen, du bist die Größte.«
»Ja, das sagt Clemens auch immer. Schlaf schön, Tino, und geh danach möglichst schnell wieder an die Arbeit, hörst du?«
»Versprochen.«
Bis eben hatte er noch bis zu den Haarspitzen unter Stress gestanden, nun hatte er plötzlich genügend Zeit, sein Manuskript so zu bearbeiten, wie er es sich wünschte. Er fühlte sich wie ein Ballon, aus dem ganz langsam die Luft wich. Die Vorstellung, sich ausschlafen zu können, keinen Wecker stellen zu müssen und irgendwann am morgigen Tag – oder auch erst übermorgen – mit frischen Kräften wieder ans Werk zu gehen, war überwältigend.
Er blieb, erschöpft, aber glücklich, noch eine ganze Weile sitzen und beobachtete sich selbst dabei, wie er immer schlaffer und entspannter wurde. Als er schließlich zu Bett ging, schlief er umgehend ein.
*
»Wir beginnen gleich mit dem Landeanflug – in einer halben Stunde sind wir da«, sagte die Stewardess. »Und Ihre Vorhersage hat sich nicht erfüllt: Die beiden sind brav geblieben.«
Bettina lachte. »Ich habe sie bestochen, mit Essen«, bekannte sie. »Um fünf sind sie aufgewacht und sahen so aus, als wollten sie anfangen zu weinen. Da habe ich sie schnell abgelenkt. Wenn wir gelandet sind, wird es dann allerdings Zeit für die Morgentoilette.«
Nun lachte auch die Stewardess. »Dafür ist es an Bord jetzt allerdings ein wenig spät«, erwiderte sie. »Die Waschräume sollten ab jetzt nicht mehr aufgesucht werden.«
»Es geht sowieso nicht, wenn ich nicht beide zugleich mitnehmen kann – dann würden sich hier bald alle die Ohren zuhalten, und das will ich lieber nicht riskieren.«
»Ich muss sie immer ansehen – in dem Alter sind Babys einfach hinreißend, finde ich.«
»Haben Sie selbst Kinder?«
»Noch nicht, aber ich hoffe bald.« Die Stewardess errötete. »Ich bin erst seit ein paar Monaten verheiratet, aber wir wünschen uns sehnlichst Kinder, mein Mann und ich.«
»Dann alles Gute für Sie.«
»Vielen Dank.«
Die Stewardess eilte weiter, sie musste sich ja auch um die anderen Passagiere kümmern.
Miriam und Paul waren wach. Beide spielten mit den Plastikenten, die Bettina ihnen gegeben hatte. Man konnte sie zusammendrücken, in den Mund stecken – und natürlich auch wegwerfen, weil es so lustig war, wenn Bettina sich dann jedes Mal bemühen musste, sie wiederzufinden. Besonders Paul liebte dieses Spiel.
»Pass bloß auf, Paulchen!« Scherzhaft drohte Bettina dem Kleinen mit dem Finger. »Beim nächsten Mal lasse ich die Ente liegen, dann guckst du aber dumm.«
Er quietschte vor Vergnügen – und schon flog die Ente wieder zu Boden.
»Tja, ich habe dich gewarnt. Nun ist sie weg!«
Der Junge guckte groß. Bis eben war das Spiel lustig gewesen, jetzt gefiel es ihm nicht mehr. Sein rundes Gesichtchen verzog sich, schon öffnete er den Mund – da erschien die Ente wieder vor seinem Gesicht.
»Aber ich behalte sie jetzt, mein Kleiner. Wir landen nämlich bald – und im Landeanflug werde ich nicht nach deinem Spielzeug tauchen. Ich hoffe, das verstehst du?«
»Dadada!«, sagte Miriam, und daraufhin war ihr Bruder ruhig.
»So ist es fein, ihr beiden. Ruht euch noch ein bisschen aus – es wird turbulent werden nach der Landung, das kann ich euch versichern.«
Besonders beeindruckt wirkten sie nicht. Zum Glück waren sie noch zu klein, um mitzubekommen, was sich nach ihrer Ankunft in Frankfurt abspielen würde. Bettina wusste es dafür umso besser, und sie versuchte, sich innerlich zu wappnen.
Allmählich, stellte sie fest, wurde sie nun doch nervös.
*
Endlich waren sie alle wach. Auf der Fahrt zum Flughafen hatte vor allem Anna noch hin und wieder verstohlen gegähnt, doch sobald sie den Terminal 1 betreten hatten, verflog