Dr. Norden Staffel 7 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
Rache. »Mein Göttergatte würde mich auch in einem Kartoffelsack auf die Reise schicken.«
»Es gibt Menschen, die entstellt nichts«, gab die Verkäuferin diplomatisch zurück und zwinkerte Daniel zu. »Aber besonders fürs Captain’s Dinner halte ich dieses Kleid für die bessere Wahl.«
Felicitas Norden lachte.
»Siehst du, diese Frau versteht mich einfach«, beschied sie voll weiblicher Logik, die bei ihr glücklicherweise lediglich beim Einkaufen zum Vorschein kam. »Was hältst du davon, wenn du uns eine Stunde hier allein lässt? Du kannst dich ja inzwischen in der Herrenabteilung umsehen. Vielleicht brauchst du ja auch noch ein gutes Stück fürs Captain’s Dinner.«
»Gute Idee!« Um sich weiteren Auswüchsen weiblicher Logik zu entziehen, stimmte Dr. Norden diesem Vorschlag zu. Er küsste seine Frau auf die Wange, verabschiedete sich von der Verkäuferin und nahm die Rolltreppe nach unten. Allerdings machte er nicht wie von Fee vorgeschlagen in der Herrenabteilung Halt, sondern verließ das exklusive Bekleidungsgeschäft und steuerte direkt den nächstbesten Elektroladen an. Dort würde er alles finden, was er für die Kreuzfahrt brauchte.
*
»Nein! Halt! Nicht Elisa!« Panik lag in Rebecca Salomons Stimme, als sie schweißgebadet hochfuhr und die Arme ausstreckte. »Finger weg. Sie bleibt bei mir. Elisaaaaaa!!!« Ihr gellender Schrei hallte durch den kargen Raum und echote von den Wänden wider.
Es dauerte einen Moment, bis Ayana Traum und Realität voneinander unterscheiden konnte. Doch dann ging es ganz schnell. Sie sprang aus dem Bett und eilte hinüber zu ihrer Chefin, die über die Jahre zu ihrer besten Freundin geworden war.
»Wach auf, Becky! Das war nur ein Traum.« Sie packte Rebecca an den Schultern und schüttelte sie. »Los, wach endlich auf!«
Endlich tat ihr ihre Chefin den Gefallen und blinzelte in das graue Licht des noch jungen Morgens.
»Was ist? Wo bin ich? Wo ist Elisa?«, stellte sie ihm Halbschlaf eine Frage nach der anderen.
Ihr verständnisloser Blick irrte durch das Zimmer.
»Du hattest einen Albtraum. Wir sind in unserer Wohnung in Addis. In einer halben Stunde müssen wir aufstehen und zurArbeit fahren«, beantwortete Ayana die ersten beiden Fragen. Auf die letzte hatte sie keine Antwort. Bis heute wusste sie nicht, wer Elisa war. Nachfragen wich Rebecca aus oder reagierte mit stoischem Schweigen.
So auch an diesem Morgen. Inzwischen war die Sozialpädagogin wach und lauschte dem Regen, der an die Scheiben prasselte. Er lenkte sie zumindest kurz von den Schmerzen und der Übelkeit ab, die sie schon seit so vielen Jahren begleiteten und die sie klaglos als Strafe für das hinnahm, was sie getan hatte.
»Alles in Ordnung?« Ayanas besorgte Stimme ließ Rebecca in die Wirklichkeit zurückkehren. »Geht’s dir schlechter als sonst?«
Sie zwang sich ein Lächeln auf die Lippen.
»Ach was. Du weißt doch, schlechten Menschen geht es immer gut«, versuchte Becky zu scherzen und schlug die Bettdecke zurück. Höchste Zeit aufzustehen und sich an die Arbeit zu machen. Doch ihr Plan misslang gründlich. Sie hatte sich kaum aufgerichtet, als sie fühlte, wie ihr das Blut in die Beine sackte. Ehe sie etwas dagegen unternehmen konnte, wurde ihr schwarz vor Augen. Ihr lebloser Körper sank aufs Bett zurück.
Diesmal war es Ayana, die aufschrie und gleich losstürzte, um Hilfe zu holen.
Als Becky die Augen das nächste Mal öffnete, sah sie in ein ernstes Gesicht.
»Willkommen zurück!«, begrüßte Frau Dr. Johansson ihre Patientin. Sie saß am Bett der Leiterin des Waisenhauses. Das Stethoskop hing um ihren Hals, eine Falte grub sich zwischen ihre hellen Augen. »Geht’s jetzt besser?«
Rebeccas Kehle war trocken, und die Schmerzen waren immer noch da.
»Ich bin mir nicht sicher. Es muss an diesem blöden Albtraum liegen«, suchte sie nach einer plausiblen Erklärung dafür, warum es ihr in letzter Zeit so schlecht ging.
Sigrid Johansson lachte und machte sich gar nicht erst die Mühe, den Spott zu verbergen.
»Seit wann ist ein Albtraum für Schwindel, Herzrhythmusstörungen und was weiß ich noch alles verantwortlich?«
»Warum nicht? In letzter Zeit hab ich mich eh nie besonders gut gefühlt. Da reicht so ein schlechter Traum vielleicht«, gab Rebecca zu bedenken.
Doch davon wollte die Ärztin nichts wissen.
»In letzter Zeit?« Sie schüttelte den Kopf. »Seit ich Sie kenne – und das sind jetzt auch schon fast fünfzehn Jahre – kämpfen Sie mit Schmerzen unterschiedlichster Art. Dazu die Depressionen … mal abgesehen von Ihrem schlechten Aussehen…«
»Vielen Dank für die Blumen«, versuchte die Sozialpädagogin, die Stimmung wenigstens ein bisschen aufzulockern. »Ihre Komplimente sind wirklich die allerbesten.«
»Ich weiß«, erwiderte Dr. Johansson ohne einen Anflug von Lachen. »Und nachdem Sie genug davon bekommen haben, bin ich dafür, dass Sie sich nach einem neuen Charmeur umsehen.« Sie bückte sich nach ihrer Arzttasche, zog das Stethoskop vom Hals und verstaute es in dem dafür vorgesehenen Fach.
Sie wirkte so entschlossen, dass Rebecca es nun doch mit der Angst zu tun bekam.
»Wie meinen Sie das?«
Sigrid Johansson klappte den Deckel der Tasche zu.
»Ich meine, dass Sie sich so schnell wie möglich in einem Krankenhaus durchchecken lassen sollen.«
»Aber … aber das habe ich doch schon …«, wollte Becky widersprechen. Doch die Ärztin schnitt ihr das Wort ab.
»Das haben Sie hier schon ein paar Mal gemacht, ich weiß. Aber hier fehlen die Geräte, um sämtliche diagnostischen Möglichkeiten auszuschöpfen. Deshalb lege ich Ihnen ans Herz, so bald wie möglich nach Deutschland zu gehen. Sonst kann ich für nichts mehr garantieren.«
Diese drastischen Worte waren es, die Rebecca Salomon alarmierten. Ihr ohnehin strapaziertes Herz schlug hart in ihrer Brust, und ihre Kehle schnürte sich zu vor Angst.
»Sind Sie sicher?«, fragte sie, obwohl sie die Antwort kannte.
»Ganz sicher. Haben Sie einen Arzt in Deutschland, an den Sie sich wenden können?« Dr. Johansson war aufgestanden und zum Aufbruch bereit.
Normalerweise in der norwegischen Klinik der Stadt tätig, war sie nebenbei die Hausärztin des Waisenhauses. Einmal pro Woche kam sie vorbei, wenn Not am Mann war, auch öfter. Ihre kleinen Patienten warteten schon auf sie, und sie sah streng auf Rebecca hinunter.
Die dachte noch über die Frage der Ärztin nach.
»Es ist schon mehr als fünfzehn Jahre her, dass ich Deutschland den Rücken gekehrt habe«, murmelte sie vor sich hin. Ihr Blick ging durch das Fenster hinaus in den Himmel. Unheil verkündende Wolken hingen tief, und der Wind zerrte an den Ästen der Bäume. Es war Regenzeit in Äthiopien, und sintflutartige Regenfälle konnten sich im Halb-Stunden-Takt mit Sonnenschein abwechseln. »Keine Ahnung, ob Dr. Norden noch praktiziert.«
Sigrid Johanssons Miene entspannte sich.
»Das herauszufinden, ist meine leichteste Übung. Dr. Norden also. Hat er auch einen Vornamen?«
»Hmm, lassen Sie mich nachdenken.« Wenn Becky ehrlich gewesen wäre, hätte sie zugeben müssen, dass sie den Namen sofort parat hatte. In all den Jahren war kein Tag vergangen, an dem sie nicht an ihn gedacht hätte. »Ich glaub, es war irgendwas mit D… David, Daniel … so was in der Art«, schützte sie dennoch Unwissenheit vor.
Niemand bemerkte es.
»Gut.« Die Zeit drängte. Die Ärztin verabschiedete sich und ging zur Tür. Die Hand auf der Klinke drehte sie sich noch einmal zu ihrer Patientin um. »Ich finde heraus, ob es diesen Norden noch gibt. Sie buchen inzwischen einen Flug. Je eher, desto besser.« Ihr Ton ließ keinen Widerspruch zu.
Becky