Philosophische und theologische Schriften. Nicolaus CusanusЧитать онлайн книгу.
Mensch konnte vor ihm auferstehen, weil die menschliche Natur noch nicht in der Zeit zu ihrem Höhepunkte (ad maximum) gelangt, noch nicht mit der Unzerstörbarkeit und Unsterblichkeit, wie in Christus, geeint war. Alle waren unfähig dazu, bis der kam, welcher sagte: »Ich habe die Macht, mein Leben hinzugeben und es wieder zu nehmen.« In Christus, dem Erstlinge der Entschlafenen, hat daher die menschliche Natur die Unsterblichkeit angezogen. Nun gibt es aber nur eine unteilbare Menschheit und nur eine spezifische Wesenheit aller Menschen, durch welche alle einzelnen Menschen unter sich der Zahl nach verschiedene Wesen sind, so daß die Menschheit Christi und aller andern Menschen die gleiche ist, unbeschadet des numerischen Unterschieds der einzelnen Individuen. Hiernach ist klar, daß die Menschheit aller Menschen, die zeitlich vor oder nach Christus lebten oder noch leben werden, in Christus die Unsterblichkeit angezogen hat. Der Schluß ist also gültig: Der Mensch Christus ist auferstanden, folglich werden nach dem ganzen Ablaufe der zeitlichen Zerstörbarkeit alle Menschen durch ihn auferstehen, um ewig unzerstörbar zu sein. Wiewohl jedoch die Menschheit aller Menschen eine und dieselbe ist, so sind doch die individualisierenden Prinzipien, welche die Menschheit auf dieses oder jenes Subjekt einschränken, mannigfach und verschieden. Nur in Jesus Christus waren sie am vollkommensten und mächtigsten, dem Wesen der Menschheit am nächsten, die mit der Gottheit geeint war, in deren Kraft Jesus imstande war, mit eigener Kraft aufzuerstehen, eine Kraft, die ihm aus der Gottheit zukam. Eben deshalb heißt es auch, Gott habe ihn von den Toten auferweckt, während er, da er Gott und Mensch war, durch eigene Kraft auferstanden ist. Christus, der nur nach seiner Abstammung von einer Mutter zeitlich geboren ist, hat bei seiner Auferstehung nicht den ganzen Abschluß der Zeit abgewartet, weil die Zeit seine Geburt durchaus nicht erfaßt hat.
Beachte ferner: Die menschliche Natur hat in Christus die Unsterblichkeit angezogen; daher werden wir zwar alle, Gute wie Böse, auferstehen, aber nicht alle durch die Herrlichkeit (per gloriam), die uns durch Christus, den Sohn Gottes, zu Kindern Gottes (in filios adoptionis) umgestaltet, verwandelt werden. Alle werden durch Christus auferstehen, aber nicht alle wie Christus und durch Einigung mit ihm, sondern nur jene, die ihm durch Glaube, Hoffnung und Liebe angehören.
Hieraus siehst du, wenn ich mich nicht täusche, daß es keine vollkommene, den Menschen zum höchsten und ersehnten Ziel des Friedens führende Religion gibt, die Christus nicht als Mittler und Erlöser, als Gott und Menschen, als den Weg, die Wahrheit und das Leben auffaßt. Wie widersinnig ist daher der Irrglaube der Sarazenen, welche Christus für den größten und vollkommensten Menschen halten, geboren aus der Jungfrau, und glauben, daß er lebendig in den Himmel aufgefahren, aber seine Gottheit leugnen. Sie sind fürwahr verblendet, weil sie Unmögliches behaupten. Nach dem Gesagten muß es für jeden vernünftigen Menschen sonnenklar sein, daß kein Mensch der durchaus vollkommenste und größte und übernatürlich aus einer Jungfrau geboren sein kann, der nicht zugleich Gott ist. Die Sarazenen sind daher unverständig, Feinde des Kreuzes, die dessen Mysterien nicht verstehen und darum auch die göttliche Frucht der Erlösung nicht verkosten werden. Auch von dem Gesetze ihres Mahomed, das nichts als die Befriedigung sinnlicher Lust verheißt, die durch den Tod Christi in uns ertötet ist, dürfen sie nicht erwarten, wonach wir in Hoffnung auf den Besitz unvergänglicher Herrlichkeit eifrig streben. Mit den Sarazenen glauben auch die Juden, der Messias sei der größte, vollkommenste, unsterbliche Mensch, leugnen aber gleichfalls seine Gottheit, von derselben teuflischen Blindheit geschlagen. Auch sie werden die höchste Seligkeit, Gott zu genießen, auf die sie nicht hoffen, auch nicht erlangen. Was am befremdendsten ist, ist das, daß sowohl Juden als Sarazenen an eine einstige allgemeine Auferstehung glauben, aber die Möglichkeit derselben durch einen Menschen, der zugleich Gott ist, nicht zulassen. Wollte man auch sagen, die Auferstehung sei schon darum notwendig, weil sonst, wenn die Bewegung des Entstehens und der Zerstörung aufhört, das Universum nicht mehr seine Vollkommenheit hätte, und da die menschliche Natur ein wesentlicher Teil des Universums ist, das Universum ohne sie nicht nur nicht vollkommen, sondern überhaupt kein Universum mehr sein würde, und daß, wenn einmal die Bewegung aufhört, entweder das ganze Universum zugrunde gehen oder die Menschen, deren Natur als die mittlere das ganze in sich faßt, zur Unzerstörlichkeit auferstehen müssen (andere lebende Wesen brauchen nicht aufzuerstehen, da der Mensch die Vollkommenheit derselben ist); oder wollte man auch die Auferstehung nur deshalb annehmen, damit der ganze Mensch die ihm gebührende Vergeltung von dem gerechten Gott erhalte, so ist doch zu allem dem vor allem der Glaube an Christus als den Gottmenschen notwendig, durch welchen allein die menschliche Natur zur Unvergänglichkeit gelangen kann. Blind sind daher alle, welche an die Auferstehung glauben, aber Christus, die Vermittlung ihrer Möglichkeit, nicht bekennen, da der Glaube an die Auferstehung auch der Glaube an die Gottheit und Menschheit Christi, an seinen Tod und seine Auferstehung ist.
Auferstanden ist er, um durch die Himmelfahrt in seine Herrlichkeit einzugehen. Ich glaube, daß diese Himmelfahrt zu denken ist als über alle Bewegung der Zerstörbarkeit und über allen Einfluß der Himmel erhaben. Denn wiewohl Jesus seiner Gottheit nach überall ist, so ist doch das sein ihm eignender Ort, wo kein Wechsel, Leiden, Traurigkeit, überhaupt nichts von dem ist, was der Zeitlichkeit angehört. Dieser Ort der ewigen Freude und des Friedens – sagen wir – ist über den Himmeln, wiewohl er weder zu beschreiben noch zu definieren ist. Christus ist der Mittelpunkt und die Peripherie der vernünftigen Natur, und da die Vernunft alles umfaßt (omnia ambiat), so ist er über allem. Indessen wohnt er in den heiligen Seelen und vernünftigen Geistern, welche die Himmel sind, die seine Herrlichkeit verkünden, als in seinem Tempel. Wir erkennen also, daß Christus über Raum und Zeit zu einer unzerstörbaren bleibenden Wohnung sich erhoben habe, wenn es heißt: Er erhob sich über alle Himmel, um alles zu erfüllen. Da er Gott ist, so ist er alles in allem; er herrscht in den Himmeln der vernünftigen Naturen, da er die Wahrheit selbst ist. Er ist nicht räumlich mehr in der Peripherie, als im Zentrum, da er der Mittelpunkt aller vernünftigen Geister und ihr Leben ist. Daher sagt er auch, er, der die Quelle des Lebens und das Ziel aller Geister ist, das Himmelreich sei in den Menschen.
NEUNTES KAPITEL
Christus ist der Richter der Lebendigen und der Toten
Welcher Richter ist gerechter als der, welcher die Gerechtigkeit selbst ist? Christus, das Haupt und der Anfang jedes vernünftigen Geschöpfes, ist die größte Vernunft selbst, von der jede Vernunft stammt. Die Vernunft fällt das unterscheidende Urteil. Sonach ist der mit Recht der Richter der Lebendigen und der Toten, der mit allen vernünftigen Naturen die menschliche Natur angenommen hat und dabei Gott geblieben ist, der der Vergelter von allem ist.
Christus richtet alles überzeitlich, durch sich und in sich, weil er alle Geschöpfe als der größte Mensch, in dem alles ist, in sich begreift. Gott als Gott ist das unendliche Licht, in dem keine Finsternis ist, das alles erleuchtet, so daß in diesem Lichte dem Lichte selbst alles ganz klar und offenbar ist. Dieses unendliche vernünftige Licht umfaßt überzeitlich so Gegenwart als Vergangenheit, Lebendes und Totes in sich, wie das physische Licht die Hypostase aller Farben ist. Christus ist wie das reinste Feuer, das vom Lichte unzertrennlich ist, und nicht in sich, sondern im Lichte seinen Bestand hat. Er ist das Feuer des geistigen und vernünftigen Lebens, das, indem es alles verzehrt und in sich aufnimmt, eben dadurch alles prüft und beurteilt. Alle vernünftigen Geister werden in Christus so geprüft, wie das dem Feuer Übergebene (ignibile) im Feuer. Einiges wird, während es im Feuer aushält, doch ganz in die Ähnlichkeit mit dem Feuer umgewandelt. So wird das beste und vollkommenste Gold im Feuer so in Feuer verwandelt, daß man nicht Gold mehr als Feuer wahrnimmt. Anderes nimmt an der Intensität des Feuers nicht in diesem Grade Anteil, wie das geläuterte Silber, Erze und Eisen. Jedoch scheint alles in Feuer verwandelt, obwohl jegliches in einem besonderen Grade. Dieses Gericht übt jedoch nur das Feuer aus, nicht die vom Feuer ergriffenen Gegenstände (ignitum), da jeder der letzteren in jedem andern nur das heftige Feuer bemerkt, nicht aber die Gradunterschiede der vom Feuer ergriffenen Gegenstände, gleichwie auch wir, wenn wir geschmolzenes Gold, Silber und Kupfer in einem sehr großen Feuer sehen, die Unterschiede der Metalle, wenn sie in die Form des Feuers umgestaltet sind, nicht wahrnehmen. Hätte nun dieses Feuer Bewußtsein und Vernunft, so kennte es die Grade der Vollkommenheit eines jeden, und die Fähigkeit für die Aufnahme eines intensiven Feuers würde in jedem graduell verschieden erscheinen. Wie es daher einige dem Feuer unterworfene