Heimathafen Hellas. Andreas DeffnerЧитать онлайн книгу.
mit direktem Strandzugang. Dort herrschte reger Betrieb. Viele jugendliche Touristen, hauptsächlich Briten, tranken hier Bier und Cola und warteten darauf, dass die beliebten Plätze auf der Wasserbanane, auf den Ringos, den aufblasbaren Ringen, die hinter dem Motorboot rasend schnell übers Wasser gezogen werden, oder beim Paragliding frei werden würden. Jannis’ Wassersportgeschäft schien prächtig zu laufen. Ich hingegen war sicher, dass ich niemals bei diesem Griesgram ein Boot ausleihen oder Surfen lernen würde.
Als Stefan zu uns ins Meer zurückkehrte, waren wir gespannt wie Flitzebögen. Sein guter Rat: »Nehmt euch vor Jannis in Acht, er kann ganz schön aufbrausend sein. Ich hab ihm gesagt, dass ihr euren Wagen gleich wegfahren werdet.« Dann erfuhren wir noch, dass der Wassersport-Hai mit einer Engländerin verheiratet war, dass der Toyota Gerüchten zufolge in Großbritannien gestohlen worden sein sollte und dass Jannis die öffentliche Straße und den angrenzenden Strand offenbar als sein Eigentum betrachtete, auf dem er tun und lassen konnte, was er wollte. Hätte Stefan uns auch erzählt, dass er selbst einmal in eine handfeste Schlägerei mit Jannis verwickelt wurde, bei dem es ebenfalls um einen falsch geparkten Wagen – nämlich Stefans! – gegangen war, wäre ich sicher sofort zu meinem Escort gelaufen, um ihn umgehend umzuparken. So jedoch ließen wir uns zunächst von der Sonne trocknen, bevor ich die Autoschlüssel holte. Jannis hatte schon auf mich gewartet. Er grummelte etwas Unverständliches in meine Richtung, bevor er den Toyota gerade soweit zurücksetzte, dass ich den Ford ganz knapp aus der Gefahrenzone lenken konnte. Nur einen Augenblick später parkte der angeblich gestohlene britische Pick-up an der Stelle, wo eben noch der weitgereiste Escort stand. Was tut man nicht alles für eine gute Völkerverständigung
Nach einem weiteren Bad im Meer und nachdem sich die Aufregung der Ankunft gelegt hatte, war es Zeit für einen Mittagsschlaf. Gegen 17 Uhr wurde es ruhig auf der Terrasse der Taverne.
»Von etwa fünf bis sieben macht Vagelió die Taverne zu«, erklärte uns Stefan den Tagesablauf. »Später treffen wir uns dann wieder hier. Man macht am Abend einen Spaziergang durchs Dorf und nach 22 Uhr geht man gemütlich zum Essen.« Dann verschwand auch er zu seinem Nickerchen. Nach einer kühlen Dusche, um das Salzwasser abzuwaschen, wollten wir es ihm nachtun. Robin zeigte uns, wie wir richtig mit den Duschen umzugehen hatten. Denn regelmäßig verstopften die engen Abflussrohre der Gemeinschaftsduschen auf der ersten Etage der Taverne und das Wasser lief dann rasch über den Rand der Duschtasse, mäanderte über den Steinfußboden im Flur bis genau in unser Nebenzimmer, in dem Robin schlief. Mehr als einmal war Robin in diesen Ferien bereits aufgewacht und hatte seinen Fuß in eine Pfütze neben dem Bett gesetzt. Nun war also klar, wieso in der Dusche immer auch ein Pömpel stand.
Wo wir gerade mit Robin dabei waren, die sanitären Einrichtungen zu inspizieren, fragte ich ihn auch nach dem Sinn des runden, offenen Plastikkorbs neben der Toilette ohne Klobrille. Er sah uns verblüfft an. »Hat euch denn niemand gesagt, dass man in Griechenland das Klopapier nicht ins Klo werfen darf?« Erst jetzt entdeckten wir einen alten, vergilbten und bereits halb abgeblätterten Aufkleber an der nicht abschließbaren Toilettentür: »Μη ϱίχνετε χαϱτιά στη λεκάνη« (Mi richnete chartia sti lekani – Werfen Sie kein Papier in die Schüssel)
Der Grund waren die in Griechenland sehr viel dünneren Abwasserrohre. Aber vielleicht lag es auch einfach daran, dass offenbar viele nach dem Klogang nicht daran dachten abzuziehen? Wie oft stand ich später in Café-, Tavernenoder Restauranttoiletten, die noch unangenehm gefüllt waren.
Gegen Abend deutscher Zeit und am Nachmittag aus hellenischer Sicht, trafen wir uns wieder auf der Terrasse der »Tavérna To Néon«. Alle Sommergäste schienen gerade erst aus ihren Betten gestiegen zu sein. Schwere Lider, aber wohlige Vorstellungen davon, dass der nun obligatorisch folgende Kaffee für rasche Straffung sorgen würde. Die Badehosen und -anzüge, die den gesamten Tag über die Standardkleidung in und rund um die Taverne waren – bei über 35 Grad Celsius isst es sich eben angenehmer in Schwimmkleidung – waren nun langen Hosen und luftigen Röcken und Kleidern gewichen. Die griechischen Urlauber ebenso wie die Einheimischen waren bereit für ihre »vólta«, den abendlichen Spaziergang durchs Dorf. Perikles, der selbsternannte Sohn des Poseidon, hingegen, hatte es sich mit einem griechischen Mokka an seinem Lieblingsplatz der Terrasse gemütlich gemacht und genoss die für ihn wenigen ruhigen Minuten des Tages. Er schien beinahe zu meditieren, so gebannt sah er auf sein Meer vor der Haustür. Ich setzte mich zu ihm an den Tisch. Einen Augenblick schauten wir gemeinsam schweigend auf die seichten Wellenbewegungen. Ohne den Blick zu verändern, sagte Perikles leise zu mir: »Manchmal glaube ich wirklich, der Sohn des Poseidon zu sein. Woher sonst sollte ich diese Kraft haben, von früh morgens bis spät in die Nacht zu arbeiten?« Seine unbeschuhten Füße hatte er sockenlos auf einen zweiten Korbstuhl abgelegt. Sie sahen müde aus. Perikles hingegen hatte wieder dieses unbändige lebensbejahende Lächeln auf den schmalen Lippen. »Ωϱα για γαμάκι!« (Ora ja gamáki! – Zeit, sich um die schönen Mädchen zu kümmern!) sagte er und blickte mich mit seinem spitzbübischen Lächeln an. Eine Gruppe junger, scheinbar deutscher Frauen, spazierte gerade vor unseren Augen am Strand neben der Terrasse entlang. »Ποποπό!« (Popopó!), rief Perikles laut und verzückt diesen Ausdruck der griechischen Bewunderung aus. Er hatte die volle Aufmerksamkeit der jungen Touristinnen. »Blumen, Andreas. Alles voller Blumen!«, rief er weiter und grinste erst mich und dann abwechselnd die neugierig blickenden Mädchen an. »Jetzt ist es aber Zeit für euren Spaziergang durchs Dorf«, sagt er noch, dann schickte er uns alle los.
Die ersten knapp einhundert Meter von Perikles’ Taverne die Straße hinauf zur Hauptstraße, beeindruckten uns nachhaltig. Gegen 21 Uhr hatten die Temperaturen immer noch nicht nachgelassen, dafür aber der Wind. Die 35 Grad, die tagsüber in der kräftigen Brise am Meer noch gut erträglich waren, glichen jetzt bei Windstille einer Gluthölle. Mühsam quälten wir uns den kleinen, nur etwa 50 Meter langen Anstieg hinauf und kamen durchgeschwitzt auf der Sekeri-Straße an. Hier auf der Dorfstraße herrschte trotz der klimatischen Herausforderung ein reges Durcheinander. Souvenirgeschäfte, Pita-Grillbuden und Tavernen reihten sich aneinander und Touristenmassen wanderten von einem Ansichtskartenständer zum nächsten, erstanden hier und da Andenken oder kauften sich an den Ψησταϱίες (Psistaríes), den Grillimbisslokalen, Σουβλάκια με πιτά (Souvlákia me pita) – kleine Fleischspieße im Brot. Beobachtend flanierten wir über die Hauptstraße und stellten verwundert fest, dass es scheinbar in ganz Toló keine Gyrosspieße gab. War Gyros nicht so typisch für Griechenland wie die Erbsensuppe für Deutschland? Später erzählte man uns, dass der große Drehspieß wohl eher eine Erfindung der Auslandsgriechen gewesen sein musste. In Griechenland selber grillte man stattdessen traditionell Ziegen, Lämmer oder eben Souvlákia. Die kleinen Fleischspieße mit den marinierten Schweinefleischwürfeln fanden sich an jeder Ecke. Ein herrlicher Duft stieg auf, wenn der Grillwirt die oft mit fettigen Stücken versehenen Spießchen auf den Holzkohlengrill legte und das austretende Fett dampfend in die Glut tropfte. Knusprig braune Leckereien, die anschließend mit Salz und Oregano bestreut wurden. Dazu reichte man eine Scheibe gegrilltes Weißbrot. Köstlich! Die Griechen aßen ihre Souvlákia üblicherweise σκέτο (skéto), ohne alles, bei der Bestellung auch gerne Καλαμάκι (Kalamáki) genannt, was eigentlich die Bezeichnung für ›Strohhalm‹ ist. Die schlanken Spieße wanderten zügig vom Rost in die Hände der hungrigen Esser und wir bekamen bereits vom Zusehen und vom Duft des oreganogeschwängerten Rauchs über dem Holzkohlegrill Appetit. Da wir jedoch später alle gemeinsam bei Perikles essen wollten, gingen wir zügig an den Psistaríes vorbei und fanden, nachdem wir an ungezählten Souvenirshops entlang geschlendert waren, das Ziel unseres Spaziergangs. Die Nefeli-Bar!
Perikles hatte uns geraten, zu seinem Schwager zu gehen und Kaffee-Frappé zu trinken. Das »In-Getränk« der griechischen Jugend erfreute sich insbesondere im Sommer größter Beliebtheit. Eiskalter, aufgeschäumter Nescafé, wahlweise mit Milch oder ohne, mit viel, wenig oder mittelmäßig viel Zucker, aber immer stark und mit Eiswürfeln. Wir betraten die kleine Terrasse der Nefeli-Bar, die eigentlich eher ein Teilstück des Bürgersteigs war, den es in Toló aber nicht gab. Die Sekeri-Straße grenzte direkt an die etwas erhöhte Terrasse, die gerade einmal zwei Meter breit war, und auf der nur zehn kleine,