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Antisemitismus. Achim BühlЧитать онлайн книгу.

Antisemitismus - Achim Bühl


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gewonnen worden sind. Ich habe das Gesetz vom 11. März 1812 vor mir, in welchem die Juden für Einländer und preußische Staatsbürger erklärt werden und in welchem genau festgestellt worden ist, was ihnen zusteht; das steht schon in § 8, dass sie ›akademische Lehr-, Schul- und Gemeindeämter, zu welchen sie sich geschickt gemacht haben, verwalten können‹, und im § 9 ›inwiefern die Juden zu anderen öffentlichen Verwaltungs- und Staatsämtern zugelassen werden können, behalten wir uns vor, gesetzlich zu bestimmen.‹ Das war ein bestimmtes Versprechen, und wenn noch eine so lange Zeit vergangen ist, von 1812 bis 1848, ehe das Wort eingelöst hat, so müssen Sie doch nicht sagen, dass das ein besonderes Entgegenkommen gewesen ist, und dass nun die Juden in Folge dieses Entgegenkommens nach mehr als zwei Menschenaltern in tiefste Bescheidenheit sich zurückziehen sollten. […] Wie kann man jetzt dahin kommen, den Juden vorzuhalten: euch sind im Jahre 1848 Rechte gegeben worden, ihr solltet euch wohl hüten, diese Rechte voll anzuwenden?« (Protokoll der Sitzung des Preußischen Landtags vom 20. November 1880. Sonderdruck: Die Judenfrage vor dem preußischen Landtage, Berlin 1880, S. 26/27)

      Virchows Agieren im Abgeordnetenhaus brachte die Antisemiten auf den Plan, die ihn in ihren Flugblättern nunmehr als »Jude Virchow« bezeichneten, was fälschlicherweise auch in einem medizinhistorischen Werk aus dem Jahr 1931 übernommen wurde. Zu den Befürwortern der antisemitischen Petition gehörte auch der Kulturwissenschaftler Jacob Burckhardt (1818–1897), in dessen Briefen an seinen Freund Friedrich Adolf Philipp Karl von Preen es heißt:

      »Dem Semiten würde ich gegenwärtig große Klugheit und Mäßigung anraten und glaube selbst dann nicht mehr, dass die gegenwärtige Agitation wieder einschlafen werde. […] Dass aber diejenigen neun Zehntel der deutschen Presse, welche von Juden produziert werden, laut über unser Referendum schimpften, ist sehr begreiflich, denn wenn es im Deutschen Reich zu einem solchen Referendum über Weiterexistenz der Juden käme, so garantiere ich dafür, dass eine noch viel größere Stimmenquote als die unsrige […] für Austreibung der Juden stimmen würde.« (Burckhardt 1934: 89/90)

      Bereits unmittelbar vor der Debatte im Berliner Abgeordnetenhaus war in der Berliner Presse die von 75 Personen gezeichnete Notablen-Erklärung erschienen, welche von der Wiederbelebung eines alten Wahns sprach, der die gesellschaftlichen Verhältnisse vergifte. Die Notablen-Erklärung endete mit einem Aufruf zur Gegenwehr der Zivilgesellschaft:

      »Noch ist es Zeit, der Verwirrung entgegen zu treten und nationale Schmach abzuwenden; noch kann die künstlich angefachte Leidenschaft der Menge gebrochen werden durch den Widerstand besonnener Männer. […] Vertheidiget in öffentlicher Erklärung und ruhiger Belehrung den Boden unseres gemeinsamen Lebens: Achtung jedes Bekenntnisses, gleiches Recht, gleiche Sonne im Wettkampf, gleiche Anerkennung tüchtigen Strebens für Christen und Juden.« (Rickert 1890: 20)

      Erstunterzeichner der Notablen-Erklärung waren u. a. der Historiker Johann Gustav Droysen (1808–1884), der Pathologe Rudolf Virchow und der Althistoriker Theodor Mommsen (1817–1903). Mommsen hatte Treitschke bereits zuvor in einer Akademierede kritisiert ohne ihn namentlich zu erwähnen. Nach Veröffentlichung der Notablen-Erklärung wurde die Debatte „Mommsen contra Treitschke“ zunächst in Gestalt diverser Leserbriefe in Berliner Zeitungen geführt, bevor Mommsen im Dezember 1880 mit seinem Aufsatz Auch ein Wort über unser Judentum unmittelbar eingriff. Treitschke, der seine Stellung als Universitätsprofessor dafür missbrauchte, Studenten zum Unterschreiben der Antisemitenpetition zu bewegen, dementierte auf Nachfrage Mommsens diese unterzeichnet zu haben, was zur „Treitschke-Dulon-Affäre“ führte, da der Leipziger Jurastudent und Organisator des Komitees zur Verbreitung der Petition unter der Studentenschaft Paul Dulon dies als Falschaussage bezeichnete.

       1.4Die „Rassenlehre“ und der Manichäismus

      Versteht man den Antisemitismus als Form des Rassismus, so erübrigt sich damit nicht die Antwortsuche nach dem Wesen seiner Spezifik. Die Besonderheit der Judenfeindschaft liegt im mörderischen Agieren des Antisemiten, was im 11. Jh. bereits die Kreuzzugsbewegung offenbarte. Fragen ließe sich diesbezüglich, ob der Kern der antisemitischen Ideologie vom ideologischen Gehalt anderer Spielarten des Rassismus abweicht, inwieweit der spezifische Gehalt der antisemitischen Ideologie mit dazu beitrug, dass es immer wieder zu gewalttätigen Exzessen im Verlauf der Historie kam, die auf singuläre Weise in der Shoah kulminierten. Zwar ist die Substanz der antisemitischen Ideologie qualitativen Änderungsprozessen unterworfen, essentielle Grundzüge blieben indes über Jahrhunderte hinweg unverändert. Dieser konstante Charakter der antisemitischen Ideologie lässt sich als Manichäismus bezeichnen und verleiht dieser den Charakter einer Weltanschauung.

      Unter Manichäismus zu verstehen ist nicht einfach nur ein dualistisches System von „Licht-“ und „Schattengestalt“, insofern der konstruierte Antagonismus zwischen Wir-Gruppe und Fremdgruppe allen Rassismen zu eigen ist, sondern ein binäres System, welches sich dadurch auszeichnet, dass sich die Prinzipien des Lichts („Arier“) und der Finsternis („Semiten“) in einem permanenten Kampf miteinander befinden.

      »Das Menschengeschlecht aber teilte sich bald in zwei gegensätzliche Parteien, weil die einen die Sakramente des Teufels, die anderen aber die Sakramente Christi annahmen. Es bildeten sich zwei Familien, Christi Familie und die Familie des Teufels.« (Hugo von St. Viktor: De sacramentis, Sp. 312B, zitiert nach Althoff 1998: 207)

      Dieser immerwährende Kampf wird erst in einer heilsgeschichtlich als Erlösung der Menschheit wie des einzelnen Individuums gedachten Endzeit überwunden. Die Vernichtung der Essenz des „Fremden“ – sei diese religiös, kulturell, ethnisch oder physisch konstruiert – gilt im manichäistischen Diskurs als unumgänglich. Im Konzept des Manichäismus stehen sich folglich nicht nur zwei Kräfte unversöhnlich gegenüber, sondern sind die binären Größen vielmehr auf Leben und Tod eschatologisch miteinander verbunden, sodass die Vollendung der gesamten Schöpfung an die Extermination des Prinzips der Finsternis gekoppelt ist. Ohne die endgültige Überwindung des Gegenpols ist der Anbruch einer besseren Welt blockiert.

      »So gibt es zwei Staaten oder Städte, Jerusalem und Babylon, zwei Völker, die Gott liebenden Bürger Jerusalems und die die Welt liebenden Bürger Babylons, und zwei Könige, Christus als König Jerusalems und den Teufel als König Babylons. Zwischen diesen beiden Staaten und zwischen den beiden Völkern und Königen aber herrscht immerfort Krieg, Zwietracht und Kampf; und jeder der beiden kennzeichnet seine Soldaten, Christus die Seinen und der Teufel die Seinen, damit jeder seinen König erkennt und von ihm erkannt wird. […] Die Soldaten Christi aber folgen ihrem König, und die Soldaten des Teufels folgen ihrem König.« (Hugo von St. Viktor: Miscellanea, Sp. 496A, zitiert nach Althoff 1998: 208)

      Das manichäische System umfasst das Motiv einer totalitären Deutung der Welt sowie die heilsgeschichtliche Maxime eines mörderischen Kampfes gegen das Prinzip der Finsternis. Im Vortrag des Hofpredigers Adolf Stöcker mit dem Titel Der Kampf des Lichtes gegen die Finsternis, der Charakter und die Aufgabe der Gegenwart aus dem Jahr 1880 heißt es:

      »Der Kampf zwischen Licht und Finsternis wird nicht an einem Abend oder in einem Jahre ausgekämpft, er dauert so lange, bis wir die müden Augen zur Ruhe senken; wer ein tapferer Kämpfer sein will, der muss sich geloben, getreu zu sein bis in den Tod, den guten Kampf des Glaubens zu kämpfen, bis ihm beigelegt wird die Krone der Gerechtigkeit. Für das Licht kämpfen ist nicht leicht, denn die Finsternis ist schlecht, aber schon das Bewusstsein, für die gute Sache zu streiten und hin und wieder doch einen Sieg zu gewinnen, erhebt und begeistert.« (Stöcker 1890: 101)

      Die säkulare Adaption des Manichäismus führt zu einer Pseudoreligion, welche die Erlösung der Welt durch die Vernichtung des „Fremden“ verheißt. Der Manichäismus potenziert die im rassistischen Verständnis angelegten Dualismen in ein mörderisches System, welches nur noch das Überleben oder den Untergang kennt. Die Historie durchläuft im manichäistischen Weltbild drei Phasen: Im Anfangszustand sind die Prinzipien der Finsternis und des Lichts vollständig getrennt, im Lauf der Geschichte befinden sie sich in einem ununterbrochen währenden Kampf miteinander, während die Endzeit auf eine endgültige Trennung per Vernichtung des Fremden hinausläuft.

      »Am


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