Finnische Träume - Teil 7 | Roman. Joona LundЧитать онлайн книгу.
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Finnische Träume - Teil 7 | Roman
von Joona Lund
Joona Lund ist eine finnische Journalistin, die vor allem über gesellschaftliche Probleme recherchiert und schreibt.2008 las Joona von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, welches das Inzesttabu weiterhin als strafrechtlich relevant bestätigt und eine junge Familie damit ins Unglück gestürzt hat. Sie erinnerte sich an ein Interview, das sie vor Jahren in Lappland auf einem abgeschiedenen Bauernhof geführt hatte: Damals war ihr das Verhalten des jungen Mannes und seiner jüngeren Schwester aufgefallen, das sich von dem ihrer Mitschüler gravierend unterschied. Sie recherchierte und stieß auf eine Geschwisterliebe, die beinahe tragisch ausgegangen wäre. Mit ihrem Roman „Finnische Träume“ veröffentlichte Joona die Geschichte einer innigen Liebe, die sich trotz aller Schwierigkeiten und Hindernisse zunehmend verdichtet. Sie wollte aufzeigen, dass das Urteil des Gerichts auf wackeligen Beinen stand und verschiedene zivilisierte Länder das anders bewerten.
Lektorat: Nicola Heubach
Originalausgabe
© 2014 by blue panther books, Hamburg
All rights reserved
Cover: © mammuth @ istock.com
Umschlaggestaltung: www.heubach-media.de
ISBN 9783862774449
www.blue-panther-books.de
12. Unterwegs von Joona Lund
Ihr Leben hatte sich von einem Tag auf den anderen verändert, nichts war wie vorher. Sie fieberten dem nächsten Treffen entgegen, verzehrten sich vor Sehnsucht. Von Mal zu Mal war das Wiedersehen süßer, fiel ihnen der Abschied schwerer.
Mitunter fragte Jan sich, warum sich Menschen lieben, ohne eine schlüssige Antwort zu erwarten. Sie tun es einfach, auch wenn selten jemand präzise angeben kann, warum er sich zum anderen hingezogen fühlt, oder warum nach einiger Zeit die Anziehungskraft schwächer wird oder sich verflüchtigt. Jan hatte gelesen, und seine Erfahrungen bestätigten den Befund, dass der Geruch bei der Partnersuche eine entscheidende Rolle spielt. Im Negativen drückt der Satz, man könne jemanden nicht riechen, sogar Ablehnung oder Widerwillen aus. Bewusst wahrgenommen hatte er Inkus Körpergeruch erst, als nicht mehr zu übersehen war, dass sie zum Teenager heranreifte. Erklärung hatte er keine dafür gefunden, warum der Duft ihrer glatten warmen Haut einen so starken Reiz auf ihn ausgeübt hatte und er stellte fest, dass sich der Geruch im Verlauf des Monats und nach der Art der von ihr ausgeübten Tätigkeit änderte. Jan mochte ihn, das Einatmen war, als tränke er Sekt. Anfangs hatte er sich nicht eingestehen wollen, dass er gern ihre Haut gestreichelt hatte und es ihn Überwindung kostete, dem Drang zu widerstehen.
Er rief sich zur Ordnung und zwang sich, seine ungeteilte Aufmerksamkeit auf den Artikel zu richten, war oft froh, dass ihm der Job selten Zeit zum Sinnieren ließ. Es galt, den Platz in der Wirtschaftsredaktion, den er sich erkämpft hatte, zu verteidigen und auszubauen. Es bedurfte einer genauen Planung, unter dem ständigen Zeitdruck weiterhin Vorlesungen und Seminare zu besuchen.
Die Kollegen wussten, dass Jans Freundin Stunden entfernt wohnte, das war im dünn besiedelten Norden keine Seltenheit. Da er oft Sonntagsdienste für andere übernommen hatte, war es nun ein Leichtes, mit Kollegen zu tauschen, wenn ihn Inku besuchte. Hatte er auswärts zu tun und sie konnte nicht kommen, nutzte er die Zeit am Abend im Hotel zum Lernen. Das Studium war nützlich, die Interviewpartner schätzten es, wenn er gut vorbereitet war und umgekehrt verwendete er Artikel und Radiobeiträge für Seminararbeiten. Die Professoren werteten seine fundierten Arbeiten, die immer auch den Praxisbezug erkennen ließen, positiv. Nach den Radiosendungen über die Lage der Bauern im Norden kamen Anfragen vom Fernsehen, ob er über andere wirtschaftliche Aspekte etwas liefern könnte.
Kam Inku zu ihm, paukte sie, wenn er zwischendurch in die Redaktion oder zu einem Termin musste. Jan hatte Mutter versprochen, darauf zu achten, dass sie den Schulabschluss schaffte. Dabei hatte sie ihn mit einem abgründigen Lächeln angeguckt und gemeint, niemand wüsste, wie sich eine Beziehung langfristig entwickelte. Für Mutter war der Selbstmordversuch ein Albtraum gewesen, anderes war ihr inzwischen zweitrangig geworden, Hauptsache Inku wurde gesund. Mutter war zu Besuch gewesen, fuhr mit dem Bus zurück. Inku saß schon drin, da raunte Mutter Jan zu, einen Fuß auf dem Trittbrett: »Pass gut auf sie auf! Sie ist ein empfindliches Pflänzchen, braucht Wärme und Fürsorge.«
Meist schaffte er es, sich das Wochenende freizuschaufeln. War ein auswärtiger Termin nicht zu verschieben, trafen sie sich im nächsten größeren Ort, Unbequemlichkeiten nahmen sie in Kauf. Das Wissen, sich aufeinander verlassen zu können, festigte die Verbindung.
Manchmal gingen sie in einer Stadt, wo sie niemand kannte, tanzen, ein Paar wie jedes andere. Sie drückten sich im schwach beleuchteten Lokal – kaum erklang Musik, steuerte sich die Beleuchtung herunter – aneinander, spürten die Wärme des anderen. Sie drängte sich an ihn, er spürte ihre Brüste. Glücksgefühle durchströmten Inku, als sie merkte, wie sein Begehren aufflammte.
Holte er sie vom Bahnhof oder Bus ab, war es ein Fest, fand ihre Sehnsucht Erfüllung. Nahte die Trennung, wurden sie still, ihre Herzen weinten. Nach Hause fuhr er selten, es widerstrebte Jan, dem Vater etwas vorzuspielen. Berufliche Überlastung und Studium waren glaubhafte Ausreden. Mutter stellte seit Inkus Klinikaufenthalt keine Fragen mehr, wenn sich Inku auf den Weg zu ihm machte. Wollte Vater wissen, wohin sie schon wieder fuhr, beschwichtigte sie ihn, das Mädchen wäre alt genug, um einen Freund zu besuchen. Meist gab sie der Tochter etwas Leckeres mit, das Jan gern aß. Konnte Inku nicht weg, trafen sie sich im Elternhaus und sie schlich nachts mit schlechtem Gewissen zu ihm.
Sie unternahmen Ausflüge in die Berge, fuhren mit den Rädern über Land, hatten Decken und Zelt mit, saßen auf dem versteckten Platz am Badesee, schauten aneinandergeschmiegt ins Feuer oder sahen der Sonne zu, wie sie bedächtig im Dunst versank. Überschattet wurden die Ausflüge von der Notwendigkeit, ihre Liebe zu verbergen. Im Hotel gehörte es zum Ritual, sich aus dem Tagebuch vorzulesen, Situationen aus seinen und ihren Träumen nachzuspielen oder bisher lediglich angedeutete Handlungen zu realisieren.
Inku erzählte nun auch ihre Träume und er war überrascht, dass die Inhalte oft seinen glichen – mit vertauschten Rollen. Ihre Fantasie war so blühend wie seine, oft übertraf sie seine sogar an Erfindungsreichtum. Eines Morgens gestand sie, früh kapiert zu haben, dass sein Interesse keineswegs nur ihren Fortschritten in der Mathematik galt. »Hast du geglaubt, ich wüsste nicht, warum du dich auf den höheren unbequemen Stuhl gesetzt hast? Um besser in meinen Ausschnitt glotzen zu können.« Sie lachte. »Jetzt bist du aber rot geworden!«
War er davon ausgegangen, dass sie nichts von seinen Absichten ahnte, nahm er nun staunend zur Kenntnis, dass sie damals den BH ausgezogen hatte, um zu sehen, wie er reagierte.
»Das war«, half sie seiner Erinnerung auf die Sprünge, »als du plötzlich in die Küche gelaufen bist, um Wasser zu trinken.«
Eng aneinandergeschmiegt lagen sie auf dem Diwan, versonnen streichelte er ihren Rücken. »Das war, als ich befürchtete, mich nicht mehr beherrschen zu können.«
Jan hätte manche der Geschichten lieber übergangen, doch sie bestand darauf, alle vorzulesen und lachte, wenn er an manchen Stellen ins Stottern geriet wie bei der, die sie längst kannte, als er an ihrer Wäsche gerochen und ihre Kraushaare aus dem Badewasser gefischt hatte. Sie nahm ihm das Heft aus der Hand und las. Er liebte ihre warme dunkle Stimme. Manche Passagen flüsterte sie ihm ins Ohr, als hätten sich in einer dunklen Ecke Zuhörer versteckt. Es gehörte zur Zeremonie, dass er auf die Frage, ob er das Säckchen mit den Haaren noch hätte, in der Schublade wühlte und ihr das Nylonsäckchen zeigte. Sie setzte sich auf seinen Schoß, küsste ihn und streichelte seine Wangen.
»Erinnerst du dich an die Stelle, als ich dir beim Abschied etwas in die Hand gedrückt habe? Du hast es in die Anoraktasche gesteckt.«
»Inku, das haben wir schon x-mal gelesen!«
»Ich möchte es aber wieder hören.«
Er hatte Hemmungen, vorzulesen, wie er daran gerochen,