SeitenSprünge | Erotischer Roman. Clarissa ThomasЧитать онлайн книгу.
bin oft hier«, sagte Andrej, und das blieb für einige Zeit auch das Einzige, was er von sich gab.
Da mir nichts Besseres einfiel, verhielt ich mich ebenfalls still, und gemeinsam betrachteten wir den Fluss, der an seinen Rändern kleines Treibgut mit sich führte; Plastikflaschen, Holzbretter, einen Eimer, das Rad eines Kinderwagens.
»Du kannst schweigen. Das ist gut«, sagte Andrej nach einer gefühlten Ewigkeit zu mir. »Nur wer gut schweigen kann, der kann auch gut reden, sagt meine Babuschka. Die meisten deiner Mitschüler können das nicht.«
Ich musste lachen. Gleichzeitig überlegte ich mir, ob das hier eine Art Initiationsritual sein sollte, und ob Andrej alle seine potentiellen Freunde und Freundinnen an den Fluss schleppte, um sie schweigen zu lassen – und ob ich bisher als Einzige bestanden hatte.
»Das Dorf, aus dem ich komme, ist sehr klein. Sehr viel kleiner als diese Stadt. Es leben dort vielleicht achtzig Menschen. Ich bin oft Stunden mit dem Bus unterwegs, bis ich zu meiner Schule komme. Wenn ich Freunde besuchen will, nehme ich mein altes Fahrrad, aber auch das dauert lang. Hier ist alles so nah.«
Gern hätte ich seine breite Hand genommen, doch mir war bewusst, dass er den ersten Schritt tun musste. Ich ließ meine Finger mit gespielter Beiläufigkeit über die Risse in den Stufen wandern, einmal zu ihm hin, dann wieder zurück, beständig im Wechsel. Obwohl er ununterbrochen auf den Fluss blickte, griff er plötzlich mit beeindruckender Genauigkeit nach meiner Hand.
»So zart«, sagte er schließlich. »Du hast noch nie eine Kuh gemolken, oder?«
Erneut brach ich in Lachen aus. Ich fragte mich, ob dies in Andrejs Dorf die übliche Art der Anmache sei, aber schnell beruhigte ich mich wieder. Wenn er wirklich sein bisheriges Leben am hinterletzten Ende der Welt verbrachte hatte, war sein Erfahrungshorizont mit Mädchen naturgemäß nicht allzu groß.
»Hast du zu Hause eine Freundin?«, fragte ich ihn, doch er schüttelte den Kopf.
»Würde ich dann deine Hand halten? Wohl nicht.«
Mit diesem Satz hatte er mich endgültig für sich gewonnen. Mir gefiel seine Geradlinigkeit, und diese Atmosphäre des Fremden, Geheimnisvollen, die ständig über ihm lag. Mit ausgeschaltetem Verstand gab ich ihm einen kurzen Kuss.
»Du machst keine großen Umstände, hm?«
Jetzt lächelte auch Andrej. An diesem Tag saßen wir noch lange am Fluss, und wenn auch nichts weiter geschah, als dass wir dem Wasser nachsahen, sollten mir diese Stunden noch lange im Gedächtnis bleiben.
In der Schule gaben wir uns zurückhaltend. Die anderen sollten nichts von dem merken, was sich da zwischen uns entwickelte, und ich glaube, das hatten wir auch ganz erfolgreich geschafft. Nach dem Unterricht gingen wir immer an den Fluss, wobei Andrej mich häufig bat, ein Buch mitzunehmen, aus dem ich ihm vorlesen sollte. Die Begründung, dass er sich die Aussprache bestimmter Wörter besser einprägen wollte, hielt ich für vorgeschoben. Tatsächlich taxierte er immer sehr genau die Bewegungen meiner Lippen, und ich fand es merkwürdig, dass er sich mit Küssen mir gegenüber so stark zurückhielt – fesselte mein Mund doch scheinbar seine ganze Aufmerksamkeit.
Wir verbrachten sehr viel Zeit miteinander, und selbst mit meinem besten Freund Oliver traf ich mich in diesen Wochen nur selten.
***
Andrej nahm mich nie mit in die Unterkunft, in der er wohnte. Allerdings war er einverstanden, als ich ihn zu mir nach Hause einlud. Auch meine Eltern wollten diesen Austauschschüler einmal kennenlernen, nachdem ich ihnen schon so viel von ihm vorgeschwärmt hatte. Er trug seine besten Sachen und polierte Lederschuhe, als er über unsere Türschwelle trat, und gab sich vollkommen höflich zu meiner Mutter und meinem Vater. Ich stellte alle miteinander vor, dann setzten wir uns in das Esszimmer, während Papa ein selbstgekochtes Reisgericht auf die Teller verteilte. Meine Eltern fragten Andrej hauptsächlich nach seiner Herkunft, und über den Umstand, dass seine Familie kein Telefon besaß, staunten sie eine ganze Weile. Mir war es eher peinlich, doch Andrej war nicht aus seiner natürlichen Ruhe zu bringen, er bedankte sich anständig für das Essen und bot sogar an, den Abwasch zu übernehmen, doch meine Mutter scheuchte uns beide regelrecht hoch auf mein Zimmer.
»Eine nette Familie hast du.«
»Ja, kann man so sagen. Manchmal nerven sie aber auch ganz schön.«
»Trotzdem. Du musst dir immer überlegen, wie du ohne sie dran wärest.«
Andrejs Weisheit, vorgetragen mit diesem verführerischen Akzent, machte mich wahnsinnig. Ich hatte so unglaubliche Lust auf ihn, doch ich wusste einfach nicht, wie ich die Sache anpacken sollte. Ich konnte mich ja wohl schlecht einfach vor ihm ausziehen, oder?
Da unsere Geschichte in der Bibliothek angefangen hatte, versuchte ich, mich ihm durch geschriebene Worte zu erklären. Ich setzte einen langen, mit zierlicher Mädchenhandschrift verfassten Brief auf, in dem ich ihm sehr blumig von bestimmten Gedanken berichtete, die mich beschäftigten, und von gewissen Bedürfnissen, die mir Unruhe bereiteten. Nachdem wir wieder einen ganzen Nachmittag am Fluss verbracht hatten (langsam wurde es ernsthaft kalt, und die Steinstufen unter meinem Hintern fühlten sich nicht mehr sehr einladend an), gab ich ihm mein Schreiben und verschwand schnell durch die Büsche.
***
Am nächsten Tag in der Schule ließ er sich nichts anmerken, und zum Fluss kam er auch nicht mehr. Ich befürchtete schon, ihn verloren zu haben, doch als ich nach Hause kam, lag ein an mich adressierter Brief vor der Tür. In kurzen, etwas groben Buchstaben bat mich Andrej, ihn in seiner Unterkunft zu besuchen, die genaue Anschrift teilte er mir sicherheitshalber noch einmal mit.
Ich stürmte auf mein Zimmer und suchte eilig die geeignetste Unterwäsche heraus, die sich für ein solches Ereignis im Schrank einer nunmehr Sechzehnjährigen finden ließ. Mein Herz klopfte schnell, als ich aus dem Haus trat, durch die Stadt rannte und mich schließlich vor Andrejs Heim zu einer kurzen Pause zwang. Ich konnte ihm schließlich nicht völlig abgekämpft entgegentreten.
Seine Zimmernummer musste ich nicht lange suchen. Ich klopfte an und ging hinein, die Tür war nur angelehnt.
Andrej saß an dem kleinen Schreibtisch und hielt meinen Brief in der Hand.
»Ich brauchte etwas Zeit, um darüber nachzudenken«, sagte er. »Schließlich werde ich in einigen Monaten nach Hause zurückgehen, und dann werden wir uns nicht wieder sehen. Du wirst vermutlich nicht in ein Dorf mit achtzig Einwohnern ziehen und Kühe melken wollen, oder?«
Ich wäre ihm am liebsten in die Arme gefallen, aber etwas in seinem Blick gebot mir noch Einhalt.
»Glaube nicht, dass du mir gleichgültig wärest, das nicht. Ich habe sogar ein Bild von dir neben meinem Bett stehen, siehst du?« Er zeigte auf die Matratze, die links neben der Tür auf dem Boden lag. An die Wand darüber hatte er ein Foto von mir gepinnt, das ich ihm einmal geschenkt hatte. »Aber ich möchte dich auch nicht verletzen.«
Andrej schwieg, und ich wusste, dass ich nun die richtigen Worte finden musste.
»Nicht nur deine Babuschka hat dir kluge Dinge erzählt. Meine Großmutter sagt immer, dass man kein Feigling sein darf. Und dass man am meisten die Risiken bereut, die man nicht gewagt hat.«
Zwar stimmte es nicht ganz, da ich den Spruch nicht von Oma, sondern aus einem Film hatte, aber er verfehlte bei Andrej nicht seine Wirkung. Er stand auf und ging auf mich zu.
»Du möchtest es also.«
»Ja, mehr als alles andere auf der Welt möchte ich es.«
Andrej griff hinter mich und verschloss die Tür.
»Wir müssen aber leise sein, die Wände hier sind sehr dünn. Ich höre meinen Nachbarn jede Nacht schnarchen.«
»Nun, dann wird er jetzt eben uns hören.« Ich war erstaunt über meinen eigenen Wagemut, der bei Worten noch lange nicht aufhörte. Sehr geschickt zog ich meinen Pullover, die Schuhe, Strümpfe und schließlich den Rock aus. Fast nackt vor einem Jungen zu stehen hatte nichts von seiner Sensation für mich verloren, und Andrej betrachtete