Leni Behrendt Classic 49 – Liebesroman. Leni BehrendtЧитать онлайн книгу.
der obligate Liebhaber natürlich nicht fehlte. Einige Zeit ging es gut, dann kam es zur Tragödie.
Vor ungefähr vier Jahren mußte der Graf in einer dringenden Angelegenheit auf eine Woche verreisen, wobei die Begleitung seiner Mutter notwendig war. Beruhigt fuhren sie ab, weil sie das Töchterchen bei der Mutter in guter Obhut wußten. Tagsüber blieb diese auch brav im Hause, weil sie unter Beobachtung von Auguste und Gottfried, die ihrer Herrschaft treu ergeben sind, stand. Aber abends, wenn alles im Hause schlief, traf sie sich mit ihrem Galan.
So geschah es auch an jenem Spätabend, der so unendlich viel Leid über den Grafen und seine Mutter brachte. Das Kind wachte auf, rief ängstlich nach der Mama, tappte nach deren Zimmer, fand das Bett leer.
Wie das Traurige dann kommen konnte, weiß kein Mensch genau zu sagen. Anzunehmen ist, daß das verängstigte, noch nicht einmal dreijährige Mädelchen durch das geöffnete Fenster die Stimme der Mutter gehört haben muß, ihr nachtapste, sie nicht fand, immer weiter suchte und ins Moor geriet. Leider kam der junge Mann, der durch die Heide wanderte, um ins Dorf zu gelangen, einige Minuten zu spät. Denn als er auf die gellenden Schreie der Kleinen herbeieilte, gelang es ihm zwar noch, das Körperchen aus dem grausigen Schlund zu ziehen, allein das Herzchen tat dabei seinen letzten Schlag.
Und als er mit der kleinen Leiche im Arm Elchheiden zueilte, kam ihm entgegen ein Paar singend daher. Mutter und Sohn gedachten ihre Lieben zu Hause noch am späten Abend zu überraschen, bestellten daher kein Fuhrwerk zur Bahn, sondern schlenderten von dort aus vergnügt über die Heide.
Die Gräfin, die dieser schwerste Schlag zusammenbrechen ließ, lag wochenlang auf den Tod danieder. Und als sie sich dann doch noch einmal von dem Schmerzenslager erhob, blieben die Beine der Ärmsten gelähmt. Natürlich wurden berühmte Ärzte hinzugezogen und alles getan, was nur möglich war. Einem davon vertraut der Graf blind, zieht ihn immer wieder hinzu, während die andern nach einmaliger Untersuchung wegbleiben mußten, weil er sie einfach nicht bezahlen kann.
Mich kleines Licht beorderte man auch nach Elchheiden, und ich muß ehrlich sagen, daß zuerst keine Hoffnung bestand, die Gräfin jemals wieder auf die Beine zu bringen. Und als dann das Wunder geschah und sie ein ganz schwaches Leben darin zu spüren begann, wäre es angebracht gewesen, wenigstens einen der tüchtigen Ärzte zu befragen, dann säße die Frau Gräfin bestimmt nicht mehr im Rollstuhl. Aber der Graf läßt sich von einem vertrottelten Professor einwickeln, der gerade zu dem rät, was einen andern Arzt in Rage versetzen würde.
Sonderbarerweise scheint die Frau Gräfin großes Vertrauen zu mir zu haben. Denn sie dringt darauf, daß ich wenigstens einmal in der Woche nach ihr sehe. Pflichtschuldig verschreibe ich ihr harmlose Pülverchen und Tropfen, die sie wahrscheinlich gar nicht schluckt. Und auch das wirksamste Rezept tut sie lächlend ab: mit Energie ihrem überängstlichen Sohn und seinem Intimus entgegenzutreten. Um all den Aufregungen aus dem Wege zu gehen, will sie ihn vor die vollendete Tatsache stellen.
Was noch über die pflichtvergessene Gilda zu berichten ist, kann man auch als tragisch bezeichnen. Natürlich wies der Graf sie noch in der Unglücksnacht aus dem Hause, was man ihm nicht verdenken kann. Aus Rache verlangte sie das Geld zurück, das sie in die Ehe gebracht hatte, heiratete nach erfolgter Scheidung den Galan, der sie gehörig ausbeutete und der dann, als der Schwiegervater sich weigerte, für neue Zufuhr zu sorgen, auf und davon ging.
Später kam Gilda durch einen Unglücksfall ums Leben, natürlich bei einer leichtsinnigen Autofahrt mit einem neuen Liebhaber. Ihr Vater grämte sich zuschanden, starb auch.
Da Gilda sein einziges Kind war, fiel die Hinterlassenschaft an einen Neffen. Er und der junge Mann, der die kleine Komteß aus dem Moor zog, gewannen durch die Tragödie. Ersterer durch das reiche Erbe, letzterer erhielt als Dank die Rentmeisterstelle auf Elchheiden, und somit hatte seine Arbeitslosigkeit ein Ende. Der Graf dagegen muß sich auf seinem verschuldeten Besitz weiter plagen. So, nun wissen Sie Bescheid, Fräulein Rothe.«
Holda liefen vor Erschütterung die hellen Tränen über die Wangen. Mitleidig sahen die andern auf das blutjunge Menschenkind, dem es gewiß nicht gelingen würde, sich in Elchheiden durchzusetzen.
Allein, darin sollten sie sich getäuscht haben. Denn Holda Rothe war nicht der Mensch, der so leicht mutlos wurde. Sie nahm auch nicht an, daß das Leben ein Rosengarten wäre, wie Graf Elchenbrock vermutete. Er allein sorgte schon dafür, daß es darin Dornen aller Art gab. Er behandelte das Mädchen so schroff, was es jedoch nicht entmutigte, sondern nur seinen Trotz weckte.
Außerdem machte die Wirtschafterin der armen Holda das Leben nicht leicht, beehrte sie mit ihrem Mißtrauen, bespitzelte sie an allen Ecken und Enden. Holda nahm das aber nicht tragisch, sondern freute sich spitzbübisch, wenn es ihr gelang, der Wachsamen ein Schnippchen zu schlagen.
Denn trotz aller Bewachung gelang es ihr immer wieder, der Gräfin bei ihren heimlichen Gehversuchen behilflich zu sein, die streng nach Doktor Schliereits Verordnung vor sich gingen. Viel Erfolg war allerdings noch nicht zu verzeichnen, was Holda mehr entmutigte als Frau Feline.
»Lassen Sie nur, mit einem Streiche fällt eben keine Eiche«, bemerkte die Gräfin einmal humorvoll. »Was meinen Sie wohl, wie herrlich das sein wird, wenn wir beiden Verschwörer eines Tages vergnügt über die Heide wandern werden!«
»Das werde ich nicht mehr erleben, Frau Gräfin.«
»Warum denn nicht? Gedenken Sie etwa zu sterben?«
»Das habe ich durchaus nicht vor«, war die lachende Erwiderung. »Aber bis die Wanderung sich verwirklichen läßt, bin ich schon längst nicht mehr hier. Denn im Frühjahr gedenke ich mit dem Studium zu beginnen.«
»Und solange noch sollte ich mich mit meiner mühsamen Spaziererei ohne Erfolg abplagen? Das ist gerade keine Ermutigung, die Sie mir da geben, mein Kind! Sehen Sie mich nicht so erschrocken an, ich resigniere nicht so leicht, sondern beherzige das Sprichwort, daß Hoffnung nicht zuschanden werden läßt. Jetzt haben wir erst einmal Frühsommer, es folgen Herbst und Winter, und dann sollen sie mal sehen, wie leichtfüßig ich dahinschreite!«
»Wie ich mich darüber freuen würde! Leider kann ich für Frau Gräfin so wenig tun.«
»Sie tun schon gerade genug für mich.« Sie sah lächelnd in die treuherzigen Augen des Mädchens hinein. »Und zwar durch Ihren goldnen Frohsinn. Der ist nämlich meine beste Medizin.«
»Wirklich, Frau Gräfin?«
»Wirklich. Ich werde Sie nach Ihrem Fortgang hier sehr vermissen, meine kleine Holde.«
»O wie schön«, lachte das Mädchen glückselig. »Das ist wie ein kostbares Geschenk, das ich soeben erhielt. Nun weiß ich doch, daß Frau Gräfin zufrieden mit mir sind, und alle anderen können mir gestohlen bleiben!«
Frau Feline stimmte in das herzfrohe Lachen ein und sah so dem Sohn entgegen, der den Rosengang betrat, in dem der Rollstuhl stand.
»So fröhlich, Muttchen?« fragte er fast vorwurfsvoll, und sie antwortete vergnügt:
»Na, was denn! Soll ich etwa grämlich sein, wo die Sonne so golden scheint, die Rosen duften und die Vögel jubilieren? Du verlangst wahrlich viel von mir, mein Sohn.«
»Nicht so, meine kleine Mama. Ich freue mich über deine Fröhlichkeit.«
»So siehst du gerade aus«, bemerkte sie trocken mit einem Blick in sein finsteres Gesicht. »Hast du etwas auf dem Herzen, weil du zu so ungewohnter Stunde bei mir erscheinst?«
»Ja. Ich möchte dir sagen, daß sich der Professor für heute nachmittag angemeldet hat. Er will wieder einmal nach dir sehen.«
»Nett von dem alten Herrn, die beschwerliche Reise zu machen. Seine Anhänglichkeit ist anerkennenswert.«
»Wie du manchmal sprichst, Mutter! Nimmst du den Arzt etwa nicht ernst, der eine Kapazität auf seinem Gebiet ist?«
»Gott bewahre, mein Junge. Die erkenne ich gewiß an.«
»Will ich meinen. Rege dich vor seinem Kommen bitte nicht zu sehr auf.«
»Sollte mir einfallen!