Leni Behrendt Classic 49 – Liebesroman. Leni BehrendtЧитать онлайн книгу.
»Ich freue mich direkt auf den Besuch des Professors.«
Den lernte Holda dann auch am Nachmittag kennen. Ein verknöcherter Herr, sehr von seiner Weisheit durchdrungen. Er untersuchte die Gräfin flüchtig und meinte danach wichtig:
»Meine Verordnungen haben zu einem winzigen Schritt der Besserung geführt. Die Lähmung ist natürlich nicht zurückgegangen, wie ich sofort bemerken konnte. Aber Herz und Nerven haben sich gebessert. Demnach ist sie recht brav gewesen, unsere verehrte Kranke.«
»Sehr brav.«
»Muß man auch sein, wenn man sein Leben erhalten will. Also immer weiter folgsam bleiben, Frau Gräfin. Hübsch ruhig dasitzen, sich niemals anstrengen. Das kann zum Herzschlag führen.«
Holda, die auf Wunsch der Gräfin der Unterredung beiwohnte, hätte dem salbadrigen Herrn am liebsten in sein verkniffenes Gesicht gelacht. Wenn er nur wüßte, der Wichtigtuer, der die Besuche nach Elchheiden gewiß nur unternahm, weil sie gut bezahlt wurden! Wie konnte der Graf nur so großes Vertrauen zu dem Mann mit seinen überalterten Ansichten haben? Da hatte Doktor Schliereit schon recht, wenn er ihn verbohrt nannte.
»Wie gefällt Ihnen denn der kluge Herr Professor?« fragte Frau Feline, als sie wieder mit Holda allein war.
»Gar nicht, Frau Gräfin. Wenn ich später einmal einen solchen Chef bekommen sollte, das wäre, um mit Gustchen zu sprechen, daß Gott erbarm.«
»Ja, Holdakind, wer sich in Gefahr begibt, kommt oft darin um. Aber wiederum ist eine Gefahr, die man erkennt, eigentlich keine mehr, weil man sich vor ihr schützen kann.«
»Aha, ich verstehe. Gefahr: Der Professor. Die sich davor Schützende: Frau Gräfin. Gehorchen ist nichts, gehorsam tun alles.«
Beim Anblick des lachenden Mädchengesichts wurde es der Frau warm ums Herz. Wie ein wärmender Sonnenstrahl wirkte die fröhliche Art des jungen Menschenkindes auf die Leidende, die jahrelang durch das Leben so gelitten und so im Schatten gestanden hatte.
*
Es war nun schon das dritte Mal, daß Holda über die Heide dem Dorf zuschritt, um ihren freien Sonntagnachmittag im Doktorhaus zu verleben. Heute bereute sie es, nicht den Weg durch den Wald gewählt zu haben; denn die Sonne meinte es gar zu gut. Sie brannte unbarmherzig vom wolkenlosen Himmel, kein Lüftchen regte sich.
Nun, schön war anders, doch Holda ließ sich nicht verdrießen. Tapfer schritt sie drauflos, aber sie war doch froh, als sie die Doktorfamilie begrüßen konnte, die wie gewöhnlich um diese Zeit auf der Veranda beim Nachmittagskaffee saß.
Auf allgemeinen Wunsch hatte sie ihre geliebte Laute mitgebracht, die ihr in bunter Pracht über die Schulter hing. Mit Wohlgefallen ruhten aller Augen auf dem lachenden Mädchengesicht, die des jungen Arztes am wohlgefälligsten.
Donner noch eins, so eine süße Krabbe konnte einem Mann schon das Herz heiß machen! Wenn es nach ihm ginge, sollte sie gar nicht erst mit dem Studium beginnen, das sie sich so eigensinnig in ihr reizendes Köpfchen gesetzt hatte! Eifrig schob er einen Korbsessel neben den seinen, in den sie sich fallen ließ.
»Was macht die Heimlichkeit?« erkundigte sich der Senior der Familie.
»Es geht langsam voran, Herr Doktor«, berichtete Holda. »Gestern machte Frau Gräfin ganz selbständig drei Schritte. Ist das nicht ganz herrlich?«
»Kann man wohl sagen.« Der Arzt nickte zufrieden. »Aber nun nicht womöglich den Größenwahn bekommen und Raubbau mit den Kräften der Frau Gräfin treiben!«
»Keine Angst, ich bremse schon«, war die vergnügte Antwort. »Wenn es nämlich nach der Frau Gräfin ginge, würde sie viel mehr auf den Beinen sein. Mir wird manchmal angst und bange bei so viel verbissener Hartnäckigkeit…«
»Die zu bewundern ist«, warf die Hausherrin ein. »Ich hätte bei der Dame nie eine solche Willenskraft vermutet, angesichts der Resignation, die sie zur Schau trug.«
»Sie trug sie nicht nur zur Schau, sondern sie wäre ihr schon fast verfallen«, stellte der Gatte richtig. »Kein Wunder unter der strengen Bewachung von Sohn, Auguste und den alten Tanten die man ihr als Gesellschafterin und Betreuerin bisher gestattete. Die hätten schön Zeter und Mordio geschrien, wenn die Ärmste in ihrer Gegenwart gewagt hätte, von den Beinen Gebrauch zu machen. Zu allem noch die Vorschriften des vernagelten Professors…«
»Nun ergrimme dich nicht wieder, mein lieber Mann«, lachte die Gattin dazwischen. »Deine Verordnungen werden noch einmal die deines großen Kollegen glänzend schlagen. Vorausgesetzt, daß Fräulein Rothe der Gräfin ihren Beistand nicht versagt.«
»Wie sollte das wohl möglich sein?« fragte Holda erstaunt.
»Indem Sie Reißaus nehmen. Denn lange werden Sie es in Elchheiden nicht mehr aushalten. Wie lange sind Sie überhaupt schon dort?«
»Sechs Wochen. Und ebenso viele Monate gedenke ich noch zu bleiben.«
»Das gebe Gott«, meinte die Dame skeptisch. »Denn falls Ihre und der Gräfin Heimlichkeit herauskommt…«
»Fliege ich«, ergänzte Holda und setzte lachend hinzu: »Das heißt, wenn der zornbebende Herr Graf mich nicht vorher auf der Stelle frißt.«
»Mädchen, Mädchen«, fiel der Hausherr in die allgemeine Heiterkeit ein. »Das könnte Ihnen leicht passieren. Den Brummbär noch in Rage zu bringen, na ich danke!«
»Halb so schlimm«, tat Holda unbekümmert ab. »Man muß es nur verstehen, dem gestrengen Herrn im großen Bogen aus dem Wege zu gehen, dann kommt man gut mit ihm aus. Daß ich ihm nicht nach seiner düster umschatteten Nase bin, habe ich begriffen. Liebend gern würde er mich aus Elchheiden verbannen, aber in der Beziehung setzt seine so rücksichtsvolle Mutter ihm hartnäckigen Widerstand entgegen. Sie mag mich nämlich gern um sich haben, meine liebe Frau Gräfin, was mich unsagbar beglückt. Ich habe sie schrecklich gern.«
»Was auf Gegenseitigkeit beruhen dürfte«, meldete sich die Tochter des Hauses. »Frau Gräfin liebt Sie direkt, wie ich bei meinem letzten Besuch in Elchheiden feststellen konnte. Wenn sie Sie kleine Holde nennt, berührt es wie ein zärtliches Streicheln.«
»Das höre ich auch zu gern«, nickte Holda. »Könnte ich nur noch erleben, daß diese wundervolle Frau, die ihr Leid mit so bewundernswerter Geduld trägt, wieder unbeschwert dahinschritte!«
»Nanu, wollen Sie denn sterben?« fragte der junge Arzt genau so verwundert, wie es die Gräfin vor einiger Zeit getan, und erhielt die gleiche Antwort wie sie:
»Das habe ich durchaus nicht vor. Doch bis die Frau Gräfin soweit ist, bin ich nicht mehr in Elchheiden, weil ich im Frühjahr mit meinem Studium beginnen will.«
»Spukt die fixe Idee immer noch in dem reizenden Köpfchen?«
»Fixe Idee? Nehmen Sie mich etwa nicht ernst, Herr Doktor?«
»Kinder, verderbt uns nicht die Gemütlichkeit mit heiklen Gesprächen«, bog der Hausherr energisch einen Streit ab. »Wollen wir lieber fröhlichen Gesang erschallen lassen. Hol deine Laute herbei, Reinhild, und Sie greifen nach der Ihren, kleine Holde.«
Man tat’s, stimmte die Instrumente auf den gleichen Ton, und schon erfüllte froher Singsang die Veranda. Es waren durchweg keine meisterhaft geschulten Stimmen, aber die einfachen Lieder waren von bestrickendem Wohlklang. Man vergaß bei der vergnüglichen Beschäftigung die Zeit, bis Holda nach ihrer Armbanduhr sah und erschrocken aufsprang:
»Da kann ich mich ja nun in Trab setzen, um pünktlich in Elchheiden zu sein! Sonst kriege ich es mit Guste zu tun, die mir bis sieben Uhr Urlaub bewilligte. Wehe, wenn ich auch nur fünf Minuten zu spät komme!«
Sie nahm herzlich Abschied von der ihr so liebgewordenen Familie und lehnte entschieden ab, als der Sohn des Hauses ihr seine Begleitung anbot.
»Besten Dank, Herr Doktor. Allein geht man schneller, weil man sich nicht festplaudern kann. Und Sie wissen, daß meine Zeit knapp bemessen ist.« Leichtfüßig eilte sie davon und rief auf die Aufforderung, recht bald wieder