Dr. Norden Classic 39 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
und Wendy um die Patienten kümmerten, rief er zuerst seine Freundin in der Bäckerei an.
»Alles in Ordnung«, antwortete Tatjana Bohde zu seiner Erleichterung munter wie immer. »Stell dir vor: Durch das Schaufenster der Bäckerei wurde ein niederländischer Tourist geweht. Glücklicherweise ist ihm nichts passiert. Ihm zu Ehren werde ich ein neues Gebäck mit Namen ›Fliegender Holländer‹ kreieren«, teilte sie ihrem über die Maßen erleichterten Freund mit, sodass er das Gespräch beenden und bei seiner Mutter anrufen konnte.
»Bei Mum, Lenni und Felix ist auch alles klar«, berichtete Danny seinen beiden Mitarbeiterinnen wenig später. »Das Haus ist zwar ein bisschen lädiert. Aber ansonsten geht es allen gut.« Damit ging er zur Garderobe, um sich für den Aufbruch zu rüsten.
»Sie haben Glück, dass Ihr Parkplatz heute nicht frei war«, bemerkte Janine trocken, während sie ihrem jungen Chef dabei zusah, wie er den Kittel gegen seine Jacke tauschte und nach der Arzttasche griff. »Andernfalls wäre von Ihrem Auto nicht mehr viel übrig.« Sie deutete auf die Dachziegel, die sich durch die Windschutzscheibe eines fremden Autos gebohrt hatten. Und auch sonst war der Wagen reichlich lädiert.
»Ich hoffe, dem Flugzeug meines Vaters ist es nicht ähnlich ergangen«, waren Dannys Gedanken jedoch schon weiter geeilt. »Bitte informiert mich, sobald ihr irgendwas von Dad hört.«
»Du kannst dich voll und ganz auf uns verlassen«, versprach Wendy fast feierlich.
Von draußen ertönten Feuerwehrsirenen und Martinshörner.
Der junge Arzt zögerte noch einen Augenblick. Die Sorge um seinen Vater stand ihm ins Gesicht geschrieben, und am liebsten hätte er sich selbst ans Telefon gesetzt und Nachforschungen angestellt. Doch schließlich siegte sein Pflichtbewusstsein, und er machte sich – vorsichtshalber zu Fuß – auf den Weg in die Behnisch-Klinik.
*
Ein Gebet auf den gesprungenen Lippen saß Ricarda Schmied wie erstarrt in ihrem Flugzeugsitz und wartete auf den letzten, alles verschlingenden Knall. Als sich eine Hand auf ihre Schulter legte, zuckte sie erschrocken zusammen und riss die grünen Augen auf. Sie starrte direkt ins Gesicht der Flugbegleiterin.
»Entschuldigen Sie bitte!«
»Was?«, fragte Ricarda verwirrt. »Was ist denn?«
Die Stewardess lächelte sie freundlich an.
Im Glauben zu träumen, drehte Ricarda rasch den Kopf zu ihrem Banknachbarn. Doch auch Dr. Norden lächelte.
»Wir sind gelandet!« Die liebenswürdigen Worte der Flugbegleiterin hallten in Ricardas Ohren.
»Wir sind gelandet?«, wiederholte sie ungläubig. Als sie sich umsah, stellte sie fest, dass das Flugzeug tatsächlich auf festem Boden stand. Die anderen Passagiere begannen bereits damit, sich auf den Ausstieg vorzubereiten, öffneten die Gepäckboxen über den Sitzen, um ihre Rucksäcke und Bordcases herauszuholen und zogen ihre Jacken an. Ricarda beobachtete das geschäftige Treiben um sich herum. Trotzdem traute sie dem Frieden nicht.
»Es ruckelt ja gar nicht mehr.«
Das Lächeln auf Daniels Gesicht wurde noch tiefer.
»Nein, es ruckelt schon seit einer ganzen Weile nicht mehr. Aber Sie waren wie paralysiert und wollten nicht auf mich hören.«
Ricarda Schmied schien immer noch nicht glauben zu können, dass wirklich alles gut war.
»Dann sterben wir also doch nicht?«, fragte sie weiter.
»Nein! Zumindest nicht hier und heute.«
»Oh, gut.« Verlegen kaute Ricarda auf ihrer Unterlippe.
»Wenn Sie jetzt bitte aussteigen würden«, bat die Flugbegleiterin freundlich, aber bestimmt.
Die Gefahr war vorüber, die Nerven hatten sich beruhigt, und es galt, das Flugzeug für den nächsten Flug vorzubereiten. Alles ging seinen gewohnten Gang.
»Ja, natürlich«, stammelte die junge Frau und erhob sich von ihrem Sitz.
Sie schwankte, und instinktiv streckte Dr. Norden die Hände aus, um sie zu stützen. Ricarda war verschwitzt, ihr Haar wirr und ihre Wangen glühten noch von der überstandenen Aufregung.
»Vorsicht. Nicht, dass Ihnen auf den letzten Metern noch was passiert!«, bemerkte Daniel und sorgte dafür, dass er beim Aussteigen immer in ihrer Nähe blieb.
Seite an Seite standen sie schließlich am Gepäckband und warteten auf ihre Koffer.
»Waren Sie geschäftlich in London?«, erkundigte sich Ricarda. Endlich konnte sie wieder an etwas anderes denken als an den überstandenen Schrecken.
»Ich habe einen Ärztekongress besucht«, gab Dr. Norden bereitwillig Auskunft.
»Oh, Sie sind Arzt!«, ließ eine begeisterte Feststellung nicht lange auf sich warten. »Das war auch immer mein Traum. Leider hat es dann aber nur zur Krankenschwester gereicht. Ich arbeite im Londoner Bridge Hospital.«
»Eine ausgezeichnete Adresse!« Daniel nickte anerkennend. »Wenn ich nicht irre, ist diese Klinik nicht nur für ihre medizinischen Verdienste bekannt, sondern auch für die ausgezeichnete Pflege, die den Patienten dort zuteil wird.«
»Das wissen Sie?« Wieder begannen Ricardas Wangen zu glühen. Diesmal jedoch vor Stolz und nicht aus Angst. Das Gepäckband setzte sich in Bewegung, und ihr Blick suchte nach ihrem Koffer. »Aber dieser ausgezeichnete Arbeitgeber hat auch einen Nachteil.« Nach und nach verschwand das Lächeln wieder von ihrem Gesicht. Sie musterte Daniel aus ihren grünen Katzenaugen. »Es ist nicht so leicht, etwas Vergleichbares zu finden.«
»Sie wollen wechseln?«, wunderte sich Daniel.
»Na ja, Sebastian und ich … ich meine … wie soll das weitergehen? Er ist Dachdecker und spricht kein Englisch. Deshalb bietet es sich an, dass ich zu ihm nach Deutschland komme«, erzählte Ricarda munter vor sich hin. »Dachdecker, stellen Sie sich das mal vor! Er verbringt jeden Tag in schwindeinden Höhen. Dabei war ich nie froher als jetzt, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.« Unvermittelt waren Ricardas Gedanken schon weitergeeilt in eine unbestimmte Zukunft.
Doch Daniel Norden verweilte beim zuerst angeschnittenen Thema.
»Moment mal«, hakte er interessiert nach. »Wenn ich Sie recht verstanden habe, haben Sie sich seit Jahren nicht gesehen«, wandte er zu Recht ein. Er hatte seinen Koffer entdeckt, der gemächlich auf dem Gepäckband in seine Richtung ruckelte.
»Stimmt schon«, gab Ricarda bereitwillig zu. »Aber irgendwie hab ich es im Gefühl, dass Sebastian und ich eine Schicksalsgemeinschaft sind. Sonst hätte ich den Flug heute überhaupt nicht überlebt. Denken Sie doch nur, wie nahe wir an einem Absturz waren!« Während Ricarda sprach – und das tat sie offenbar leidenschaftlich gern – stand sie keine Sekunde still. Ständig zappelte eines ihrer schlaksigen Körperteile oder gleich die ganze temperamentvolle Frau.
»Nun ja, ganz so schlimm scheint es glücklicherweise noch nicht gewesen zu sein. Zumindest schien mir der Kapitän sehr gefasst«, versuchte Daniel, die Tatsachen ins rechte Licht zu rücken.
Mit einem kräftigen Ruck hob er seinen Koffer vom Band und half gleich darauf Ricarda mit ihrem poppig bunten Gepäckstück. Während sie dem Ausgang entgegen strebten, schaltete er sein Mobiltelefon ein. Er hatte noch keine Gelegenheit gehabt, die Nachrichten zu lesen, als seine Begleitung einen leisen Schreckensschrei ausstieß und ihn am Arm packte.
»Was ist denn jetzt schon wieder?«, entfuhr es ihm erschrocken.
Gleich darauf erblickte auch er das ganze Ausmaß der Bescherung.
Auch hier am Flughafen hatte der Sturm gewütet und ganze Arbeit geleistet. Überall vor den Fenstern lagen Trümmerteile herum, Müll häufte sich in Gebäudeecken.
»Das war also der Orkan, von dem meine Frau am Telefon gesprochen hat«, stellte Daniel fest, nachdem er die Nachrichten auf seinem Handy abgehört hatte. »Und deshalb werde ich auch dringend in der Klinik gebraucht.«