Der kleine Fürst Classic 39 – Adelsroman. Viola MaybachЧитать онлайн книгу.
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Langsam schlenderte der junge Graf Moritz von Anschau quer durch den Saal auf die junge Frau zu, die hoch aufgerichtet an einem der Fenster stand – freilich mit dem Rücken zur wunderschönen Aussicht, die sich von dort bot, denn Schloss Anschau, wo sie sich befanden, war von einem prächtigen Park umgeben.
Das Schloss, in dem die Familie des jungen Grafen seit Generationen lebte, würde vom kommenden Wochenende an interessierten Besuchern offenstehen: Die Grafen Anschau zeigten zum ersten Mal ihre bedeutende Kunstsammlung. An diesem Nachmittag freilich waren nur engere Freunde der Familie zugegen, sodass man Ruhe und Muße hatte, die einzelnen Kunstwerke auf sich wirken zu lassen.
»Du machst ein Gesicht, als quälte dich das alles hier sehr, Steffie«, sagte Moritz. Die Angesprochene war Prinzessin Stephanie von Zehlendorf, aber da sie sich seit Kinderzeiten kannten, nannte er sie noch immer so wie damals. Er lächelte bei seinen Worten, denn er wartete auf Widerspruch. Bisher hatte er von allen Gästen gehört, wie begeistert sie von der Kunstausstellung waren, wie sehr sie den Aufenthalt im Schloss seiner Eltern genossen. Undenkbar, dass ausgerechnet Stephanie, die Kunstbegeisterte, eine Ausnahme bildete.
Ihre Antwort überraschte und schockierte ihn daher. »So ist es, Mo, es quält mich. Ich wünschte, ich wäre zu Hause geblieben.«
»Wieso denn?«, fragte er. »Die meisten Bilder, die wir zeigen, hast auch du noch nie gesehen, obwohl du oft hier warst. Wir hatten sie auf dem Dachboden eingelagert …«
Sie unterbrach ihn. »Es geht doch nicht um die Bilder, Mo. Die sind großartig, ich habe mir einige davon angesehen, aber ich kann mich nicht darauf konzentrieren.«
Er sah sie ratlos an. »Worum geht es dann?«, fragte er.
»Sie wollen mich verkuppeln«, antwortete sie nach kurzem Zögern mit gedämpfter Stimme. »Wusstest du das?«
»Nein!«, antwortete Moritz verblüfft. »Und ich kann mir das auch nicht vorstellen. Wer denn? Und warum?«
Ihre Augen richteten sich forschend auf ihn, als wollte sie auf diese Weise herausfinden, ob er die Wahrheit sagte oder ihr etwas vormachte. Sie war eine bemerkenswert schöne Frau mit feinen Zügen und eben diesen großen Augen von intensivem Blau, die das Erste waren, was jedem, der sie sah, sofort auffiel. Ihr Blick war so intensiv, dass Moritz sich schon manchmal gefragt hatte, ob sie vielleicht direkt in andere Menschen hineinsehen konnte. »Du weißt wirklich nichts davon?«, fragte sie.
»Ich höre das jetzt zum ersten Mal!«, beteuerte er. »Also: Wer will dich mit wem verkuppeln?«
Sie ließ den Blick durch den Saal schweifen. Auf der anderen Seite standen einige Besucher vor einem großformatigen Schlachtengemälde. Sie waren jedoch außer ihnen die einzigen Personen im Saal, und sie wirkten so versunken in die Betrachtung des Bildes, dass Stephanie die Frage ihres Freundes endlich beantwortete. Ihre Stimme klang spröde, als sie sagte: »Meine Eltern wünschen, dass ich Fürst Ludwig von Greifenstein heirate.« Sie ließ diese Worte einige Sekunden lang wirken, bevor sie hinzusetzte: »Und wehe, du behältst das nicht für dich, Mo!«
Er ging auf ihre letzte Bemerkung nicht ein, so sehr faszinierte und schockierte ihn die Neuigkeit. »Das glaube ich nicht!«, erklärte er schließlich.
»Er ist ein Sonderling, das weiß doch jeder. Ein reicher Sonderling ohne Freunde, der vollkommen zurückgezogen in seinem düsteren Schloss haust. Du würdest unglücklich mit ihm, das können deine Eltern unmöglich wollen. Und er hat bisher auch nicht den Eindruck gemacht, als sei er versessen darauf, sich zu verheiraten. Also: Warum?«
»Wegen seines Geldes, Mo«, flüsterte Stephanie, der jetzt unwillkürlich Tränen in die Augen traten. »Wir sind ja schon lange nicht mehr wohlhabend, aber mittlerweile ist unsere finanzielle Situation so bedrohlich, dass meine Eltern keinen anderen Ausweg sehen. Ich will mich aber nicht verkaufen lassen!«
»Das sind ja auch mittelalterliche Methoden. Wollen wir heiraten? Dann wärst du auch gerettet! Ehrlich, wenn du möchtest, halte ich sofort um deine Hand an. In ein paar Jahren lassen wir uns wieder scheiden, du bekommst eine großzügige Abfindung, und alle sind zufrieden.«
Sie lächelte unter Tränen. »Du bist unmöglich«, sagte sie. Ihr liebevoller Ton strafte die Worte Lügen. »Und du solltest nicht so leichtsinnig mit deinen Angeboten sein, sonst nehme ich dich beim Wort.«
»Das kannst du ruhig«, erklärte er eifrig.
»Hör auf, Mo!« Ihre Stimme klang jetzt entschieden. »Es geht nicht um eine großzügige Abfindung, es geht um sehr viel mehr Geld, als du dir im Augenblick wahrscheinlich vorstellen kannst. Mein Vater schläft kaum noch, weil ihm die Sorgen über den Kopf wachsen, er droht alles zu verlieren, was ihm geblieben ist.«
»Ich konnte ja nicht wissen, dass es so schlimm ist. Aber wieso ausgerechnet den düsteren Ludwig von Greifenstein? Sie müssen doch auch an dich denken!«
»Das habe ich sie auch gefragt, sie haben behauptet, er sei ein sympathischer Mann, für seinen Ruf könne er nichts. Außerdem scheint er der Einzige zu sein, der genug Geld hat – und er ist offenbar nicht abgeneigt. Wäre ich bloß nicht mit hierhergefahren.«
»Wieso denn?«, fragte Moritz verwirrt. »Was hat unsere Einladung mit dem Fürsten zu tun?«
Ihre Augen wurden rund vor Erstaunen. »Weißt du denn nicht, dass er hier ist?«
»Wie bitte?« Unwillkürlich hatte Moritz die Stimme erhoben. Die Leute, die noch immer vor dem Schlachtengemälde standen, drehten sich erstaunt um, verloren aber sofort das Interesse, als sie das junge Paar am Fenster sahen. Ein Streit unter Verliebten, dachten sie vermutlich.
»Wie bitte?«, wiederholte Moritz leiser. »Ich wusste nicht, dass er eine Einladung bekommen hat, Steffie. Davon haben mir meine Eltern nichts erzählt, ehrlich nicht. Aber wieso ist er denn gekommen? Er lehnt doch sonst jede Einladung ab, soviel ich weiß.«
»Meinetwegen«, antwortete Stephanie. »Er ist meinetwegen gekommen.« Sie machte eine Pause, dann setzte sie mit bitterer Stimme hinzu: »Zur Begutachtung der Ware, wenn du so willst.«
»Ich verstehe das nicht«, sagte Moritz. »Also schön, deine Eltern brauchen Geld, da kann ich ja noch nachvollziehen, dass sie auf die Idee kommen, eine reiche Heirat würde ihre Probleme lösen. Aber warum sollte sich der Fürst darauf einlassen? Der interessiert sich überhaupt nicht für andere Menschen, jedenfalls nach allem, was ich über ihn weiß. Ich kenne ihn nicht gut, aber …«
»Er braucht Nachkommen von einer standesgemäßen Frau, glaube ich. Meine Mutter hat eine Andeutung in der Richtung gemacht. Sind das nicht wundervolle Aussichten? Um mich geht es bei der ganzen Angelegenheit überhaupt nicht. Ich soll Geld einbringen und Kinder kriegen – dann sind alle zufrieden, nur ich werde der unglücklichste Mensch auf der Welt sein.«
»Heirate mich!«, wiederholte Moritz. »Wir leben weiter als Freunde, aber …«
»Hör auf, Mo«, wehrte Stephanie erneut ab. »Ich habe es dir doch schon gesagt: Das kommt überhaupt nicht in Frage.«
»Hast du den Fürsten denn schon gesehen? Ich meine, habt ihr euch miteinander unterhalten?«
»So würde ich das nicht nennen. Wir wurden einander vorgestellt, da wir uns ja bis dahin nicht kannten – und dann hat er mich mit Blicken taxiert. Ich hätte ihn am liebsten geohrfeigt, das kannst du mir glauben. Unter einem Vorwand habe ich ihn dann stehen lassen. Ich glaube, vorher habe ich auch noch etwas ziemlich Unfreundliches gesagt. Du weißt ja, manchmal geht mein Temperament mit mir durch.«
»Ihr kanntet euch also überhaupt nicht?«
»Ich habe ihn vorher schon einmal gesehen, anlässlich einer Beerdigung, zu der er ausnahmsweise erschienen ist, aber die hat er bald wieder verlassen. Vorgestellt worden sind wir uns erst heute.«
»Und wann haben dir deine Eltern gesagt, was sie … was sie sich wünschen?«
»Unmittelbar vorher. Hätte ich es schon vor unserer Abfahrt nach hier gewusst, wäre ich garantiert zu Hause geblieben, das haben sie wahrscheinlich geahnt.« Stephanie drehte sich um und sah nun endlich aus dem Fenster, freilich ohne den Schlosspark, der sich unter ihr erstreckte, wahrzunehmen. »Ich liebe meine