Fürstenkrone Classic 40 – Adelsroman. Susan HastingsЧитать онлайн книгу.
wir uns wohl weiterhin gesehen.«
Ich verschwieg dabei, daß es Constantin gewesen war, der immer lässiger wurde im Einhalten unserer Verabredungen. Ich verschwieg, daß es mir fast das Herz gebrochen hatte, damals, vor fünf Jahren, als Constantin von Ahrgau aus meinem Gesichtskreis verschwand.
Mit achtundzwanzig Jahren machte er sein Examen als Volkswirt. Heute war er dreiunddreißig und Vater eines vierjährigen Sohnes. Uns verband nichts mehr, nicht einmal die weit zurückliegende Erinnerung an eine Liebe, die von seiner Seite aus nie bestanden hatte.
»Falls Sie etwa annehmen«, sagte ich plötzlich einer inneren Eingebung folgend, »daß ich Constantins wegen Ihre Einladung für diesen Sommer angenommen habe und daß er sie ausgesprochen hat, um mit mir zusammen zu sein, so möchte ich diesen Gedanken weit von mir weisen. Daran ist nichts, Tatjana, absolut nichts. Ich gehöre nicht zu den Frauen, die in fremden Revieren wildern. Ich hatte nicht die kleinste Nebenabsicht, als ich nach Ahrgau kam. Ich wollte lediglich mein erstes Buch hier schreiben, sonst nichts. Glauben Sie mir das wenigstens?«
Ihr Blick war weich und verträumt, als sie mit ihrer leisen, akzentuierten Stimme erwiderte: »Ich glaube Ihnen aufs Wort, Lillian. Sie sind der aufrichtigste und aufrechteste Mensch, der mir in vielen Jahren begegnet ist. Niemals könnte ich Ihnen irgendeine unlautere Absicht unterschieben. Nein, nein, Sie wären die einzige, der ich sagen könnte, was ich irgendwann im Leben einmal jemandem sagen muß – aber nicht jetzt.«
»Warum nicht jetzt?«
»Weil ich es nicht kann«, erklärte Tatjana von Ahrgau ruhig, »weil ich es nicht darf.«
*
Das Frühstück wurde in einem kleinen Zimmer im Zwischenstock serviert. Es hatte ausgesucht schöne helle Eichenmöbel, Fenster, die bis auf den Parkettboden reichten, geblümte Samtvorhänge und einen Hauch von Intimität, der keinem anderen Raum im Schloß anhaftete, den ich je betreten hatte.
Die junge Dame Effi Körner, zu deren Obliegenheiten es unter anderem gehörte, mir das Frühstück zu bringen, hielt sich wieder einmal in gebührendem Abstand, bis ich mich nach einer Weile bemerkbar machte.
Dann schlenderte sie lässig heran, erkundigte sich zum dreiunddreißigsten Male, ob ich Tee oder Kaffee wünsche, und ich antwortete, wie bereits einen Monat lang jeden Morgen: »Kaffee, bitte.«
Ich wußte, ich war nicht in einem Restaurant, und ich pflegte mir mein Frühstück normalerweise selbst zu bereiten. Wenn ich mich an diesen hübsch gedeckten Tisch setzte und auf Effi wartete, so nicht, weil ich zu faul gewesen wäre, mir einen Kaffee zu kochen, sondern weil man mir der Zugang zur Küche verwehrte, weil ich Gast in diesem Haus war. Und weil, wie ich mir allmorgendlich zähneknirschend klarmachte, Effi Körner für diese Handreichung ein gepfeffertes Gehalt bezog.
Sie hatte die längsten Beine, die ich je gesehen hatte, und trug den kürzesten Rock. Sie kleidete sich seit einiger Zeit mit den teuersten Boutiquenmodellen, die in der nahen Kleinstadt zu haben waren, und sie trug den Kopf entschieden sehr viel höher als vor anderthalb Monaten, als ich angekommen war.
Na schön, dachte ich und machte mich endlich über meinen Kaffee und die Brötchen her, wer auch immer dein Gehalt aufbessert, Mädchen, er tut es bestimmt nicht für nichts. Ich möchte wirklich wissen, was es mit dieser auffallenden Wandlung deines Äußeren auf sich hat, sowie mit der Wandlung deines Charakters, falls du früher einen solchen besessen hast.
Sie schien meine Gedanken zu lesen, sah mich schnippisch an, lächelte verwegen und schwebte auf ihren langen Beinen davon.
Hatte ich mich wirklich getäuscht, als ich vorige Nacht einen Schatten unten in der Eingangshalle gewahrt zu haben glaubte? Kurz bevor die Windharfe das erste Mal erklang? Oder hatte ich trotz Nacht und Dunkel und schwerer Träume richtig gesehen und Effis schöne lange Beine unter einem Cape erkannt?
Ich wußte es nicht. Ich wußte es wirklich nicht. Aber die spürbare Zurückhaltung, die Tatjana jedesmal an den Tag legte, wenn sie Effis auch nur von ferne ansichtig wurde, war nicht zu übersehen. Und es war auch nicht zu übersehen, daß sie das Mädchen, das kaum zwanzig Jahre alt sein konnte, niemals auf einen Fehler hinwies. Tatjana sah ihr Mädchen scheu von der Seite an, wurde einen matten Schein blasser und schwieg. Meist schwieg sie sowieso, da fiel es nicht weiter auf. Aber mir, mir fiel so manches auf…
»Bodo!« rief ich, nachdem ich die Serviette beiseite gelegt und meiner schlechten Gewohnheit einer Nachtischzigarette gefrönt hatte. »Komm mal her, Bodo!«
Er tappte heran, ein riesiges Tier mit dem Einschlag eines Polarhundes. Seine Pfoten wären groß genug gewesen, jeden starken Mann zu Boden zu schlagen. Und wenn er die Zähne fletschte, konnte einem unheimlich werden.
Aber Bodo fletschte die Zähne nicht mehr. Brav trottete er herbei, streifte mich mit einem freundlichen Blick aus seinen bernsteingelben Augen und ließ sich auf dem Auboussonteppich nieder.
Die Sonne schien warm und hell ins Zimmer, Bodos Schnauze lag auf dem Muster des kostbaren Teppichs, und die Lider senkten sich über seine Augen. Keine zwei Minuten, und Bobo war eingeschlafen. Ich starrte ihn sekundenlang an. Dann zündete ich mir, ohne es zu merken, eine weitere Zigarette an und dachte intensiv nach.
Das Tier hatte heute nacht geschlafen wie ein Stein. Nichts hatte vermocht, es aufzuwecken, nicht einmal das seltsame Geräusch einer in den Angeln pendelnden offenen Tür.
Bodo war knapp zwei Jahre alt, ein Knabe also in den besten Flegeljahren, dazu gesund, gepflegt, bestens ernährt. Warum um alles in der Welt schlief er jetzt schon wieder? Was war mit ihm los?
*
Ich weiß nicht mehr genau, wann ich den Entschluß faßte, der mich ein großes Stück weiter auf dem dunklen Weg in die nahe Zukunft brachte. Aber ich glaube, ich faßte ihn nach diesem Frühstück am Morgen des dritten Juli.
Es war ein unwahrscheinlicher Sommer, allzu prächtig fast, allzu sonnenüberglänzt, allzu grüngolden, allzu schön.
Schloß Ahrgau lag nicht abseits wie andere berühmte alte Schlösser, es lag mitten in einem kleinen Weinort, umgeben von einem riesigen alten Park, der es abschirmte vom Lärm der in der Ferne verlaufenden Autobahn, den lebhaften Weinbauern und allen Touristen, die es sich einfallen lassen
wollten, das Schloß zu besichtigen. Es war nicht zu besichtigen. Es war bewohnt.
Der Park war das einzige, was ich persönlich an Ahrgau schätzte. Und der Gärtner war der einzige, den ich für integer, ordentlich, aufrichtig, arbeitsam und zuverlässig hielt. Er kümmerte sich um diesen Park, Quadratmeter um Quadratmeter, mit der Liebe dessen, der die Erde und ihr Wachstum liebt.
Er war immer und zu allen Jahreszeiten da. Er drückte sich nicht, er versuchte keine Tricks, um seiner Pflicht zu entkommen wie so viele auf Ahrgau. Er arbeitete stetig und langsam und mit Genuß, mit dem Erfolg, daß der Park von Schloß Ahrgau immer wie eine gute Stube aussah: gepflegt, sauber und unendlich prächtig in seiner Blumenfülle und seinen Baumkronenschatten.
»Guten Morgen, Herr Matthes«, sagte ich, als ich an diesem Tag seiner ansichtig wurde, und er hörte auf, den Kies mit seiner breiten Harke zu bearbeiten.
»Oh, guten Morgen, Frau Wenck«, gab er freundlich zurück, und in seinen alten blauen Augen schien mir wie immer die Weisheit des Lebens zu liegen. »Was macht das Buch? Irgendwelche Fortschritte seit Freitag?«
Es war Montag, und wir hatten uns das Wochenende über nicht gesehen.
»Keine Fortschritte«, entgegnete ich lakonisch, und das war leider die volle Wahrheit. Ich konnte mich seit einiger Zeit nicht mehr so konzentrieren, wie es nötig gewesen wäre, und ich begann mich zu fragen, ob die Idee, mein erstes Werk hier in der sogenannten Abgeschiedenheit des Landes zu schreiben, so gut gewesen war.
In der lärmenden Atmosphäre der Großstadt, aus der ich kam, gab es zweifellos auch hinderliche Momente, aber sie schienen mir, gemessen an den Schwierigkeiten, die ich hier fand, minimal.
»Vielleicht«, meinte der Gärtner Matthes milde, »ist das nicht die richtige Umgebung