Toni der Hüttenwirt Classic 40 – Heimatroman. Friederike von BuchnerЧитать онлайн книгу.
Sie hatte die Wagenfenster heruntergekurbelt. Würzige Bergluft strömte herein. Es roch nach Tannen und
frischgemähtem Gras.
Zu der Liebe, die sie für Rainer verspürte, kam die Liebe zu seiner Heimat hinzu. Sie trank mit ihren Augen das Grün der Wiesen. Sie blickte hinauf zu den Bergspitzen von ›Engelssteig‹ und ›Höllentor‹. Rainer hatte ihr die alten Sagen und Legenden erzählt.
Das ›Höllentor‹ hieß so, weil nach einer alten Sage der Teufel selbst dort einen Zugang zu der Hölle hatte. Dann und wann öffnete er das Tor zu seinem Höllenschlund, dann drohten oft Katastrophen. Der Berg war gefährlich brüchig, es war verboten, ohne erfahrenen Bergführer dort aufzusteigen.
Gegenüber auf der anderen Seite des Tales lag der Gipfel des ›Engelssteigs‹ im rötlichen Abendlicht. Luise konnte das große Gipfelkreuz sehen, wie es in den Sonnenstrahlen leuchtete. Die junge Frau hielt einen Augenblick an. Sie schaute voller Inbrunst hinauf.
»Hallo, ihr Engel dort oben! Der Rainer Kallmeier, den kennt ihr ja bestimmt. Der ist hier aus Waldkogel. Er hat mir erzählt, daß ihr von oben – vom Gipfel des ›Engelssteigs‹ – direkt in den Himmel aufsteigt. Ihr nehmt die Gebete und Herzenswünsche der Menschen mit hinauf in den Himmel. Ihr Engel, hört mich! Ich will euch sagen, daß ich so glücklich bin. Ich liebe Rainer! Er liebt mich. Laßt es schnell gehen! Ich will bald seine Frau werden. Das ist mein innigster Wunsch«, flüsterte Luise leise.
Dann fuhr Luise durch den Ort. Sie betrachtete die schöne Barockkirche, das Rathaus und den Marktplatz. Dann fuhr sie zu dem Wirtshaus und der Pension ›Beim Baumberger‹. Es waren schon viele Leute in Waldkogel. Überall parkten Autos. Das Sommerfest in Waldkogel ging über mehrere Tage. Es begann freitags und endete am Montag um Mitternacht mit einem Feuerwerk über dem Tal.
Luise fand keinen Parkplatz. Sie studierte die Landkarte von Waldkogel genau, dann steuerte sie an vielen Autos vorbei, die halb auf dem Weg und halb auf den Wiesen parkten, den Milchpfad hinauf. Endlich fand sie einen Platz, auf dem sie halten konnte.
»Puh, das wäre geschafft!« seufzte Luise.
Sie schulterte ihren Rucksack und ging den Milchpfad zurück bis zu Tonis Eltern.
Die Wirtsstube war leer.
»Guten Abend!« grüßte Luise laut und vernehmlich.
Meta Baumberger kam aus der Küche.
»Grüß Gott!«
»Frau Baumberger?« Luises Stimme klang fragend.
»Ja, die bin ich! Meta Baumberger! Kennen wir uns?«
»Guten… besser.. Grüß Gott, Frau Baumberger! Grüß Gott, das sagt man hier doch! Nein, wir kennen uns nicht. Für mich ist hier ein Zimmer bestellt worden! Mein Name ist Luise Winkler!«
»Des war bestellt worden! Aber der Kallmeier, der hat des wieder abbestellt!«
Luise sah Tonis Mutter erstaunt an und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr.
»Ich habe vor knapp drei Stunden noch mit Rainer telefoniert. Wir wollten uns eigentlich treffen. Aber es ist etwas mit dem Vieh. Ich sollte hier auf ihn warten. Er sagte mir noch einmal, daß er hier für mich ein Zimmer…«
Meta Baumberger schüttelte den Kopf. Luise brach den Satz ab.
»Jetzt setz dich erst mal hin, Madl. Willst was essen?«
Meta Baumberger wartete nicht, bis Luise antwortete. Sie nahm der jungen Frau den Rucksack aus der Hand und führte sie an einen Tisch.
»So, jetzt bleibst erst mal hier sitzen! Des wird sich alles klären!«
»Das muß ein Mißverständnis sein, Frau Baumberger! Rainer muß ein Zimmer für mich… Ich werde Rainer gleich anrufen.«
Luise zückte ihr Handy.
»Madl«, Metas Stimme hatte einen mütterlichen Tonfall, »des ist keine gute Idee! Ich erkläre dir des gleich! Jetzt bleibst erst mal hier schön sitzen.«
Meta nahm Luise einfach das Handy aus der Hand.
Die Baumbergerin eilte in die Küche.
Luise saß starr auf dem Stuhl. Sie hätte auch nicht weglaufen können. Ihre Beine waren schwer wie Blei. In ihrem Kopf wirbelte alles durcheinander.
Was hatte das zu bedeuten?
Hat mich Rainer angelogen? Das kann doch nicht sein.
Warum soll ich Rainer nicht anrufen?
Was weiß diese Frau Baumberger?
Luise schwindelte. Sie rieb sich die Stirn und schloß für einen Augenblick die Augen.
»Hier, Madl! Den kannst jetzt brauchen, so käsig, wie du ausschauen tust!«
Xaver Baumberger hielt ihr einen Obstler hin.
»Net dran nippen! Gleich runter damit – schlucken!«
Luise hatte plötzlich das Gefühl, als habe ihr jemand den Boden unter den Füßen fortgezogen. Sie schaute in das freundliche Gesicht von Tonis Vater.
»Nun hab Mut! Es mag ein bisserl brennen im Hals! Aber wirst sehen, der tut schön wärmen von innen heraus. Ich lade dich ein! Der Obstler geht aufs Haus!«
Er lächelte sie an.
Luise trank. Der Schnaps war wirklich ein Hochprozentiger. Langsam kehrte wieder Farbe in das Gesicht der jungen Frau zurück.
»Geht’s besser, Madl?« fragte Xaver Baumberger.
Luise nickte nur. Sie brachte kein Wort hervor. Das lag aber nicht daran, daß der Obstler zu stark gewesen war, sondern daran, daß sie einfach sprachlos war.
Meta Baumberger kam an den Tisch.
»Ich seh’, daß du schon wieder ein bisserl Farbe in den Wangen hast. Komm mit mir in die Küche. Da können wir ungestört reden. Des ist hier in der Wirtsstube net möglich. Es können ja jede Minute Gäste kommen. Des is’ zwar unwahrscheinlich, denn die Leut’ sind alle schon auf der Festwiese. Aber sicher ist sicher. Was ich dir zu sagen hab’, des braucht niemand zu hören. Nun komm, Madl!«
Meta ging voraus. Sie drehte sich einmal kurz um.
»Luise wirst gerufen?«
»Ja!«
»Ich bin die Meta! Und des ist mein Mann, der Xaver!«
Luise folgte Meta in die Küche. Dort hatte Meta den Tisch für sie
gedeckt. Sie stellte ihr eine Pfanne mit Bratkartoffeln und kleinen Bratwürstchen hin.
»Magst ein Bier?« fragte Xaver, der im Türrahmen stand.
»Danke, nein! Ich brauche einen klaren Kopf! Vielleicht will ich heute abend noch zurück nach Kirchwalden fahren. Schaut so aus, als wäre ich hier unerwünscht. Nicht hier – sondern von Rainer unerwünscht.«
Das konnte Luise in ihrem Herzen nicht glauben, aber Angst hatte sie trotzdem.
»Naa, Madl! Des wirst schön bleiben lassen,« bemerkte Meta. »Du wirst hierbleiben. Jetzt tust schön was essen. Gutes Essen hält Leib und Seele zusammen! Kennst des Sprichwort?«
»Das kenne ich! Meine Großmutter machte mir immer einen Becher ganz süßen Kakao und gab mir viele Kekse, wenn ich mit einem Kummer zu ihr gekommen war.«
»Eine gescheite Frau, deine Groß-mutter! Wenn du kein Bier willst, willst was anderes?«
Luise lächelte. Sie aß eine Gabelvoll Kartoffeln.
»Schmeckt gut! Großmutter hat die Bratkartoffeln auch immer mit Speck gemacht und am Schluß viel frische Kräuter druntergemischt. Bei ihr trank ich immer einen süßen Malzkaffee dazu.«
»Xaver, hast des gehört! Mach’ dem Madl einen schönen Malzkaffee. Ich muß mit der Luise jetzt reden!«
Xaver