Familie Dr. Norden 729 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
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»Klären Sie sofort, wie das passieren konnte, Steinberg! Und beschaffen Sie mir die Unterlagen von Hübner, ich muß mich auf die Besprechung vorbereiten.« Genervt ließ Leana Wollrab den Hörer auf die Gabel fallen, rückte ihre rahmenlose Brille zurecht und stöberte in dem Papierwust, der sich vor ihr auf dem Schreibtisch türmte.
Schon wieder klingelte ihr Telefon, gleichzeitig erschien auf dem Bildschirm ihres Computers eine neue Textmeldung. Während sie telefonierte, las Leana die eingegangene Nachricht und beantwortete sie sofort. Im Laufe der Jahre hatte sie gelernt, mehrere Dinge gleichzeitig zu erledigen, was einen Teil ihres geschäftlichen Erfolges ausmachte. Doch manchmal schienen selbst ihr, der streßerprobten Karrierefrau, die Dinge über den Kopf zu wachsen. So hängte sie das Telefon einfach aus, um in Ruhe ein paar E-Mails zu beantworten. Sichtlich ungehalten hob sie den Kopf, als sich die Tür zu ihrem geschmackvoll eingerichteten Büro öffnete und ihre Sekretärin Mizzi Wolke den blonden Schopf durch den Spalt steckte.
»Entschuldigen Sie die Störung, Lea, aber bei Ihnen ist ständig besetzt.« Lächelnd wies sie mit dem Kopf in Richtung Telefon. Sie hatte also richtig geraten.
»Erwischt!« gestand Leana, die den Blick bemerkte. »Ich weiß auch nicht, was heute morgen los ist. Alle Welt scheint ausgerechnet mit mir sprechen zu wollen. Dabei muß ich mich eigentlich mit dem anstehenden Meeting beschäftigen.«
»Keine Panik, ich verrate Sie schon nicht«, gab Mizzi lachend zurück. Die beiden Frauen arbeiteten schon seit geraumer Zeit zusammen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten hatten sie sich schließlich zusammengerauft und waren seitdem ein eingeschworenes Team. »Allerdings habe ich auch einen Anrufer zu vermelden. Ein gewisser Christian Thaller hat bereits mehrere Male bei der Zentrale angerufen und ist schließlich bei mir gelandet. Scheint ein sehr hartnäckiger Mann zu sein, er läßt sich einfach nicht abwimmeln.« Mizzi richtete ihren Blick auf Leana, die eingefleischte Junggesellin. War da etwa eine Männergeschichte im Busch?
»Privat oder geschäftlich?«
»Er sagte privat. Aber in den heutigen Zeiten kann man ja nie wissen, welche Tricks die Vertreter anwenden.«
»Christian Thaller, Christian Thaller«, murmelte Lea nachdenklich, während sie einen Satz in den Computer tippte und nebenbei die Nachrichten ihres Handys abhörte. »Irgendwie kommt mir der Name bekannt vor, aber ich kann ihn gerade nicht einordnen. Wissen Sie was, Mizzi, stellen Sie ihn einfach durch, wenn er wieder anruft.«
»Dazu sollten Sie aber Ihr Telefon wieder einhängen«, schlug die Sekretärin augenzwinkernd vor, ehe sie das Büro ihrer Chefin verließ.
Leana sah ihr belustigt nach und legte den Hörer wieder auf. Kurz darauf klingelte der Apparat erneut. Sie legte den Kopf schief und stellte überrascht fest, daß ihr Herz einen unvermuteten Satz machte, obschon sie immer noch nicht wußte, um wen es sich bei dem mysteriösen Anrufer handelte. Kopfschüttelnd meldete sie sich mit ihrer Schönwetterstimme, wie Mizzi Wolke den weichen Tonfall nannte, der in krassem Gegensatz zu ihrer knallharten Geschäftsstimme stand.
»Ach, Mutti, du bist es«, seufzte sie und sank in ihrem Stuhl zusammen.
»Wen hast du denn erwartet, Lea-Schätzchen?« Waltraud Wollrab horchte erstaunt auf.
Einen Augenblick lang war Leana versucht, alles zu leugnen, doch dann entschied sie sich plötzlich anders.
»Kannst du dich an einen gewissen Christian Thaller erinnern, Muttchen?«
»Aber natürlich kann ich das! Der Chrissi war immer so ein lieber Bub. Er ist mit seinen Eltern vor Jahren ins Dorf gezogen. Die Saskia, der Chrissi und du, ihr wart doch immer unzertrennlich. Bis er wieder zurück nach Konstanz mußte. Das ist typisch für euch modernen jungen Frauen, daß ihr eure Vergangenheit am liebsten ausradieren würdet.«
»So ein Unsinn, Mutti«, fiel Lea ihr ungehalten ins Wort. »Natürlich erinnere ich mich an Chrissi. Ich hatte nur im Augenblick soviel anderes im Kopf. Wie könnte ich je die tollkühnen Streiche vergessen, die wir drei ausgeheckt haben!« Sie stützte das Kinn in die Hand und schloß die Augen. Der Duft frisch gemähter Felder zog durch ihre Erinnerung, fröhliches Kinderlachen hallte in ihren Ohren wider. Sie sah sich mit zwei anderen Kindern über einen Bach springen und auf Bäume klettern.
»Bist du noch da, Lea? Warum antwortest du mir nicht?«
»Ich habe nur gerade an früher gedacht. Damals war das Leben noch leicht und unbeschwert.« Sie seufzte tief.
»Das könnte es heute auch noch sein, wenn du nur wolltest. Aber du hast dich ja für die Karriere entschieden, statt dir einen lieben Mann zu suchen, zu heiraten und Kinder zu bekommen.« Waltraud machte keinen Hehl aus ihrem Mißmut.
»Diese Diskussion hatten wir schon so oft, Mutti. Du kennst meine Meinung und dabei bleibt es, basta! Warum hast du eigentlich angerufen? Ich habe wenig Zeit.«
»Wenig Zeit, wenig Zeit!« blaffte Traudi zornig zurück. »Warum habe ich denn eigentlich eine Tochter, wenn die sich nicht um mich kümmert?«
»Das ist nicht wahr, und du weißt es so gut wie ich. Fast jeden Abend schaue ich auf eine Stunde bei dir vorbei. Werde jetzt bitte nicht ungerecht.«
»Ich kann mich gar nicht daran erinnern, wann du mich zuletzt besucht hast.«
Leana verdrehte die Augen zum Himmel und ermahnte sich, geduldig zu bleiben. Doch die Termine brannten ihr unter den Nägeln, der Computer meldete schon wieder zwei neue Nachrichten, und auch das Handy piepste störrisch.
»Laß uns ein andermal darüber reden, Mutti. Ich habe jetzt wirklich keine Zeit mehr. Bis später. Küßchen.« Sie hauchte einen Kuß in den Hörer und legte auf, ohne auf eine Antwort zu warten. Wenn Waltraud in dieser Stimmung war, konnte ein Telefonat Stunden dauern, ohne ein Ergebnis zu bringen. Nur kurz wunderte sich Leana über den Umstand, daß sich ihre Mutter nicht an ihren letzten Besuch erinnern konnte, der erst zwei Tage zurücklag. Gewöhnlich hatte sie noch kein schlechtes Gedächtnis. Das ständige Alleinsein bekommt ihr nicht, dachte Leana, während sie ihre Unterlagen zusammenraffte und in eine Tasche stopfte. Dann verschob sie diese Überlegungen auf einen späteren Zeitpunkt. Das Meeting wartete, und der Chef duldete weder Verspätung noch Unkonzentriertheit.
*
Um die Mittagszeit ging es im Café ›Schöne Aussichten‹ immer hoch her. Es war bekannt wegen seiner schmackhaften, leichten Küche und bot für jeden Geldbeutel und Hunger das Passende. So war es kein Zufall, daß die Belegschaft der umliegenden Büros einen Besuch in dem ›Schöne Aussichten‹ einem lieblos zubereiteten Kantinenessen vorzogen. Dazu gesellten sich ein paar versprengte Touristen, unternehmungslustige Rentner mit kleinem Geldbeutel und hin und wieder auch Teenager auf der Suche nach einer warmen Mahlzeit vor dem Nachmittagsunterricht. Es war ein bunt gemischtes Publikum. Gerade das war es, was Saskia an ihrem Café, das sie zusammen mit ihrer ehemaligen Studienkollegin Nana betrieb, besonders liebte.
»Hey, Sasa, gibt es noch Erdbeeren mit Schlagsahne?« tönte ein lauter Ruf durch das angenehme Stimmengewirr, und Saskia drehte sich lachend um.
»Klar, Fred, für dich habe ich doch immer ein Schälchen im Kühlschrank«, entgegnete sie freundlich.
»Kann ich bitte noch ein alkoholfreies Bier haben?« Ein anderer Gast hob sein leeres Bierglas.
»Und ich möchte bezahlen. Die Arbeit ruft wieder.«
»Ich komme sofort.« Saskia drehte sich um die eigene Achse und versuchte, die Wünsche ihrer Gäste schnell und zu aller Zufriedenheit zu erfüllen. Da sie ihre Arbeit mit einer unverkennbaren Freude machte, kamen die Leute immer wieder gern hierher in das Café, das seinem Namen gleich auf zweierlei Art gerecht wurde. Im ersten Stock eines modernen Glasbaus untergebracht, bot es einen wunderbaren Ausblick auf die Münchner Innenstadt. Aber auch Saskia war eine wahre Augenweide mit den naturgelockten mittelblonden Haaren und den fröhlich blitzenden Augen. Sie kleidete sich gern ausgefallen und schreckte vor keinem noch so schrillen Modetrend zurück. Ihre Freundin Nana, die das genaue Gegenteil von Saskia war, wunderte sich beständig über diese Frohnatur. Das glatte Haar zu einem unscheinbaren Zöpfchen geflochten, stand sie lieber in der Küche und kreierte unermüdlich neue Gerichte, während Saskia ihre Erfüllung zusammen mit