Dr. Laurin Classic 43 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
»Wir haben morgen schulfrei, wir haben morgen schulfrei!« jubelten Konstantin und Kaja, als sie mittags heimkamen.
»Warum?« fragte Antonia Laurin.
»Weil zwei Lehrer krank sind und Herr Roth woandershin muß«, erwiderte Kaja.
»Hoffentlich wird er nicht versetzt«, sagte Konstantin.
»Das wäre wirklich bedauerlich«, sagte Antonia, »aber wenn ihr morgen schulfrei habt, könnten wir endlich mal in die Stadt fahren und Einkäufe machen.«
»Ohne mich«, sagte Konstantin prompt.
»Ich mag auch nicht, das ist langweilig«, schloß Kevin sich an.
»Ich brauche auch keine neuen Sachen«, erklärte Konstantin. »Da muß man sich bloß vorsehen.«
»Ich fahre gern einkaufen«, erklärte Kaja.
»Und Kyra braucht dringend neue Sachen. Sie ist aus allem herausgewachsen«, sagte Antonia.
»Warum hast du Kajas Sachen nicht aufgehoben, dann müßtest du keine kaufen«, meinte der sparsame Konstantin.
Aber die abgelegte Kleidung von den Zwillingen und von Kevin war längst an arme Kinder weitergegeben worden.
»Dann werde ich mal Sandra anrufen«, sagte sie.
Ihre Schwägerin stimmte dem Einkaufsbummel begeistert zu. Sie wollten am nächsten Morgen gleich gegen neun Uhr starten.
»Morgen ist der Dreizehnte«, warnte Karin, der gute Geist im Hause Laurin.
»Nicht gleich unken. Jeder Monat hat einen Dreizehnten«, sagte Antonia. »Ich bin nicht abergläubisch.«
»Aber ich«, sagte Karin, »und wundern würde es mich, wenn es ohne Aufregungen abgehen würde.«
»Wir gehen zu Omi und Opi«, sagte Konstantin. »Mit uns hast du keine Aufregungen, Karin.«
Aber Teresa wird natürlich auch daran denken, daß der Dreizehnte ist, dachte Antonia.
Teresa Kayser, die zweite Frau von Antonias Vater, von allen heiß geliebt, war genauso abergläubisch wie Karin.
Als Antonia mit ihr telefonierte, fragte sie gleich, ob es denn ausgerechnet morgen sein müsse, daß sie in die Stadt führen, aber selbstverständlich wollten sie und ihr Mann Konstantin und Kevin betreuen.
*
Dr. Laurin hatte zur selben Zeit wieder einmal eine problematische Patientin. Traude Rieding war während der ganzen Schwangerschaft nur dreimal bei ihm gewesen. Einmal im ersten Monat, dann im vierten und das letzte Mal vor vier Wochen.
Er hatte mit ihr nicht viel anzufangen gewußt, was bei Dr. Laurin höchst selten der Fall war. Sie hatte nicht über ihren Mann gesprochen, nicht über ihre häuslichen Verhältnisse. Im Allgemeinen gelang es ihm immer, das Vertrauen seiner Patientinnen zu gewinnen. Sie wohnte in einem kleinen Dorf in der Nähe, aber ihr Dialekt verriet, daß sie nicht von hier stammte.
Auch jetzt, während sie schon heftige Wehen hatte, sprach sie nicht. Ab und zu stöhnte sie, das war alles.
Auch heute war sie allein gekommen. Sie war klein und hatte ein mageres Gesicht, tief umschattete Augen, die schön geschnitten waren, aber einen stumpfen Ausdruck hatten.
»Sie müssen ein bißchen mithelfen, Frau Rieding«, sagte Dr. Laurin freundlich.
»Ich will nicht«, stieß sie hervor. »Mir ist alles egal.«
Zum ersten Mal verriet sie eine Gemütsbewegung.
»Sie werden ein Kindchen bekommen«, sagte er. »Freuen Sie sich nicht?«
»Nein.«
Sie hatte nie eine Äußerung getan darüber, keine Freude, aber auch keinen Unwillen ausgedrückt. Vielleicht hatte sie Angst, aber wenn es so war, konnte sie es gut verbergen.
»Wir haben noch ein wenig Zeit«, sagte er. »Wollen wir uns nicht ein bißchen unterhalten?«
»Über das Kind?« fragte sie rauh. »Warten wir es lieber erst ab, wie es aussieht.« Sie stöhnte wieder und preßte die Hände auf ihren Leib. »Wenn es ein Krüppel ist, will ich es gar nicht sehen«, sagte sie. »Schicken Sie es meiner Schwiegermutter mit den besten Empfehlungen.«
Guter Gott, dachte er, was geht in ihr vor? Warum hat sie denn nur nichts gesagt von ihrer Angst? Und wovor hat sie Angst?
Die Wehen kamen immer heftiger, immer schneller. Sie warf sich hin und her und bäumte sich auf.
Dann war ein paar Sekunden Ruhe. »Sagen hätten sie es mir müssen!« stieß sie hervor, und ihre Stirn war dabei schweißbedeckt. »Aber nicht mal mein Mann…«
Der Rest des Satzes ging in Stöhnen unter.
Schwester Marie war leise eingetreten.
»OP?« fragte sie leise, aber das hatte Traude Rieding gehört.
»Keine OP!« schrie sie heraus. »Ich bringe es so zur Welt. Ich bin nicht feige.«
Dr. Laurin gab Schwester Marie einen Wink. »Pressen!« sagte er zu Frau Rieding. Schwester Marie drückte ihr die Maske auf das Gesicht und träufelte ein leichtes Narkosemittel darauf.
»Zählen Sie«, sagte sie mit ihrer sanften Stimme. »Eins, zwei, drei…« Und mechanisch zählte Frau Rieding mit. Bis sieben kam sie, und gleich darauf hielt Dr. Laurin einen wohlgeformten kleinen Kinderkörper in den Händen.
Schwester Marena ließ aus dem Hintergrund des Raumes einen erleichterten Seufzer hören. Man hatte ihre Anwesenheit bisher gar nicht gespürt.
»Ich möchte nur wissen, was sie quält«, sagte Dr. Laurin nachdenklich.
»Na, ob wir das erfahren werden?« fragte Schwester Marie. »Ein niedliches Bürschchen, gesund und kräftig.«
Sein Schreien bewies es. Eigentlich hätte Frau Rieding längst einen Laut von sich geben müssen, aber ihre Lippen blieben zu einem dünnen Strich zusammengepreßt.
Dr. Laurin hatte das Kind abgenabelt. Schwester Marena hatte es genommen und wusch es. Die übliche Prozedur wurde vollzogen. Das Baby wurde gemessen und gewogen, und gewissenhaft wurden alle Daten eingetragen.
Dr. Laurin fühlte Traude Riedings Puls. Er wußte, daß sie längst wieder bei Bewußtsein war.
»Sie haben einen Sohn, einen gesunden Sohn, Frau Rieding«, sagte er eindringlich.
Langsam hoben sich ihre Lider. »Einen gesunden Sohn?« fragte sie ungläubig.
»Warum haben Sie daran gezweifelt?« fragte er.
Ihre Lider senkten sich wieder, ihre Lippen preßten sich aufeinander. Keine Erwiderung kam.
»Ich werde Ihren Mann anrufen«, sagte er.
»Er ist nicht da«, murmelte sie. »Ich will allein sein.«
»Wollen Sie Ihren Sohn nicht sehen?« fragte er.
Nun schlug sie doch noch einmal die Augen auf. »Armes Kind«, flüsterte sie, »du armes Kind«, als Schwester Marena es ihr hinhielt, dann blieb sie stumm.
Dr. Laurin ging zu Hanna Bluhme ins Büro. »Hat sich eigentlich jemand nach Frau Rieding erkundigt?« fragte er.
»Nein, ich verstehe das auch nicht. Es ist doch eine ziemlich große Familie.«
»Sie kennen die Leute?« fragte Dr. Laurin.
»Kennen ist zuviel gesagt. Wir holen im Dorf öfter Eier und Geflügel vom Bauern. Das sind Nachbarn von den Riedings.«
»Davon haben Sie mir noch nie etwas erzählt«, sagte er.
»Aber Chef, ich tratsche doch nicht«, erwiderte Hanna.
»In diesem Fall wäre es aber ganz gut gewesen. Erzählen Sie jetzt mal ein bißchen.« Er setzte sich zu ihr auf den Schreibtisch. Ganz lässig saß er da, und wieder einmal freute sich Hanna, weil er so gar nicht den Chef herauskehrte.
»Ich