Leni Behrendt Classic 54 – Liebesroman. Leni BehrendtЧитать онлайн книгу.
öffnete und eine weibliche Gestalt die Halle des Gutshauses betrat.
»Bei allen Gästen hat sie es nicht so eilig«, erklärte er dem jungen Mädchen. »Nur der Name Iris wirkt jedesmal auf sie wie eine geheime Zauberformel.«
»Erleichtere nur dein Herz!« entgegnete das Fräulein trocken und faßte mit ihren großen, derben Händen behutsam nach den feinen des jungen Gastes.
»Schön willkommen, Kindchen!« sagte sie dabei voll Herzlichkeit. »Hast du schon zu Abend gegessen?«
»Danke, ja, Tante Lowischen. Es ist ja auch schon recht spät für einen Besuch. Weil ich tagsüber jedoch keine Zeit habe –«
»Ach was, du willst dich doch nicht etwa entschuldigen –«, winkte Fräulein Luise ab. »Zu uns kommst du nie zu spät, welche Zeit du auch zu deinen viel zu seltenen Besuchen auswählen mögest. Komm nur in mein Wohnzimmer, da ist es mollig warm.«
Iris mußte in ihrem großen Lehnsessel Platz nehmen und sah nun lächelnd auf die Näschereien, die das alte Fräulein vor ihr aufbaute.
»Greif nur zu, Herzchen!« ermunterte sie dabei. »Wenn man so jung ist wie du, kann man eine Unmenge von dem Zeug verdrücken; das weiß ich aus meiner Jugendzeit.«
»Na, Lowischen –«, zweifelte der Bruder. »Das ist doch schon so lange her, daß du dich unmöglich darauf besinnen kannst. Wie alt bist du eigentlich, Schwesterherz?«
»Genauso alt wie du«, kam die Antwort kurz und trocken.
»Nicht zwanzig Minuten älter?« neckte der Zwillingsbruder. »Du hebst doch sonst bei jeder unpassenden Gelegenheit hervor, daß du die Ältere von uns beiden bist.«
Iris sah lächelnd auf die Geschwister, die sich so sehr ähnlich sahen. Gemeinsam waren ihnen die hünenhafte Gestalt, das flachsblonde Haar und die derben blauroten Gesichter. Auch im Charakter waren sie einander sehr ähnlich, und sie vertrugen sich deshalb so glänzend, weil sie größtenteils einer Meinung waren und der eine Zwilling nie ohne des andern Wissen und Einverständnis etwas tat.
Julius Korsel hatte seine Frau, die eine Verwandte Herrn Gralls gewesen war, nach kurzer, sehr glücklicher Ehe verloren. Er hatte den Mut gehabt, sich seine Liebste aus dem Rotbuchener Herrenhause, wo sie eine Aschenputtelrolle spielte, zu holen. Selbstverständlich hatte Herr Grall es nicht gern gesehen, daß seine junge Verwandte diesen Mann, der seiner Meinung nach tief unter ihr stand, heiratete.
Das hatte er wohl auch Herrn Korsel zu verstehen gegeben und eine Antwort darauf erhalten, die zum Bruch zwischen Rotbuchen und Traun führte. Aber das hinderte Grall nicht, Korsel um Geld zu bitten, als der Zusammenbruch Rotbuchens näher kam. Er hatte aber kein Glück; Korsel wies ihn hohnlachend ab, und so kam eben alles, wie es kommen mußte. Der Kinder nahm Korsel sich jedoch sofort an, als sie nach dem Zusammenbruch schutzlos dastanden. Er bildete sich ein, daß sie seinen Vorschlag, zu ihm nach Traun zu kommen, hochbeglückt annehmen würden.
Allein darin hatte er sich geirrt. Er stieß hauptsächlich bei Iris auf eine unbändigen Stolz. Alles, was er erreichte, war, daß ihm vom Gericht die Vormundschaft über die Geschwister zugesprochen wurde – sehr zum Verdruß Iris’. Sie verhehlte ihm auch ihre Abneigung keineswegs. Erst allmählich lernte sie den biederen Mann schätzen.
Herr Korsel hatte nicht wieder geheiratet, und seine Schwester war überhaupt unverehelicht geblieben.
»Die Männer haben Angst vor ihr«, pflegte der Bruder immer zu behaupten. »Sie hat nämlich Kräfte wie zwei Mannsleut’ zusammen und würde ihren Eheliebsten ohne Erbarmen verkloppen, wenn er ihr dummdreist käme.«
Fräulein Luise wiederum behauptete, daß sie es nirgends so gut haben könnte wie bei ihrem Bruder, daß sie sich nirgends so wohl fühlen könnte wie in ihrem Vaterhaus. Daher wäre es ihr auch nicht schwergefallen, auf ein Eheglück zu verzichten. Außerdem könnte sie den Bruder nicht allein lassen, er wäre so unselbständig wie ein kleines Kind. Und da er keine Frau hätte, die ihn bemuttern könnte, wäre sie dann verurteilt, zeitlebens bei ihm auszuhalten.
Daß der Besuch des Mädchens, das nur dann nach Traun zu kommen pflegte, wenn es ein Anliegen an den Vormund seines Bruders hatte, auch heute wieder einen schwerwiegenden Grund haben mußte, war wohl mit Bestimmtheit anzunehmen. Die Geschwister stellten jedoch keine Fragen, sondern warteten taktvoll, bis der junge Gast sein Anliegen vorbringen würde.
»Hoffentlich ist Uhde sein jetziger Reichtum nicht in den Kopf gestiegen und er ist der prachtvolle Kerl geblieben, der er als Inspektor von Rotbuchen war«, meinte Korsel. »Aufgeblasene Herren können wir hier in unserer Ecke nicht gebrauchen. Man erzählt sich von seinem Reichtum ja wahre Wunderdinge. Ist es wirklich so schlimm damit?«
»Das kann ich nicht beurteilen, Onkel Korsel«, kam die Antwort sehr zurückhaltend. »Er hat sein Haus kostbar und gediegen einrichten lassen – mehr weiß ich nicht.«
»Soso – na ja –! Schade, daß Härtner verkaufen mußte. Er war zwar nicht ein Musterlandwirt, aber ein famoser und verträglicher Nachbar. Und was macht die Frau Mutter und unser feinstreifiger Heino?«
»Die Mama fühlt sich seit Tagen wieder nicht recht wohl – und der Heino –«
Iris legte den kleinen Kuchen, von dem sie gerade essen wollte, hastig wieder auf den Teller zurück und straffte ihre Gestalt, als wolle sie sich in einen Kampf begeben, vorher aber noch ihre Kräfte sammeln.
»Heinos wegen bin ich hier«, bekannte sie leise und wagte es nicht, die Geschwister Korsel dabei anzusehen. »Er ist von seiner Lehrstelle fort – Herr Mollgeit hat ihn – beleidigt.«
Korsel streifte mit einer Umständlichkeit die Asche von seiner Zigarre, als hinge wer weiß was davon ab.
»Sieh einer einmal das feine Herrchen an«, meinte er dann in seiner ironischen Art, die nicht nur Iris, sondern auch Heino an ihm fürchtete. »Da ist das Jungchen sicherlich wieder einmal empfindlich gewesen wie eine alte Jungfer.«
»Nein, diesmal ist meinem Bruder wirklich Unrecht geschehen«, widersprach Iris fest und bestimmt. »Man hat ihn eines ganz gemeinen Diebstahls beschuldigt, ohne vorher den Fall auch zu untersuchen.«
»Nun, so schlimm wird es nicht gewesen sein, um darüber große Worte zu machen«, unterbrach Korsel sie mit dem gefürchteten Lächeln, das nur zu gut zeigte, wie wenig ernst er es nahm, was Heino und auch seine Schwester so tief beleidigte und empörte. »Herr Mollgeit ist ein vernünftiger Mensch, der gewiß keinem seiner Angestellten unrecht tut. Er wird erregt gewesen sein. Und in der Erregung ist bekanntlich bald etwas hingesagt, was gewiß nicht so böse gemeint war. Du müßtest einmal sehen, wie ich meine Bengels, meine Eleven, manchmal herunterputze! Wenn die gleich alles so tragisch nehmen wollten, dann könnte ich mich jeden Monat nach anderen Lehrlingen umsehen.«
»Ich glaube aber nicht, daß du einen deiner Eleven des Diebstahls beschuldigst, bevor dieser noch nicht klar erwiesen ist«, entgegnete Iris zwar immer noch ruhig, doch schon mit einem drohenden Unterton. »Oder traust du etwa Heino eine ehrenrührige Handlung zu?«
»Nein, ganz bestimmt nicht!« beschwichtigte er nun rasch. »Da hat der gute Mollgeit eben einmal vorbeigehauen. Aber zuerst erzähle einmal ausführlicher, Kindchen, wie sich das alles eigentlich zugetragen hat.«
Iris kam seinem Wunsche nach und schilderte das Geschehnis mit kurzen, knappen Worten. Verschwieg auch nicht, daß sie mit Mollgeit bereits gesprochen hätte. Auch daß sie es Heino nicht verdenken könne, wenn er nicht mehr in Mollgeits Betrieb zurückkehren wolle, zumal er darauf bestehe, daß der Junge sich bei ihm für etwas entschuldigen müsse, was er gar nicht verbrochen hätte.
»Hat das Geld sich denn schon gefunden?« fragte Korsel nun sachlich.
»Frau Mollgeit hatte das Geld der Kasse entnommen, ohne Bescheid zu sagen.«
»Das ist selbstverständlich eine Liederlichkeit, die nicht geduldet werden kann«, bestätigte er nun. »Darüber werde ich dem guten Mollgeit gehörig meine Meinung sagen. Im übrigen ist die ganze Sache nicht halb so wichtig, Marjellchen. Heino wird auf seine Lehrstelle zurückkehren,