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Onkel Wanja. Szenen aus dem Landleben in vier Akten. Anton TschechowЧитать онлайн книгу.

Onkel Wanja. Szenen aus dem Landleben in vier Akten - Anton Tschechow


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Ach!

      SONJA. Was haben Sie, Großmutter?

      MARIJA WASSILJEWNA. Ich habe vergessen, Alexander zu sagen … mir ist das ganz entfallen … heute habe ich einen Brief aus Chárkow von Páwel Alexéjewitsch bekommen … Er hat mir seine neue Broschüre geschickt …

      ASTROW. Ist sie interessant?

      MARIJA WASSILJEWNA. Interessant schon, aber irgendwie, merkwürdig. Er bestreitet nun, was er selbst vor sieben Jahren vertreten hat. Schrecklich!

      WOJNIZKIJ. Nichts ist schrecklich. Trinken Sie Ihren Tee, Maman.

      MARIJA WASSILJEWNA. Aber ich will reden!

      [16]WOJNIZKIJ. Wir reden doch schon fünfzig Jahre lang und reden und lesen Broschüren. Es wird endlich Zeit, damit aufzuhören.

      MARIJA WASSILJEWNA. Dir ist es irgendwie unangenehm zuzuhören, wenn ich spreche. Verzeih, Jean, in letzter Zeit hast du dich so verändert, daß ich dich gar nicht wiedererkenne … Du warst doch ein Mensch mit festen Überzeugungen, eine helle, lichte Persönlichkeit …

      WOJNIZKIJ. Oh ja! Ich war eine lichte Persönlichkeit, von der niemandem hell geworden ist …

       (Pause.)

       Eine lichte Persönlichkeit … Man kann mich nicht böser verspotten! Ich bin jetzt siebenundvierzig. Bis zum vorigen Jahr habe ich mich angestrengt, meine Augen mit eurer Scholastik zu vernebeln, um das wirkliche Leben nicht zu sehen, und ich dachte, so wäre es gut. Aber jetzt! Wenn ihr wüßtet! Nachts kann ich nicht schlafen vor Kummer, vor Ärger, daß ich meine Zeit so dumm vergeudet habe, wo ich doch alles hätte haben können, was mir nun mein Alter versagt!

      SONJA. Onkel Wanja, wie langweilig!

      MARIJA WASSILJEWNA (zu ihrem Sohn). Als ob deine früheren Überzeugungen daran schuld wären … Aber schuld sind nicht sie, sondern du selbst. Du hast immer vergessen, daß die Überzeugungen an sich nichts sind, ein toter Buchstabe … Du hättest eine Tat tun müssen, ein Werk schaffen.

      WOJNIZKIJ. Ein Werk? Nicht jeder kann ein schreibendes Perpetuum mobile sein, wie euer Herr Professor.

      MARIJA WASSILJEWNA. Was willst du damit sagen?

      [17]SONJA (flehentlich). Großmutter! Onkel Wanja! Ich bitte euch sehr!

      WOJNIZKIJ. Ich bin schon still. Ich schweige und bitte um Entschuldigung.

       (Pause.)

      JELENA ANDREJEWNA. Und was für ein schönes Wetter heute … nicht heiß …

       (Pause.)

      WOJNIZKIJ. Bei solchem Wetter ist es schön, sich aufzuhängen …

       (Telegin stimmt seine Gitarre. Marina geht ums Haus und lockt die Hühner.)

      MARINA. Putt, putt, putt …

      SONJA. Njanetschka, warum sind die Bauern gekommen? …

      MARINA. Immer das gleiche, wieder wegen dem Brachland. Putt, putt, putt …

      SONJA. Was rufst du so?

      MARINA. Das Bunte ist mit den Küken weg … Wenn nur die Krähen sie nicht holen … (Sie geht ab.)

       (Telegin spielt eine Polka; alle hören schweigend zu; ein Knecht kommt.)

      DER KNECHT. Ist der Herr Doktor hier? (Zu Astrow.) Bitte, Michail Lwowitsch, da sind Leute, die wollen Sie holen.

      ASTROW. Woher?

      DER KNECHT. Aus der Fabrik.

      ASTROW (ärgerlich). Danke bestens. Was hilft's, ich muß hinfahren … (Er sucht seine Mütze.) Ärgerlich, zum Teufel auch …

      SONJA. Wie lästig, wahrhaftig … Kommen Sie aber von der Fabrik zum Essen.

      [18]ASTROW. Nein, das wird spät werden. Wo ist sie nun … Wo habe ich sie hingelegt … (Zu dem Knecht.) Nun hol mir erst mal ein Gläschen Wodka, mein Lieber.

       (Der Knecht geht ab.)

       Wo denn … Wohin denn … (Er findet seine Mütze.) Bei Ostrowskij gibt es in irgendeinem Stück einen Menschen mit einem großen Schnurrbart und beschränkten Fähigkeiten … So einer bin ich. Nun, habe die Ehre, Herrschaften … (Zu Jelena Andrejewna.) Wenn Sie mal bei mir hereinschauen, so mal mit Sofja Alexandrowna, da wäre ich aufrichtig froh. Ich habe da ein kleines Gut, dreißig Desjatinen im ganzen, aber, wenn es Sie interessiert, auch einen Mustergarten und eine Baumschule, wie Sie auf tausend Werst keine zweite finden. Neben mir beginnt der Staatsforst … Der Förster dort ist alt, ständig krank, so daß eigentlich ich alles regele.

      JELENA ANDREJEWNA. Ich habe schon gehört, daß Sie die Wälder so sehr lieben. Natürlich, die können großen Nutzen bringen, aber stört Sie das nicht in Ihrem eigentlichen Beruf? Sie sind doch Arzt.

      ASTROW. Gott allein weiß, worin unser eigentlicher Beruf liegt.

      JELENA ANDREJEWNA. Und ist das interessant?

      ASTROW. Ja, das ist eine interessante Sache.

      WOJNIZKIJ (mit Ironie). Sehr!

      JELENA ANDREJEWNA. Sie sind ein noch junger Mensch, nach Ihrem Aussehen … nun so sechsunddreißig oder siebenunddreißig Jahre alt … das kann für Sie nicht so interessant sein, wie Sie sagen. Wald, immer nur Wald. Eintönig, denke ich mir.

      SONJA. Nein, das ist außerordentlich interessant. Michail [19]Lwowitsch pflanzt jedes Jahr neue Wälder an, er hat schon eine Bronzemedaille und ein Diplom geschickt bekommen. Er setzt sich dafür ein, daß die alten Bestände nicht vernichtet werden. Wenn Sie ihn bis zum Ende anhören, so werden Sie ihm völlig zustimmen. Er sagt, die Wälder verschönen die Erde, sie bringen den Menschen Verständnis für das Schöne bei und versetzen ihn in eine andachtsvolle Stimmung. Die Wälder mildern das rauhe Klima. In Ländern mit mildem Klima verbraucht man weniger Kraft für den Kampf mit der Natur, und darum sind dort auch die Menschen weicher und nachgiebiger; da sind die Menschen schön, geschmeidig, sensibel, sie äußern sich elegant und bewegen sich graziös. Bei ihnen blühen die Wissenschaften und Künste, ihre Philosophie ist nicht finster, und ihr Verhältnis zur Frau ist voll eleganter Noblesse …

      WOJNIZKIJ (lachend). Bravo, bravo! … Das alles ist lieb gesagt, überzeugt mich aber nicht, deshalb (zu Astrow) erlaub mir, mein Freund, meine Öfen auch weiterhin mit Holz zu heizen und die Scheunen aus Brettern zu bauen.

      ASTROW. Du kannst die Öfen mit Torf heizen und Scheunen aus Steinen bauen. Nun ja, ich lasse ja den Holzeinschlag zu, wo er nötig ist. Aber wozu die Wälder vernichten? Die russischen Wälder erzittern unter der Axt, Milliarden von Bäumen fallen, der Lebensraum von Tieren und Vögeln wird verwüstet, die Flüsse versanden und trocknen aus, unwiederbringlich verschwinden wunderbare Landschaften – all das, weil der Mensch vor lauter Faulheit nicht einsieht, daß er sich bücken und sein Heizmaterial aus der Erde holen kann. (Zu Jelena Andrejewna.) Nicht wahr, so ist es doch, gnädige Frau? [20]Man muß schon ein ganz unverständiger Barbar sein, wenn man diese Pracht im Ofen verheizt, wenn man vernichtet, was wir nicht wieder hervorbringen können. Der Mensch ist mit Vernunft und Schöpferkraft begabt, um zu vermehren, was ihm geschenkt worden ist, aber bis heute hat er nichts geschaffen, sondern zerstört. Wälder gibt es immer weniger, die Flüsse werden austrocknen, das Wild ist fortgezogen, das Klima verschlechtert sich, und mit jedem Tag wird die Erde ärmer und häßlicher. (Zu Wojnizkij.) Du blickst mich ironisch an, und alles was ich sage, kommt dir unernst vor … und vielleicht ist es ja auch komisch, aber wenn ich an den Bauernwäldern vorbeifahre, die ich vor einem Kahlschlag gerettet habe, oder wenn ich hinhöre, wie der junge Wald rauscht, den ich mit meinen Händen gepflanzt habe, dann wird mir bewußt, daß das Klima auch ein wenig in meiner Macht steht und daß, wenn die Menschen nach tausend Jahren glücklich sein werden, auch ich daran ein wenig schuld bin. Wenn ich eine kleine Birke setze und dann zusehe, wie sie grünt und sich im Winde wiegt, dann erfüllt sich meine Seele mit Stolz. Und ich … (Er sieht den Knecht, der ihm auf einem Tablett ein Glas Wodka


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