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Mami Bestseller 55 – Familienroman. Myra MyrenburgЧитать онлайн книгу.

Mami Bestseller 55 – Familienroman - Myra Myrenburg


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und nickte vor sich hin. Er verstand es, richtig zu fallen, was ungemein wichtig war. Ein anderer hätte sich bei diesen komischen und erheiternden Stürzen das Genick gebrochen.

      Nicht so Alexis!

      Mit ein bißchen Protektion, dachte Nora sachlich weiter, kann er es weit bringen. Er hat das Zeug dazu, er ist ein Komödiant. Einer, dem die Manege die Welt ist, dem der Staub die beste Luft zum Atmen und das Zirkuszelt der Himmel ist.

      Der Junge, dachte Nora, der Junge ist echt. Ein Komödiant. Sein Lachen, seine Gesten, sein Talent für die Komik sichert ihm den Aufstieg. Mit Pferden umgehen, das kann er seit Jahren. Soviel sieht man gleich. Aber er wird mehr lernen müssen, Artistik, Seil, Balance. Nun, er ist jung. Er hat noch alles vor sich. Alles?

      Nora Lippit stand langsam auf, schlich sich durch die linke Reihe hinter einen Pfosten und blickte aufmerksam in das Gesicht des Clowns, das jetzt ganz nah, dicht vor ihr auftauchte.

      Er lachte. Und er legte dabei die Stirn in Falten wie ein Greis oder wie ein Baby – und er wiegte den Kopf wie einer, der hundert Jahre Weisheit erfahren hat.

      Er lachte.

      Nora Lippit lehnte an dem hölzernen Pfosten und starrte in den aufgewirbelten Sand der Manege.

      Da stand sie noch, als der Clown sich längst auf eines der zotteligen Pferd­chen geschwungen und unter jubelndem Beifall hinter dem Vorhang verschwunden war.

      Mit einer unsagbar müden Bewegung stieß sich Nora von ihrer Stütze ab, langsam und geistesabwesend ging sie den schmalen Gang hinunter der offenen Tür zu und setzte sich in ihr Auto.

      Mechanisch ließ sie den Motor an, wischte die Scheibe von innen blank und dachte: Fedor hat recht behalten. Alexis. Er ist Alexis. Und er wird keine einzige Chance haben, keine einzige.

      Er wird über diesen Zirkus nicht hinauskommen, wo er mit so viel Mühe hineingekommen ist. Keine Chance, nein. Und dabei ist er ein echter Clown, ein guter Clown, einer, der es in sich hatte, von Anbeginn. Mit diesen Augen, die lachen und weinen zugleich, ein Komödiant eben. Ja. Fünfundzwanzig Jahre alt, und er weiß mehr über das Leben als mancher mit hundert.

      Der Wagen rollte über den nassen ­Asphalt.

      Es hatte geregnet, es war ein nasser, kalter Frühlingsabend.

      *

      Lisette war schlafen gegangen. Im Kamin brannte das Feuer schwach.

      Nora goß sich die zarte chinesische Tasse voll duftenden heißen Tee, der im Silberkessel bereit stand.

      Dann trat sie ans Telefon, wählte eine Nummer, die sie im Schlaf kannte, und sagte: »Du hast recht behalten, Fedja. Er ist es. Wie hat er das bloß geschafft?«

      Die Stimme am anderen Ende sagte etwas, was Nora trocken auflachen ließ.

      Dann hängte sie den Hörer ein und tat das, was sie heute schon in der Dämmerung getan hatte.

      Sie setzte sich ans Fenster des kleinen Speisezimmers und starrte hinaus in die unbelaubten Bäume des Kurparks.

      Der Kurpark war in der Form eines Rondells angelegt, mit Springbrunnen inmitten grünender Rosenbüsche.

      Sie sah es nicht. Aber sie ahnte es deutlich: einen Kilometer weiter, in einer kleinen Weinstube, legte gerade jetzt ein junger Mann im dunkelblauen Anzug den Arm um Wendi, keine besitz­ergreifende, eher eine zufällig wirkende Geste. Und ihre runden Kinderaugen strahlten ihn an wie zwei Sterne, während rechts und links und gegenüber die Kameraden vom Zirkus ihren Wein bestellten, redeten, Pläne schmiedeten, unter ihnen Jonas, der alte Clown, und Pierre, der junge Agent.

      »Alexis«, murmelte Wendi, und wer auch immer ihr zutrinken und mit ihr lachen würde, sie sah nur den einen, diesen einen, und was die anderen dachten, das war ihr egal.

      »Wann zieht ihr weiter?« fragte sie halblaut.

      »Der Zirkus? Mal sehen, ich glaube, in zehn Tagen geht’s los. Wir treten hier noch einmal auf, dann bauen wir ab. Aber es wird eine Weile brauchen, bis alles reisefertig ist. So ein Winterquartier löst sich nicht so schnell auf, weißt du…«

      »Dann sehe ich dich nur noch einmal«, flüsterte Wendi und legte die kleine Hand um den Stiel ihres Weinglases, »und dann?«

      »Warum nur noch einmal« fragte er leise und lächelnd zurück. »Wir können ja noch ein bißchen was dazwischenschieben, meinst du nicht auch? Oder bist du immer beschäftigt?«

      »Ich?« Wendi stieß fast das Glas um.

      »Ich bin so gut wie nie beschäftigt. Wenn ich nicht dieses dumme Studium an Hals hätte, ich wäre die reinste Drohne. Du hast’s gut, du hast ein Talent, einen Beruf, ein Ziel, aber ich dagegen…«

      »Ja, ja«, sagte er leichthin und legte den Finger auf ihre Nasenspitze, »ich bin ein gemachter Mann, ein kommender Mann, einer, der für die Manege geboren ist.«

      Sein Lachen klang tief und kehlig wie in der Vorstellung, wenn er einen guten Witz machte, und seine Augen blickten genauso dunkel und weich und abwesend, um nicht zu sagen traurig.

      Das war es ja. Er verwirrte Wendi immer.

      Sie wußte nicht, wie der Mensch Alexis wirklich aussah, sie wußte es nicht, wenn er geschminkt im Clownskostüm in die Manege tänzelte, sie wußte es auch nicht, wenn er, so wie jetzt, abgeschminkt neben ihr saß und sie anlachte.

      »Werde ich es jemals wissen?« murmelte Wendi vor sich hin.

      »Was denn, kleines Mädchen?«

      »Wer du wirklich bist, Alexis.«

      Sein Lachen verklang. Seine Augen blickten ernst und unerbittlich in ihr schmales Gesicht.

      »Doch!« sagte er, ungeachtet des allgemein eingetretenen Schweigens, das seine Worte um so mehr hervorhob. »Eines Tages wirst du das wissen. Leider. Aber bis dahin…«, und das Lachen war wieder da, tief und kehlig und voll hintergründiger Heiterkeit, »wollen wir noch ein paar Gläser leeren, du und ich, und ihr auch, Freunde. Hoch lebe die Freiheit, der Zirkus und das Leben! Hoch!«

      Die Gläser klangen, lachende Gesichter tanzten einen wilden Reigen vor Wendis verschleierten Augen, und sie hörte sich selbst »hoch!« rufen, und sie schmeckte den Wein herb und jung und würzig auf der Zunge.

      An diesem Abend küßten sie sich zum erstenmal. Im Schatten der Rosenbüsche, unter unbelaubten Bäumen im Kurpark, der in der Form eines Rondells angelegt war.

      Aber Nora sah es nicht mehr. Es war weit nach Mitternacht, und sie lag in ihrem breiten Bett.

      Sie brauchte es auch nicht zu sehen, sie wußte es sowieso.

      *

      »Tag, Onkel Fedja!« rief Wendi strahlend, obwohl offenbar sehr eilig. »Wie gefällt dir mein neues Kostüm?«

      »Du siehst aus wie eine Ballettratte. Aber das liegt an der Kürze. So trägt man’s jetzt allgemein, nicht wahr? Nun, wohl dem, der sich das leisten kann. Zu diesen Glücklichen gehörst du, Wendi. Manchmal könnte man meinen, du hättest seit deinem zwölften Lebensjahr kein Pfund zugenommen. Wirklich, allmählich müßtest du ein bißchen mehr Formen kriegen, meinst du nicht auch?«

      Und er lachte aus vollem Hals, weil er wußte, daß dies Wendis stiller Kummer war.

      Sie hatte die Figur eines Porzellanfigürchens, klein, unsagbar zierlich, zerbrechlich.

      »Macht mir nichts aus!« war Wendis unerwartet heitere Antwort, und damit flog sie auch schon die Treppe hinunter, Fedor Rasin sah ihr kopfschüttelnd nach, denn er konnte ja nicht wissen, daß Wendi nicht mehr unter ihrer Winzigkeit litt, seitdem ein junger Mann mit undeutbaren dunklen Augen ihr gestanden hatte, daß er nichts so sehr liebe wie ihre Leichtigkeit und Zierlichkeit und daß es ihm überhaupt nichts ausmache, daß sie so klein sei.

      »Sieh mal an«, sagte Fedor zwei Minuten später und ließ sich in den schweren braunen Ledersessel fallen, »unser kleines Kätzchen mausert sich aber ganz gehörig, Nora. Wie hast du denn das


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