Reisen nach Ophir. Rolf NeuhausЧитать онлайн книгу.
vom Februar 1895 wird trotzdem ein Reinfall, die Ausbeute bleibt weit hinter Gauguins Erwartungen zurück. Zu allem Überfluss schlägt die Syphilis wieder zu, sein ganzer Körper ist mit Ausschlag bedeckt, auβerdem machen sich bereits Sehschwäche und Gedächtnisschwund bemerkbar. Anfang Juli kann er endlich in See stechen, bloβ weg von Europa.
Über Australien und Neuseeland erreichte Gauguin im September 1895 Tahiti. In Punaauia an der Westküste lieβ er sich auf einem gepachteten Stück Land eine Hütte bauen, »einen groβen Vogelkäfig mit Bambusstäben und Kokosdach« zwischen dem Strand und dem »überwältigenden Gebirge« im Rücken. Vorhänge teilten die Hütte in ein helles Atelier und ein dunkles, aber luftiges Schlafzimmer, »alle Nächte treiben sich verteufelte Mädchen in meinem Bett herum, gestern sind drei angetreten«, schreibt er im November an Monfreid, »ich bin im Augenblick nicht zu beklagen«. Auch Tehura, seine vormalige Gefährtin, die jetzt ganz christlich verheiratet ist, besucht ihn und schwänzt acht Tage lang die Ehe, Gauguin ist »gezwungen, ihrem Gatten Hörner aufzusetzen«, aber Tehura bleibt nicht bei ihm. Da nimmt er die dreizehnjährige Pahura zu sich, mit der er bis ans Ende seiner Tahiti-Tage zusammenleben wird, ohne Trauschein, versteht sich. Das Leben ist so heiter und leicht auf Tahiti wie die Mädchen, und künstlerische Arbeit ist so heilsam, dass es Wahnsinn wäre, woanders nach dem Paradies zu suchen. Er fühlt sich groβ in Form, will auf Teufel komm raus arbeiten und glaubt, bessere Bilder als früher machen zu können. Er will weder Ruhm noch Luxus, einzig und allein in seinem »herrlichen Erdenwinkel« in Ruhe leben, in voller Freiheit zur eigenen Befriedigung arbeiten und sein Leben in seiner stillen Hütte beschlieβen.
Gauguins Leben auf Tahiti verlief in Wellen, die meiste Zeit trieb er im Tal. Schaffensphasen wechselten mit langer Untätigkeit ab, je nach Gesundheitszustand, finanzieller Lage und Moral. »Wie immer, wenn ich Geld in der Tasche habe, gebe ich es aus, ohne zu rechnen (…), und eines Tages sitze ich wieder auf dem Trockenen.« Im selben Atemzug rechnet er: Nach Bezahlung seines Hauses bleiben ihm noch 900 Francs, und seine Auβenstände belaufen sich auf mehr als 4000 Francs. Fünf Monate später ist er nicht nur am Ende seines Geldes, vielmehr hat er schon wieder 1000 Francs Schulden und ist auch am Ende seiner Kräfte. Seit seiner Ankunft verschlechtert sich sein Gesundheitszustand »mit jedem Tag«, sein gebrochener Knöchel bereitet ihm groβe Schmerzen, der Arzt bekommt es nicht fertig, die Wunde zu schlieβen, und offene Wunden sind in den Tropen eine heikle Sache. Er liegt am Boden und fühlt sich als Versager, lässt sich im Hospital behandeln, das er nicht bezahlen kann, wird zur Hälfte geheilt, wenigstens hören die Schmerzen auf, aber er ist sehr schwach, und das ist auch kein Wunder, er hat nur Wasser zu trinken und in Wasser gekochten Reis zu essen, seit einem Jahr, das er nun auf Tahiti ist, bekommt er von seinen Schuldnern in Paris nicht einen roten Heller, klagt er. Da erhält er 400 Francs, die Schuffenecker für ihn aufgetrieben hat, davon zahlt er die dringendsten Schulden zurück, er will versuchen, von dem Rest ein paar Monate zu leben. »Wann hört dieses Martyrium auf!« Es macht ihm keine Freude mehr, einen Pinsel anzurühren, sein Fuβ ist immer noch nicht heil, Gauguin ist demoralisiert, mutlos und müde.
Nur einen Monat später geht es Gauguin »viel besser«, er beginnt, gesund zu werden, meint er, wäre es nicht so, würde er sich eine Kugel durch den Kopf jagen. Er arbeitet wieder, macht Tonskulpturen für seinen Rasen, eine nackte Frau, einen Löwen, seine eingeborenen Nachbarn sind ganz platt, auf Tahiti gibt es keine wilden Tiere. Stolz berichtet Gauguin, dass er bald Vater eines Mischlings wird, »meine reizende Dulcinea hat sich zu brüten entschlossen«. Und er bekommt eine gröβere Summe von seinen Galeristen, mit dem Geld bezahlt er ausstehende Rechnungen, kauft Medikamente und Malutensilien und hofft, sechs oder acht Monate in Ruhe leben zu können. Doch kaum steht er im Begriff zu gesunden, kaum hat er ein bisschen Geld und malt wieder Bilder, da erreicht ihn aus Kopenhagen die »fürchterliche« Nachricht vom Tod seiner Tochter Aline. Mette teilt ihm kurz und kühl, »rücksichtslos« mit, dass Aline nach wenigen Tagen an einer Lungenentzündung gestorben ist. Gauguins einzige Tochter mit Mette war gerade 20 Jahre alt geworden, in seiner Antwort weist Gauguin seine Frau darauf hin, dass Aline den Namen seiner Mutter trug, es sollte sein letzter Brief nach Kopenhagen bleiben. Später unterrichtet Mette ihren Mann nicht einmal über den Tod Clovis’, des nach Gauguins Vater geheiβenen Sohnes, der den Winter 1885/86 mit ihm im Pariser Elend verbracht hatte und mit 21 Jahren nach einer Operation an Blutvergiftung starb. Kurz vor Aline war auch Gauguins Tochter mit Pahura wenige Tage nach der Geburt gestorben. Und er hat erfahren, dass er seine Hütte räumen muss. Gauguin ist »ganz verzweifelt«.
Der Eigentümer des Grundstücks, auf das Gauguin seine Hütte gestellt hat, ist gestorben und hat verwickelte Verhältnisse hinterlassen, Gauguin muss die Hütte abreiβen, ein anderes Stück Land suchen und ein neues Haus bauen. Ganz in der Nähe steht die einzige verfügbare Parzelle zum Verkauf, die mit ihren 100 Kokospalmen viel zu groβ für ihn ist, für 700 Francs kann er sie haben. Das rentiert sich, die Kokosbäume bringen 500 Francs im Jahr ein, kalkuliert er, auβerdem will er Vanille pflanzen, die nicht viel Aufwand erfordert und guten Ertrag abwirft. Da der Nachschub an Geld aus Paris wieder stockt, ist er gezwungen, vor der widerspenstigen Bank in Papeete einen Kniefall zu machen, um einen Kredit von 1000 Francs über ein Jahr zu bekommen. »Mein Leben voller Schulden soll also wieder beginnen.« Die Schulden wachsen und wachsen, bald kriegt er beim Chinesen nicht einmal mehr Brot auf Kredit, die Geldsorgen tragen nicht unerheblich dazu bei, dass es gesundheitlich abermals bergab mit ihm geht, »meine Krankheit«, die Maladie française, befällt ihn mit Macht von neuem, das Brennen in den Beinen, der Ausschlag, Schwindelanfälle, Augenentzündung, Fieber, Herzbeschwerden, Atemnot und das Blutspeien, er fürchtet sehr, nie wieder ganz gesund zu werden. Er sieht schwarz und ist ohne jede Hoffnung, sieht nichts als den Tod, der von allem befreit. »Wahnsinniges, aber trauriges und böses Abenteuer, meine Reise nach Tahiti.« Das Paradies ist nicht anderswo – wo, wenn nicht auf Tahiti, sollte es liegen? –, es ist entweder nirgendwo, denn man schleppt sich und seine Vergangenheit überallhin mit, oder es liegt in einem selbst, dann kann es überall sein.
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