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Sophienlust Extra 12 – Familienroman. Gert RothbergЧитать онлайн книгу.

Sophienlust Extra 12 – Familienroman - Gert Rothberg


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behauptest du das immer wieder, Ursula? Du weißt, wie hart du mich damit triffst. Habe ich Dani nicht genauso geliebt wie du?«

      »Ja, anfangs. Aber bald hattest du alles mögliche an ihr auszusetzen. Sie war dir nicht kräftig und nicht robust genug.« Ursula lief zu einem Fenster und lehnte sich dagegen. Von dort sah sie ihren Mann an. Mit einem Blick, der darauf zu warten schien, dass diese Zwistigkeit weiterging.

      Helmut Brugger stieß einen tiefen Seufzer aus. »Je mehr Zeit vergeht, seitdem wir unsere Dani verloren haben, um so hinterhältiger scheinst du zu werden. Ich hatte an dem Kind nichts auszusetzen. Ich wollte nicht, dass es robust ist. Es sollte nur gesund sein. Und Dani war nicht gesund.«

      Ursula wischte mit den Händen durch die Luft. »Komm mir jetzt nicht wieder mit diesem Loch im Herzen. Das ist doch eine Erfindung von dir gewesen. So etwas gibt es nur in den seltensten Fällen. Und gerade unser Kind soll so etwas gehabt haben? Das werde ich niemals glauben.«

      Helmut Brugger bemühte sich, ruhig zu bleiben. »Wir brauchen doch darüber nicht mehr zu sprechen, Ursula. Wir haben Dani nicht durch diesen Geburtsfehler verloren …«

      »Nein, das haben wir nicht.« Die Stimme der jungen Frau klang nun hysterisch. »Wir haben Dani durch meine Schuld verloren. Das wolltest du doch sagen. Das hältst du mir immer wieder vor. Unsere Liebe ist unter diesem Vorwurf bereits gestorben.« Jetzt lief Ursula zu einer Couch und warf sich darauf. Ihre Schultern bebten. Sie war jetzt nur noch ein hilfloses Bündel Mensch.

      Der Mann sah es und setzte sich neben seine Frau. »Ursula, unsere Liebe ist dadurch nicht gestorben. Wir waren nur nicht stark genug, mit einem so schweren Schicksalsschlag fertig zu werden. Besonders du nicht. So glaube mir doch endlich, dass ich dir keine Vorwürfe mache.«

      Jetzt richtete sich Ursula auf. In ihren Augen stand Verzweiflung. Sie schlug sich mit den Fäusten gegen die Brust, ihre Stimme zitterte. »Aber mir hat man Dani gestohlen. Mir, Helmut, nicht dir. Ich habe nicht genug auf sie aufgepasst, ich war leichtsinnig. Ich habe Dani im Kinderwagen vor dem Geschäft stehen lassen.« Nun umspannten die Hände der jungen Frau die Schultern ihres Mannes. Ihre Finger gruben sich ein, dass er nur mit Mühe einen Schmerzenslaut unterdrücken konnte. »Aber du musst mir glauben, Helmut, dass ich nur einige Minuten in dem Geschäft bleiben wollte. Ich hatte nicht einmal vor, etwas zu kaufen. Ich wollte nur nach dem Preis eines niedlichen Kleidchens im Schaufenster fragen. Es sollte doch für Dani sein.«

      Helmut Brugger versuchte den Kopf seiner Frau mit beiden Händen zu umschließen. »Ja, ich weiß das alles, Ursula. Du hast nichts anderes getan als das, was andere Mütter auch tun. Viele lassen ihre kleinen Kinder mal einige Minuten allein im Kinderwagen vor einem Geschäft stehen.«

      »Aber noch keiner Mutter ist ihr Kind gestohlen worden. Geraubt, Helmut, nur mir!«

      »Es war ein Verbrechen, ein entsetzliches Verbrechen!«, stöhnte er. Für Sekunden hatte er sich nicht in der Gewalt. Die Erinnerung war auch für ihn zu grausam, sodass er darüber vergaß, dass er seine Frau trösten sollte. »Ein halbes Jahr war unsere Dani erst alt.« In Gedanken setzte er hinzu: und sie war krank. Vielleicht ist sie den Entführern gestorben, vielleicht haben sie sich deshalb nie gemeldet.

      Als errate Ursula seine Gedanken, sagte sie jetzt: »Wir haben gewartet, Minute um Minute – weißt du es noch? –, dass sich jemand meldet, der Lösegeld für unser Kind verlangt.« Sie schlug die Hände vor das Gesicht. »Aber niemand hat sich gemeldet, sie haben unser Kind getötet.« Schon ließ sie die Hände wieder sinken und stierte ihren Mann mit irrem Blick an. »Nicht einmal begraben durften wir unser Kind. Niemand hat es gefunden …«

      Jetzt drückte Helmut Brugger seine Frau auf die Couch zurück und breitete eine Decke über sie. »Bitte, bleibe liegen, Ursula. Lass uns heute zu Hause bleiben. Wir sind den Thamms in keiner Weise verpflichtet. Ich werde anrufen und uns entschuldigen. Wir sind im Moment beide zu aufgewühlt. du kannst jetzt nicht weggehen. Ich habe wieder einmal nicht verhindern können, dass du dich so aufregst. So oft habe ich das schon nicht mehr geschafft. Deshalb muss ich mich anklagen. Ich habe dich doch noch immer lieb, Ursula.«

      »Nein, das kann nicht sein. Vorhin hast du selbst gesagt, dass unsere Liebe gestorben sei«, begehrte die Frau auf.

      »Ich habe wiederholt, was du behauptet hast, Ursula. Mein Gott, wer kann seine Worte noch auf die Goldwaage legen, wenn er immer wieder in diese Verzweiflung zurückgestoßen wird? Wir haben doch aus Liebe geheiratet, Ursula. Wir waren sehr glücklich …«

      »Ja, wir waren es. Doch das Glück kann nie wiederkommen. Ich werde mit meiner Schuld nicht fertig und kann auch nicht begreifen, dass du nicht genauso um unsere Dani trauerst wie ich.«

      Wieder strich Helmut Brugger beschwichtigend über das Gesicht seiner Frau. »Es sind fast zwei Jahre seither vergangen, Ursula.« Seiner Stimme war anzuhören, dass er diesen Satz kaum auszusprechen wagte. Sehr schnell fügte er hinzu: »Wir hätten längst wieder ein Kind haben können.«

      Nun setzte sich Ursula mit einem Ruck auf, wobei sie die Decke zu Boden warf. Ihre Augen glühten. »Wie du das sagst! So wie immer. Du bist ein Unmensch! Für dich wäre alles aus der Welt geschafft, wenn wir wieder ein Kind hätten. Du sprichst von Kindern wie von Stücken, die man im Haushalt anschafft. Das eine verliert man, das nächste ersetzt es. Nein, ich will kein Kind mehr. Ich müsste dann noch mehr an Dani denken. Ich könnte zu keinem anderen Kind mehr lieb sein.« Ursula sprang auf die Füße. Sie taumelte. Doch gleich darauf hatte sie sich gefangen. »Ich ziehe mich um. Wir fahren zu den Thamms. Ich will aus diesen vier Wänden heraus. Ich will nicht mit dir allein sein. Ich ertrage deine Ansichten nicht länger.« Sie verließ schon das Wohnzimmer.

      Helmut Brugger stützte den Kopf in die Handflächen. Wie oft hatte er schon so gesessen und gegrübelt. Verzweifelt, ohne Hoffnung, hilflos. Was er auch versucht hatte, Ursula aus ihrem Schmerz herauszureißen, es war missglückt. Sie wollte keine Freude mehr am Leben haben, sie wollte auch kein Kind mehr haben. Nur eines wollte sie – sich und ihn quälen.

      Als er hörte, dass Ursula in der Diele war, stand er auf und ging zu ihr. Sicher würde sie ihn jetzt fragen, warum er sich nicht umgezogen hatte. Aber er irrte sich, Ursula schwieg. Sie sah ihn kaum an. Sie strebte nur aus dem Haus.

      Helmut Brugger wusste, dass dieser Abend für sie beide eine Pein werden musste. Bald merkte er auch, dass sie anfangs bei der kleinen Gesellschaft zwar willkommen gewesen waren, dass man aber besonders Ursula etwas aus dem Weg ging. Das war sicher keine Bösartigkeit. Eher fühlten sich alle ratlos. Sie wussten ja, dass Ursula nicht mehr imstande war, eine amüsante Unterhaltung zu führen. Sie machte zwar immer Anläufe dazu, doch dann wurde ihr Blick regelmäßig wieder stumpf.

      Schließlich schwieg sie.

      So fuhren sie auch diesmal frühzeitig nach Hause. Helmut Brugger hätte das recht sein können, denn für ihn war der nächste Morgen ein Operationstag in der Klinik. Dazu brauchte er seine ganze Kraft und ausgeruhte Nerven. Aber er wusste, Ursula würde wahrscheinlich wieder keinen Schlaf finden. Sie stand oft nachts auf und ging ruhelos von einem Zimmer ins andere. Dass auch er dadurch keinen Schlaf fand, schien sie gar nicht zu bemerken. Erst wenn er sie aus dem Zimmer der kleinen Daniela zurückholte, fragte sie manchmal: »Ach, du hast auch nicht schlafen können, Helmut?«

      Es kam auch in dieser Nacht so, wie Helmut Brugger befürchtet hatte. Ursula wälzte sich unruhig neben ihm von einer Seite auf die andere. Er litt mit ihr, aber er wusste, dass sie das nicht spürte. Seit dem Verlust ihres Kindes schien sie tieferer Empfindungen für ihn nicht mehr fähig zu sein. Oder sie wehrte sich dagegen, nach dem Motto: darf ich mein Kind nicht mehr lieben, soll auch kein anderer Mensch Liebe von mir bekommen.

      Helmuts Hand streckte sich aus. Sie suchte die seiner Frau. Er bat: »Ursula, bitte, versuche zu schlafen. Komm zu mir.« Er wollte sie an sich ziehen. Aber schon wehrte sie sich. Jetzt stand er auf. »Ich hole dir eine Schlaftablette.«

      Als er im Badezimmer vor dem Medikamentenschränkchen stand und überlegte, welche Tablette er Ursula geben sollte, fielen einige größere Packungen um. Dadurch kam etwas zum Vorschein, was er bis jetzt nicht hatte sehen können. Er nahm es in die Hand. »Antibabypillen«, murmelte er vor sich hin. Ein


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