Nils Holgerssons wunderbare Reise durch Schweden. Selma LagerlöfЧитать онлайн книгу.
dass du ein starker Langstreckenschwimmer bist.«
»Nein, dessen kann ich mich nicht rühmen«, sagte der Gänserich. Er hatte den Eindruck, dass die Leitgans schon beschlossen hatte, ihn nach Hause zu schicken, und es kümmerte ihn nicht mehr, wie seine Antwort aufgenommen wurde. »Weiter als über eine Mergelgrube bin ich nie geschwommen«, fuhr er fort.
»Dann erwarte ich, dass du ein Meister im Laufen bist«, sagte die Gans.
»Nie in meinem ganzen Leben habe ich eine Hausgans rennen sehen, und ich selbst habe es auch niemals getan«, sagte der Gänserich und machte die Sache schlimmer, als sie war.
Er war nun fest davon überzeugt, dass die Leitgans es entschieden ablehnen würde, ihn weiter mitzunehmen. Deshalb staunte er sehr, als sie sagte: »Du antwortest auf Fragen ohne Furcht, und wer furchtlos ist, der kann ein guter Reisekamerad werden, auch wenn ihm zu Anfang die Erfahrung fehlt. Was meinst du, willst du ein paar Tage bei uns bleiben, bis wir dich richtig kennengelernt haben?«
»Damit bin ich sehr zufrieden«, sagte der Gänserich und freute sich von Herzen.
Nun deutete die Leitgans mit dem Schnabel auf Nils Holgersson und sagte: »Aber wen hast du denn da bei dir? So einen wie den habe ich noch nie gesehen.«
»Das ist mein Kamerad«, sagte der Gänserich. »Er hat sein Leben lang Gänse gehütet und wird sich auf der Reise gewiss nützlich machen.«
»Ja, für eine Hausgans mag es ja gut sein, ihren Hüter bei sich zu haben«, antwortete die wilde. »Wie heißt er denn?«
»Er hat mehrere Namen«, entgegnete der Gänserich zögernd und wusste nicht, was er so schnell darauf antworten sollte, denn er wollte nicht verraten, dass der Junge einen Menschennamen hatte. »Er heißt wohl Däumling«, sagte er.
Es war leicht zu sehen, dass jene Gans, die mit dem Gänserich sprach, sehr alt war. Sie hatte einen größeren Kopf und dickere Beine als alle anderen. Ihre Federn waren steif, die Schultern knochig und der Hals dünn. So hatte sich das Alter ausgewirkt. Nur ihren Augen hatte die Zeit nichts anhaben können, die leuchteten heller und gleichsam jünger als bei jeder anderen Gans.
Als sie sich jetzt an den Gänserich wandte, war sie sehr würdevoll: »Wisse nun, Gänserich, dass ich Akka von Kebnekajse bin, und jene Gans, die gleich zu meiner Rechten fliegt, ist Yksi von Vassijaure, und die zur Linken ist Kaksi von Nuolja! Wisse auch, dass die zweite Gans zur Rechten Kolme von Sarjektjåkko ist, und die zweite zur Linken ist Neljä von Svappavaara, und hinter ihnen fliegen Viisi von Oviksfjällen und Kuusi von Sjangeli! Und wisse, dass diese, ebenso wie die sechs jungen Gänse, die, drei zur Rechten und drei zur Linken, am Ende fliegen, allesamt Hochgebirgsgänse aus bester Familie sind! Du sollst uns nicht für Landstreicher halten, die sich mit jedem Beliebigen zusammentun, und du sollst auch nicht glauben, dass wir unseren Schlafplatz mit einem teilen, der uns nicht sagen will, aus welchem Geschlecht er stammt.«
Als Akka, die Leitgans, auf diese Weise sprach, trat der Junge rasch vor. Es hatte ihn traurig gestimmt, dass der Gänserich, der in eigener Sache so munter gewesen war, so ausweichend geantwortet hatte, als es ihn betraf. »Ich will nicht verheimlichen, wer ich bin«, sagte er. »Ich heiße Nils Holgersson, bin Sohn eines Kätners und bis zu diesem Tag ein Mensch gewesen, aber heute Vormittag …«
Weiter kam er nicht. Kaum hatte er gesagt, er sei ein Mensch, da wichen die Leitgans drei und die anderen noch mehr Schritte zurück. Alle reckten sie die Hälse vor und zischten ihn böse an.
»Den Verdacht hatte ich gleich, als ich dich sah«, sagte Akka. »Und jetzt verschwinde schleunigst! Wir dulden keine Menschen unter uns.«
»Es ist doch wohl nicht möglich, dass ihr Wildgänse euch vor so einem Wicht fürchtet«, versuchte der Gänserich einzulenken. »Ihr müsst schon erlauben, dass er über Nacht bei uns bleibt. Niemand von uns kann verantworten, dass sich so ein armes Kerlchen nachts allein gegen Wiesel und Fuchs behaupten soll.«
Da kam die Leitgans wieder näher, aber es war ihr deutlich anzumerken, dass sie ihre Furcht nur mit Mühe bezwang. »Ich habe gelernt, mich vor allem, was Mensch heißt, ob groß oder klein, in Acht zu nehmen«, sagte sie. »Aber wenn du dich für den hier verbürgst, Gänserich, dann darf er heute Nacht bei uns bleiben. Ich glaube allerdings nicht, dass unser Nachtquartier dir oder ihm recht gefallen wird, wir wollen uns nämlich auf das schwimmende Eis zum Schlafen stellen.«
Sie hatte wohl gedacht, dass diese Nachricht den Gänserich bedenklich stimmen würde. Doch der ließ sich davon nicht anfechten. »Es ist sehr klug von euch, dass ihr euch einen so sicheren Schlafplatz wählt«, sagte er.
Dann hob Akka die Flügel und flog hinaus aufs Eis. Die Wildgänse folgten ihr eine nach der anderen.
Der Junge war traurig darüber, dass man ihn so feindselig aufgenommen hatte. »Es kommt wohl noch schlimmer, Gänserich«, sagte er. »Wir werden draußen auf dem Eis erfrieren.«
Doch der Gänserich war guten Mutes. »Das ist nicht so gefährlich«, sagte er. »Ich bitte dich nur, ganz schnell so viel altes Stroh und Gras zusammenzulesen, wie du tragen kannst.«
Als der Junge einen Armvoll trockenes Gras zusammengerafft hatte, packte der Gänserich seinen Hemdkragen, hob ihn empor und flog mit ihm aufs Eis, wo die Wildgänse schon schliefen, im Stehen und mit dem Schnabel unter dem Flügel.
»Jetzt breite das Gras aus, damit ich mich daraufstellen kann und nicht festfriere! Hilf du mir, dann helfe ich dir!«, sagte der Gänserich.
Das tat der Junge, und als er fertig war, packte der Gänserich ihn ein zweites Mal beim Hemdkragen und steckte ihn unter seinen Flügel.
»Ich glaube, da liegst du warm und gut«, sagte er und drückte ihn mit dem Flügel an sich.
Der Junge war so tief in Daunen eingebettet, dass er nicht antworten konnte, doch er lag warm und sicher und war müde, und im nächsten Augenblick war er eingeschlafen.
Die Nacht
Es ist eine Tatsache, dass Eis stets trügerisch ist und niemals zuverlässig. Mitten in der Nacht geriet die schwimmende Eiskruste des Vombsees in Bewegung und berührte an einer Stelle das Ufer. Da geschah es nun, dass Fuchs Smirre, der zu jener Zeit am östlichen Ufer im Park von Övedskloster wohnte, eben diese Stelle bei seiner nächtlichen Pirsch entdeckte. Er hatte die Wildgänse schon am Abend bemerkt und begab sich sofort aufs Eis.
Er war ihnen schon ganz nahe, als er ausrutschte, so dass seine Krallen über die blanke Fläche schurrten. Die Gänse erwachten, flatterten mit den Flügeln und wollten sich in die Luft erheben. Doch Smirre war schneller als sie. Wie ein Blitz stürzte er los, bekam eine Gans am Flügelknochen zu fassen und eilte in Richtung Land.
In dieser Nacht waren die Wildgänse jedoch nicht allein auf dem Eis, ein Mensch war bei ihnen, auch wenn er noch so klein war. Der Junge war davon aufgewacht, dass der Gänserich mit den Flügeln geschlagen hatte. Er war aufs Eis gefallen und schlaftrunken sitzen geblieben. Die Unruhe um ihn herum war ihm gar nicht zu Bewusstsein gekommen, bis er einen kleinen, kurzbeinigen Hund erblickte, der mit einer Gans in der Schnauze übers Eis davonlief.
Sofort rannte der Junge hinter diesem Hund her, um ihm die Gans wegzunehmen. Er hörte zwar den Gänserich hinter sich rufen: »Sieh dich vor, Däumling! Sieh dich vor!«, doch er glaubte nicht, dass er sich vor so einem kleinen Hund zu fürchten brauchte.
Die Wildgans, die Fuchs Smirre wegschleppte, wollte kaum ihren Ohren trauen, als sie die Holzschuhe des Jungen auf dem Eis klappern hörte. »Will dieser Knirps mich etwa dem Fuchs entreißen?«, fragte sie sich. »Als Erstes wird ihm passieren, dass er in eine Eisspalte fällt.«
Doch trotz finsterer Nacht erkannte der Junge alle Risse und Löcher im Eis genau und sprang kühn über sie hinweg, denn er besaß jetzt die guten Nachtaugen der Kobolde und konnte auch im Dunkeln sehen.
Als Fuchs Smirre die Stelle erreichte, wo das Eis ans Ufer stieß, sprang er an Land, und gerade als er sich den Hang hinaufarbeitete, rief ihm der Junge zu: »Lass die Gans los, du Strolch!« Smirre,