Sophienlust Classic 50 – Familienroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
Einige stehen noch auf dem Speicher. Herr Denninger hat alles verpackt, was von persönlichem Wert für Sie ist. Die Wohnung hat er an ein ihm bekanntes Ehepaar vermietet, damit auf diese Weise wenigstens etwas Geld hereinkommt. Die beiden Aufträge, die Ihr Mann vor seinem Tod erhielt, hat er durchgeführt. Das Büro läuft noch immer unter dem Namen Ihres Mannes. Denn Herr Denninger fand, er sei nicht berechtigt, das ohne Ihr Einverständnis zu ändern. Dr. Brachmann, der uns juristisch betreut, hat sich mit Herrn Denninger in Verbindung gesetzt und festgestellt, dass sich Ihre Angelegenheiten bei ihm in den allerbesten Händen befinden.«
»Sie haben so vieles getan, wovon ich keine Ahnung hatte«, stellte Angela beschämt fest. »Ich habe bisher von Alf Denninger nur ein paar sehr allgemein gehaltene Briefe bekommen, in denen er jedesmal schrieb, ich möge mir keine Sorgen machen. Im letzten Brief erwähnte er sogar, dass unsere Schulden jetzt abgezahlt seien. Wieso, das erklärte er mir bisher nicht. Ist das auch wieder Ihnen zu verdanken?« Groß und fragend schaute Angela abwechselnd auf Alexander und Denise.
»Diesmal nicht«, erwiderte Denise lächelnd. »Wahrscheinlich wirft das Büro Ihres Mannes inzwischen allerlei ab.«
»Aber es ist nicht mehr Klaus, der dort arbeitet, sondern Alf Denninger«, wandte Angela ein.
»Die großen Aufträge, über die Ihr Mann so glücklich war, hätte Denninger allein keinesfalls erhalten. Er wird es schon richtig gemacht haben und es Ihnen auch zu gegebener Zeit erklären. Gewiss lag ihm daran, dass Sie sich wegen der Schulden nicht mehr den Kopf zerbrechen.«
»Nun ja – ich hatte eigentlich daran gedacht, unsere Möbel und das Silber zu veräußern, damit wir wenigstens einen Teil der Kredite abdecken können. Alfs Idee, die Wohnung zu vermieten, war sicherlich besser.«
»Hauptsache, Sie grübeln nicht, liebe Frau Angela. Ehe Sie nicht wieder voll leistungsfähig sind, darf Herr Denninger hier keinesfalls mit Abrechnungen und Papieren aufkreuzen. Glücklicherweise hat er dazu auch gar keine Zeit, weil die Bauvorhaben seine ständige Anwesenheit und Aufsicht erfordern.« Alexander rieb sich die Hände. »Er scheint für drei schuften zu können, dieser junge Mann.«
Nach und nach rundete sich für Angela das Bild. Sie erkannte, dass sie nicht nur den Schoeneckers, sondern auch dem Studienfreund ihres Mannes viel zu verdanken hatte.
»Werde ich das je gutmachen können?«, flüsterte sie überwältigt.
»Niemand erwartet das, liebe Angela.« Denise nahm ihre Hände. »Sie waren in großer Not. Wer die Möglichkeit hatte, war bereit, Ihnen zu helfen. Wie das Leben einmal weitergeht, weiß niemand. Bewahren Sie sich ein offenes Herz für die Schicksalsschläge, die anderen widerfahren. Es wird sich oft genug eine Gelegenheit ergeben, helfend einzugreifen. Dabei kommt es durchaus nicht darauf an, an wen Sie das weitergeben, was Sie selbst empfangen haben.«
»So könnte unsere hastige, materialistisch gesinnte Welt besser werden«, erwiderte Angela und schaute in das verglimmende Feuer.
Denise erinnerte sich, dass sie Henrik noch hatte gute Nacht sagen wollen.
»Die Zeit ist so schnell vergangen«, gestand sie erschrocken. »Es ist viel zu spät geworden.«
»Sicher schläft er längst«, mutmaßte Alexander.
»Da kennst du unseren Henrik schlecht. Bis gleich.« Leichtfüßig ging Denise davon. Mit zärtlichem Blick verfolgte sie ihr Mann.
»Sie ist eine wunderbare Frau!« Angela sprach das aus, was Alexander dachte.
Der Gutsherr stand auf und küsste der jungen Witwe die Hand. »Wir werden uns gut verstehen, Frau Angela. Sie haben mir gerade aus der Seele gesprochen.«
Wenig später kam Denise zurück. »Henrik las eine Abenteuergeschichte und hatte die Zeit vollkommen vergessen. Wahrscheinlich wäre er bis Mitternacht wach geblieben, obwohl er todmüde war.«
»Und Nick?«, fragte Angela.
»Der sitzt noch über seinen Schulbüchern. Leider hat er sich angewöhnt, fast jeden Nachmittag in Sophienlust zu verbringen, wo er sich mit den Kindern beschäftigt. Schulaufgaben werden erst nach dem Abendbrot erledigt, obwohl das nicht ganz in unserem Sinne ist«, berichtete Alexander. »Nick argumentiert, dass Sophienlust ihm gehöre und er sich schon jetzt ständig um alles kümmern müsse.« Alexander sprach so stolz von Nick, als wäre er tatsächlich sein eigener Sohn.
»Er ist ein ungewöhnlicher Junge«, stellte Angela fest.
»Gut, dass er das nicht hört«, meinte Denise.
Sie lachten alle drei. Die Stimmung war nun gelöst und heiter.
Gegen elf Uhr brachte das Ehepaar den Gast gemeinsam nach Sophienlust zurück.
»Schlafen Sie gut in der ersten Nacht«, wünschte Denise der jungen Frau, als sie ihr Ziel erreicht hatten. »Merken Sie sich Ihren Traum. Vielleicht geht er in Erfüllung. Nick kann ihn auch der Huber-Mutter erzählen, damit sie ihn deuten kann.«
Angela betrat auf Zehenspitzen das kleine Zimmer, in dem Bettinas Bettchen stand. Das Kind rührte sich nicht. Es schlief tief und atmete ruhig und gleichmäßig wie alle gesunden Kinder.
Die Mutter verließ das Zimmer leise wieder und schloss behutsam die Tür hinter sich. Wenig später legte sie sich in das einladend aufgedeckte Bett des gemütlichen Zimmers, das ihr
für unbegrenzte Zeit zur Verfügung stand, und schloss die Augen. Sie war entspannt und fast glücklich. Für das Leid schien in Sophienlust kein Raum zu bleiben.
*
Angela erholte sich durch den Luftwechsel und die schöne, friedvolle Umgebung zusehends. Selbstverständlich trug auch Magdas Kochkunst dazu bei, dass ihre schmalen Wangen sich wieder ein wenig rundeten.
Bei den Sophienluster Kindern war »Tante Angela« rasch beliebt geworden. Sie nähte abgerissene Knöpfe an und half bei den Schulaufgaben, wenn sich eine kniffelige Sache nicht lösen lassen wollte. Sie las den Kleinen vor und spielte mit endloser Geduld mit den Allerkleinsten, zu denen ja auch noch ihre eigene Tochter gehörte. Bettina hatte sich inzwischen daran gewöhnt, dass ihre Mutter nun immer anwesend war, und hing ihr nicht mehr ständig am Rockzipfel.
Abends half Angela gelegentlich auch Frau Rennert im Büro aus, wenn viele Schreibarbeiten zu erledigen waren. Das bedeutete für die Heimleiterin eine willkommene Entlastung. Bald gab es nichts mehr in Sophienlust, Schoeneich, Bachenau oder der Kreisstadt, was Angela nicht bekannt und vertraut gewesen wäre.
Denise machte Angela auch mit ihrer Stieftochter Andrea bekannt, die mit dem Tierarzt Dr. Hans-Joachim von Lehn verheiratet war, den sie schon als Schulmädchen glühend verehrt und geliebt hatte. Selbstverständlich musste Angela bei den von Lehns das Tierheim bewundern, das von Andrea gegründet worden war und das den Namen eines Dackels trug: »Tierheim Waldi & Co. – Das Heim der glücklichen Tiere«. Es gab viele ständige Gäste in diesem Heim. Aber auch heimatlos gewordene Tiere fanden hier immer wieder so lange Unterkunft, bis sich ein neuer Besitzer oder Liebhaber fand.
Immer mehr gewann Angela den Eindruck, dass die Menschen um Denise von Schoenecker ihre Zufriedenheit und ihr Glück daraus schöpften, anderen zu helfen und die lebendige Kreatur – Mensch und Tier – zu lieben und zu beschützen. War es ihr anfänglich hin und wieder schwergefallen, die gern gebotene Hilfe anzunehmen, so begriff sie allmählich, dass sie kein Einzelfall war und dass Sophienlust schon viele Menschen vor ihr Trost und Rat erhalten hatten. So begann Angela nun auch selbst zu helfen, wo immer sich eine Gelegenheit dazu ergab.
Dr. Baumgarten hatte Angelas weitere ärztliche Betreuung übernommen und verordnete ihr schon bald ausgedehnte Spaziergänge. Auf diesen Wegen nahm Angela gern einige Kinder mit, doch ergab es sich natürlich auch gelegentlich, dass nur Bettina mit von der Partie war.
Nach einem besonders kalten Tag hatte es in der Nacht viele, viele Stunden lang lautlos geschneit. Die Kinder begrüßten am Morgen die weiße Pracht mit Jubel.
Sofort wurden die Schlitten hervorgeholt, und die Schulkinder beneideten die Kleinen glühend, weil diese bereits am Vormittag