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Gesang der Fledermäuse. Olga TokarczukЧитать онлайн книгу.

Gesang der Fledermäuse - Olga Tokarczuk


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Mond und Sonne frei von Zweifeln nicht,

      Erlöschte augenblicks ihr Licht.«

      Den Rehkopf begrub ich am nächsten Tag auf meinem Friedhof beim Haus. In dieses Erdloch hatte ich fast alles gelegt, was ich aus dem Haus von Bigfoot mitgenommen hatte. Die Plastiktüte, an der noch Blutspuren waren, hängte ich an einen Ast des Pflaumenbaums, als Andenken. Sofort fiel Schnee hinein, der in der Nacht zu Eis gefror. Ich plagte mich lange, um in der gefrorenen, steinigen Erde eine Grube zu graben. Die Tränen gefroren mir auf den Wangen.

      Auf das Grab legte ich einen Stein, wie immer. Es gab schon viele solcher Steine auf meinem Friedhof. Hier lag der alte Kater, dessen Leiche ich beim Hauskauf im Keller vorgefunden hatte, die halbwilde Katze, die gleich starb, nachdem sie geworfen hatte, samt ihren Jungen, der Fuchs, den die Waldarbeiter getötet hatten und von dem sie behaupteten, er sei tollwütig gewesen, einige Maulwürfe und ein im letzten Winter von einem Hund totgebissenes Reh. Das waren nur einige der Tiere. Alle, die ich im Wald, in den Schlingen von Bigfoot, tot auffand, brachte ich an einen anderen Ort, damit sie wenigstens irgendwem als Futter dienten. Von diesem hübsch gelegenen Miniaturfriedhof, zwischen einem Teich und einem sanften Hügel, konnte man das ganze Hochplateau überblicken. Hier wollte auch ich einmal liegen und alles in meiner Obhut haben, für immer.

      Ich bemühte mich, zweimal täglich einen Rundgang über meine Ländereien zu machen. Ich muss Lufcug immer im Auge haben, daher habe ich mich dazu verpflichten lassen. Der Reihe nach ging ich die von mir betreuten Häuser ab, und zum Schluss stieg ich auf den Hügel, um unser ganzes Hochplateau zu überblicken.

      Aus dieser Perspektive konnte ich das sehen, was aus der Nähe unsichtbar war: Die Spuren im Schnee dokumentierten hier im Winter jede Bewegung, und dieser Evidenz konnte nichts entgehen. Der Schnee als sorgfältiger Chronist zeichnete alle Schritte von Tier und Mensch auf, er verewigte auch die wenigen Autospuren. Ich betrachtete aufmerksam unsere Dächer, ob sich nicht irgendwo ein Überhang aus Schnee gebildet hatte, der die Rinne abreißen konnte oder, was noch schlimmer war, beim Kamin hängen blieb. Dort würde er dann langsam schmelzen und Wasser durch die Schindeln nach innen sickern lassen. Ich sah nach den Fenstern, ob sie heil waren, ob ich bei der letzten Visite nichts übersehen und kein Licht brennen gelassen hatte. Und ich inspizierte auch das umliegende Anwesen, die Zäune, die Gartenpforten, die Schuppen und die Holzstapel.

      Ich war die Hüterin des Eigentums meiner Nachbarn, während sie ihren Winterarbeiten und ihren Vergnügungen in der Stadt nachgingen. An ihrer statt verbrachte ich hier den Winter für sie, bewahrte ihre Häuser vor Kälte und Feuchtigkeit und kümmerte mich um ihren flüchtigen Besitz. So half ich ihnen an der Finsternis teilzunehmen.

      Dummerweise machte mir wieder mein Leiden zu schaffen. Damit musste ich rechnen, Stress und andere ungewöhnliche Ereignisse verstärkten es. Manchmal genügte eine Nacht, in der ich schlecht geschlafen hatte, und alles plagte mich. Dann zitterten meine Hände, und ich hatte ein Gefühl, als flösse Strom durch alle Gliedmaßen, als sei mein Körper von einem unsichtbaren elektrischen Netz umhüllt, und als ob mir jemand wahllos kleine Züchtigungen zufügte. Meine Schultern oder Beine wurden oft von einem unangenehmen, plötzlichen Krampf erfasst. Jetzt zum Beispiel merkte ich, wie ein Bein irgendwie steif wurde, es war ganz taub, und ich fühlte ein Stechen. Beim Gehen zog ich es nach und humpelte. Dazu kam, dass meine Augen seit einem Monat immer wieder plötzlich und grundlos tränten.

      Ich entschloss mich, heute trotz Schmerzen den Abhang hinaufzugehen und alles von oben zu betrachten. Sicher wäre die Welt noch an ihrem Ort. Vielleicht würde mich das beruhigen und bewirken, dass sich meine Kehle lockerte und es mir besser ginge. Bigfoot tat mir überhaupt nicht leid. Doch immer, wenn ich sein Haus von Weitem sah, fiel mir sein toter Körper ein, der Körper eines Kobolds in einem kaffeebraunen Anzug, und dann fielen mir die Körper aller lebenden Bekannten ein, die glücklich in ihren Häusern wohnten. Auch ich selbst, mein Bein und der magere, sehnige Körper Matogas, alles schien mir durchsetzt mit ungeheurer Traurigkeit, unerträglich. Ich blickte auf die schwarzweiße Landschaft des Hochplateaus, und mir war klar, dass Traurigkeit ein wichtiges Wort bei der Definition der Welt war. Sie liegt allem zugrunde, sie ist das fünfte Element, die Quintessenz.

      Die Landschaft, die vor mir ausgebreitet lag, bestand aus schwarzweißen Schattierungen, aus miteinander verflochtenen Baumreihen entlang der Feldraine. Dort, wo das Gras nicht gemäht wurde, bildete der Schnee keine einheitliche weiße Ebene. Die einzelnen Halme stachen durch seine Oberfläche, was von Weitem so aussah, als hätte eine riesige Hand eben begonnen, ein abstraktes Muster zu skizzieren, als übte sie mit kurzen Strichen, zart und subtil. Ich erkannte feine Figuren, geometrische Felder, Streifen und Rechtecke, jedes anders strukturiert, auf eigene Weise schattiert, verschieden geneigt in der eiligen Winterdämmerung. Und unsere Häuser, alle sieben, standen hier hingeworfen wie ein Teil der Natur, als seien sie zusammen mit den Feldrainen gewachsen, ebenso wie der Bach und die Brücke über den Bach. All das schien sorgfältig projektiert und komponiert zu sein, vielleicht von derselben Hand, die hier Skizzen verfertigt hatte.

      Auch ich hätte eine Karte dieser Gegend aus dem Gedächtnis zeichnen können. Unser Hochplateau hätte darauf die Form eines dicken Halbmondes bekommen, von einer Seite umgeben von den Silberbergen, einer eher kleinen, niedrigen Bergkette, die halb zu uns, halb zu Tschechien gehört. Auf der anderen, der polnischen Seite standen die Weißen Berge. Dort gibt es nur eine Siedlung – unsere. Das Dorf und die Stadt und alles andere liegen im Tal, im Nordosten. Der Niveauunterschied zwischen dem Hochplateau und dem restlichen Glatzer Kessel ist nicht groß, aber es genügt, um sich hier etwas erhöht zu fühlen und auf alles von oben herabzusehen. Der Weg klettert vom Tal gemächlich, von Norden her eher sanft nach oben, aber die östliche Seite des Hochplateaus ist weiter unten ziemlich steil, sodass die Abfahrt im Winter gefährlich ist. In strengen Wintern leitet die Straßenaufsicht den Verkehr hier um. Wir benutzen den Weg dann unerlaubt, auf eigenes Risiko. Natürlich nur mit einem guten Auto. Eigentlich spreche ich nur von mir. Matoga hat nur ein Moped, und Bigfoot ging zu Fuß. Das steile Stück nennen wir den Steilpass. Unweit davon befindet sich noch ein steiniger Abhang. Wer den für ein Werk der Natur hält, der irrt sich. Es ist nämlich das Überbleibsel eines ehemaligen Steinbruchs, der sich früher einmal in das Hochplateau hineingefressen hatte und es wahrscheinlich irgendwann ganz und gar mit seinen Baggerzähnen verschlungen hätte. Angeblich gibt es Pläne, den Steinbruch wiederzubeleben. Dann werden wir völlig von der Erdoberfläche verschwinden, in den Bäuchen der Maschinen.

      Über den Steilpass führt ein Feldweg ins Dorf, der nur sommers befahren wird. Im Westen mündet der Weg in einen anderen, breiteren Weg, doch das ist noch nicht die Hauptstraße. Hier liegt ein Landstrich, den ich für mich Transsylvanien nenne, wegen der hier allgemein vorherrschenden Stimmung. Dort gibt es einen Laden, kaputte Skilifte und einen Hort für Kinder. Der Horizont verläuft hier sehr weit oben, sodass dort ewige Dämmerung herrscht. Am hintersten Ende dieses Landstrichs gibt es noch einen Seitenweg, der zu einer Fuchsfarm führt, aber ich vermeide es, in diese Richtung zu gehen.

      Jenseits von Transsylvanien, gleich bei der Auffahrt auf die internationale Route, gibt es eine scharfe Kurve, an der es oft zu Unfällen kommt. Dyzio hat sie die Rinderherzkurve genannt, weil er einmal gesehen hatte, wie aus einem Lkw vom Schlachthof eines städtischen Bonzen eine Kiste mit Innereien fiel und die Herzen der Rinder über die Straße kollerten, jedenfalls behauptet er das. Es scheint mir ziemlich makaber, und ich bin keineswegs sicher, ob er sich das alles nur eingebildet hat. Dyzio ist manchmal hypersensibel, besonders bei gewissen Themen. Der Asphaltweg verbindet die Städte im Kessel. Bei gutem Wetter kann man auch von unserem Hochplateau diesen Weg sehen, und die darauf aufgefädelten Städte Kudowa und Lewin, und im Norden sogar, in weiter Ferne, die Orte Nowa Ruda, Kłodzko, zu deutsch Glatz, und Ząbkowice, das vor dem Krieg Frankenstein hieß.

      Das ist schon die große weite Welt. Ich fuhr immer mit meinem Samurai über den Steilpass in die Stadt. Nach dem steilen Stück ging es links ab zur launisch gewundenen Grenze, die man bei jedem längeren Spaziergang ganz leicht und unbemerkt überschreiten konnte. Das passierte mir oft aus Unachtsamkeit, wenn ich bei meinem Rundgang so weit kam. Aber manchmal wollte ich sie auch absichtlich überschreiten, hin und her. Zwanzig-, dreißigmal. So amüsierte ich mich eine halbe Stunde mit Grenzüberschreitungen. Es macht mir Spaß, weil


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