SKULL 3: Die Würfel fallen. Stefan BurbanЧитать онлайн книгу.
Gattung. Obwohl MacTavish keinerlei Geräusch gemacht hatte, sah sich der Mann stirnrunzelnd über die Schulter um. Als er MacTavish bemerkte, zeigte dessen Gesicht eine verdutzte Mimik. Gegen die Schrecksekunde war niemand gefeit, egal wie gut man auch ausgebildet worden war.
MacTavish zögerte nicht. Er musste die Gelegenheit nutzen, bevor es dem Polizisten gelang, seinen Schreck zu überwinden. MacTavish stürzte vor, schlang seinen Arm um den Hals seines Gegners und machte mit dem anderen Arm den Sack zu. Er schnitt seinem Gegenüber damit effektiv die Luftzufuhr ab.
Sein Gegner war jedoch gesund, kräftig und vor allem richtig wütend. MacTavish war nichts davon. Der Agent ließ nicht los, aber der Polizist bäumte sich auf und plötzlich hingen MacTavishs Beine in der Luft. Der Agent strampelte hilflos, während der Polizist sich damit abmühte, ihn von seinem Rücken zu bekommen.
Mehrere Augenblicke lang versuchte der Mann, MacTavish abzuschütteln. Als das nicht gelang und der Agent sich partout weigerte loszulassen, änderte der Polizist seine Taktik. Er rammte seinen eigenen Körper gegen die Wand und benutzte dabei MacTavishs ohnehin geschundene Gestalt als Prellbock.
MacTavish stieß mehrmals scharf die Luft aus. Dennoch ließ er immer noch nicht von seinem Gegner ab. Eine zweite Chance würde er nicht bekommen. Unter diesem Gesichtspunkt mobilisierte er ungeahnte Kraftreserven. Innerlich zählte er die Sekunden. Ein Mensch konnte nur begrenzt ohne Sauerstoffzufuhr bei Bewusstsein bleiben. Wenn man die Halsschlagader abklemmte, blieben etwa zwanzig Sekunden, bis der Gegner ins Reich der Träume abdriftete. Der Polizist hielt fast dreißig durch. MacTavish kannte Ausbilder beim Royal Intelligence Service, die diesen Polizisten gern in die Finger bekommen hätten, um diesem noch den nötigen Feinschliff zu verpassen. Der Kerl war zäh, keine Frage.
Die Bewegungen des Mannes erlahmten und wurden langsam unkoordiniert. Seine Knie knickten ein und endlich bekam MacTavish wieder Boden unter den Füßen. Der Körper des Polizisten wurde schwer und MacTavish ließ ihn sanft zu Boden gleiten. Besorgt prüfte er dessen Halsschlagader. Sie pumpte stark und beständig. Vielleicht ein wenig zu schnell, aber das war nicht anders zu erwarten. MacTavish war erleichtert. Er wollte kein armes Schwein umbringen, nur weil dieses seinen Job machte.
MacTavish sah sich um. Der kurze, aber heftige Schlagabtausch war unbemerkt geblieben. Der Korridor war immer noch leer. Er zog den Polizisten in das Zimmer und begann diesen zu entkleiden. Sorgfältig zog er sich die Polizeiuniform über. Es war keine ideale Lösung, aber alles, was ihm einfiel. Die Uniform war natürlich viel zu groß, würde aber auf eine gewisse Distanz hin die meisten Normalbürger täuschen.
Er hörte hinter sich die Tür aufgehen und jemanden scharf die Luft einsaugen. MacTavish wirbelte herum. Im Türrahmen stand Schwester Sybille mit großen Augen und einer Hand vor dem Mund. Sie wich vor ihm zurück und machte Anstalten zu fliehen.
MacTavish reagierte blitzschnell, packte sie, hielt ihr den Mund zu und zerrte sie zurück ins Krankenzimmer. Sie zappelte und wehrte sich nach Kräften. Aber der ehemalige Agent hatte gerade einen gut trainierten Polizisten ausgeschaltet. Die Krankenschwester hatte gegen ihn kaum eine Chance.
»Ich werde Ihnen nichts tun«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Bitte beruhigen Sie sich.«
Die Bewegungen der Krankenschwester wurden langsamer und kamen schließlich ganz zum Stillstand, als sie erkannte, dass Widerstand hier sinnlos war.
»Ich werde jetzt meine Hand von Ihrem Mund nehmen. Ich wäre Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie nicht schreien würden. Ich möchte Ihnen nicht wehtun. Verstanden?«
Schwester Sybille nickte langsam. MacTavish nahm wie versprochen die Hand von ihrem Mund. Die Frau drehte den Kopf und warf einen Blick auf den halb nackten Polizisten. »Haben Sie ihn umgebracht?«, fragte sie im Tonfall eines Menschen, der Angst vor der Antwort hatte.
»Der schläft nur eine Weile und wird dann mit heftigen Kopfschmerzen aufwachen«, beruhigte er sie. Er fixierte sie mit festem Blick. »Wo sind meine Sachen?«
»Ein paar Zimmer weiter. Im Lager.«
MacTavish runzelte die Stirn. »Die Polizei hat sie nicht mitgenommen?«
Schwester Sybille schüttelte den Kopf. »Sie haben Ihren Besitz hier vor Ort kurz begutachtet. Die Beamten wollten ihn bei Gelegenheit abholen und einer genaueren Untersuchung unterziehen.«
MacTavish runzelte die Stirn. Sein Respekt vor den hiesigen Strafverfolgungsbehörden sank. Dem RIS wäre ein solch gravierender Fehler niemals unterlaufen. »Führen Sie mich hin«, bat er.
Die Krankenschwester tat, wie ihr befohlen worden war, und führte MacTavish aus dem Zimmer hinaus. Er hielt sie noch kurz zurück. »Ich muss doch nicht extra darauf hinweisen, was passiert, wenn Sie Alarm schlagen. Ich will niemanden mehr verletzen. Ich will einfach nur hier raus. Verstanden?«
Sie nickte mit aschfahlem Gesicht. Sybille führte den Agenten den Korridor hinab zu einem kleinen Raum, der als Lager für allerhand Utensilien diente. MacTavish stieß seine Gefangene sanft in die Ecke des Raumes, wo er sie im Auge behalten konnte.
Sein Besitz lag auf Augenhöhe in einem Regal. Eilig nahm er alles an sich und stopfte es sich in die Taschen. Bei einem Gegenstand von der Größe einer klobigen Uhr zögerte er, lächelte und zog sie sich über das linke Handgelenk.
»Kumpel?«, flüsterte er. »Bist du da?«
Schwester Sybille zog eine Augenbraue hoch, als er anfing, mit seiner Uhr zu reden. Für sie musste er wie ein Verrückter wirken. Als die Uhr aber antwortete, zog sie überrascht beide Augenbrauen nach oben.
»Boss? Sie leben?«
MacTavish grinste. »Offensichtlich. Wie geht es dir?«
»Allerhand fremde Hände haben mich betatscht und untersucht«, meinte Ozzy geknickt. »Aber ich habe mich nicht zu erkennen gegeben.«
»Gut gemacht«, lobte MacTavish.
»Boss? Ihre Vitalzeichen sehen aber gar nicht gut aus. Sie brauchen ein Bett und medizinische Versorgung.« Die Stimme Ozzys klang überaus besorgt.
»Hört, hört!«, stimmte Schwester Sybille in sarkastischem Tonfall zu.
»Darum kümmern wir uns, wenn wir verschwunden sind.« MacTavish griff sich eine Rolle Klebeband und warf seiner Gefangenen einen entschuldigenden Blick zu.
Diese wich vor ihm zurück, so weit es die Umstände erlaubten. »Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst?!«, schimpfte sie.
Er zuckte die Achseln. »Tut mir leid, aber ich kann nicht riskieren, dass Sie Alarm schlagen, sobald ich weg bin. Und mitnehmen kann ich Sie auch nicht. Das Risiko ist zu hoch – für uns beide.« Er näherte sich ihr vorsichtig.
Sie musterte ihn scharf. »Würden Sie mir auch sagen, was hier vor sich geht?«
MacTavish verzog schmerzhaft berührt die Miene. »Würden Sie mir glauben, dass ich zu den Guten gehöre?«
Sie musterte ihn erneut. Dieses Mal eindringlich. »Ich bin mir da nicht ganz sicher.«
MacTavish lächelte und fesselte die Frau ohne weitere Worte. Bevor er ihr ein Stück Klebeband über den Mund klebte, küsste er sie leidenschaftlich. Sie war so perplex, dass sie nicht einmal auf die Idee kam, sich zu wehren. Als er sich von ihr löste, klebte er das Band auf ihren Mund, bevor sie etwas sagen konnte.
Ohne sich noch einmal umzudrehen, verließ er den Lagerraum und verschloss die Tür. Man würde die Frau vermutlich erst gegen Morgen finden. Bis dahin war er schon weit weg.
»Was sollte das denn?«, fragte Ozymandias in vorwurfsvollem Tonfall.
MacTavish grinste. »Die Chance ist groß, dass ich in den nächsten Tagen draufgehe. Es erschien mir sinnvoll, noch mal eine schöne Frau zu küssen.«
»Sie sind ja ein richtiger Optimist geworden.« Ozzy seufzte. Ein überraschend menschlicher Laut. »Und was machen wir als Nächstes?«
Das war die Frage des Jahrhunderts. Darüber hatte sich MacTavish bereits seine Gedanken gemacht. Er schlich sich ohne Probleme