Seidenstadt-Schweigen. Ulrike RenkЧитать онлайн книгу.
drehte sich um, hob den rechten Arm, »Heil Hitler.«
»Jaja. Alfred Peerhoven. Und wie heißt ihr?« Der junge Mann zog sich Fahrradklammern aus den Hosenbeinen, lächelte offen und freundlich. Fritz sah ihm skeptisch entgegen. Er hatte nicht ordentlich gegrüßt, das würde er sich merken. Dann runzelte er die Stirn. Peerhoven kam ihm bekannt vor.
Alfred schmiss seinen Koffer achtlos auf eines der oberen Betten in der Mitte. Er befühlte den derben Wollstoff der Decke, rümpfte die Nase. Sein Koffer war von feinster Qualität, das sah Fritz sofort. Rindsleder, mit Messingbeschlägen. Auch die Schuhe des jungen Mannes waren edel, Fritz musterte ihn ausgiebig. Alfred sah seinen Blick, lächelte. Dann zog er ein Zigarettenetui aus Silber hervor. »Möchtet ihr?«
»Wo kommst du her?«, fragte Heinrich.
»Aus Krefeld, aus der Seidenstadt.«
So ein Zufall, dachte Fritz. Oder war es Schicksal? Bevor er sagen konnte, dass er aus Hüls war, öffnete sich die Tür erneut.
»Ick glop, ick werd verrückt. Mensch, hier friert einem ja der Arsch ab. Moin, Dieter Müller.«
»Heil Hitler!« Fritz riss den Arm hoch, die anderen schauten ihn merkwürdig an.
Nach und nach füllte sich die Stube. Fritz hatte Schwierigkeiten, sich die Namen zu merken. Das gibt sich mit der Zeit, dachte er.
Um acht Uhr traten sie zum Appell an, danach marschierten sie zum Einkleiden, ihnen wurden Uniformen und Ausrüstungsgegenstände ausgehändigt. Darüber war Fritz froh. Zwei auf der Stube kamen aus besseren Elternhäusern, das hatte er sofort gesehen. Einer hatte sogar einen adeligen Namen, von Steglitz. Sein Onkel war Gauleiter am Niederrhein. An ihn würde Fritz sich halten.
Als abends das Licht gelöscht wurde, wusste Fritz, dass nun die beste Zeit seines Lebens begonnen hatte. Alles würde anders werden. Alles. Anders und besser.
3. Kapitel
»Jürgen?« Christiane Suttrop, die Sekretärin des Polizeichefs, stand in der Tür zu Fischers Büro. »Oliver hat mehrfach versucht dich zu erreichen, aber bei dir war immer besetzt.«
»Ich musste einiges abklären. Was will er denn?«
»Das hat er nicht gesagt. Nur, dass er dich sprechen muss.«
Jürgen Fischer nahm sein Diensthandy. Der Akku war leer. »Hast du mal eben Olivers Nummer?«
»Auswendig weiß ich sie nicht. Ich ruf ihn an und stell dann zu dir durch.«
Fünf Minuten später sprach Fischer mit einem aufgeregt klingenden Oliver Brackhausen.
»Ich bin im Zoo. Hier ist ein Blindgänger.«
»Das weiß ich.« Fischer stöhnte leise.
»Aber in der Grube ist auch noch etwas anderes. Eine Plane und Stiefel.«
»Jemand hat dort Müll entsorgt?«
»Jürgen, ernsthaft. Hier ist tatsächlich eine Leiche.«
Fischer stand auf. Es war schon vier Uhr nachmittags und der Stapel auf seinem Schreibtisch hatte sich an diesem Tag nicht wesentlich verkleinert. »Eine ältere Leiche oder etwas Aktuelles?«
»Kann ich nicht sagen, dazu müsste ich in die Grube steigen. Soll ich?«
»Um Gottes willen, nein. Ist der Kampfmittelräumdienst noch nicht da?«
»Nein, sie stecken im Stau.«
»Bleib wo du bist, lass niemanden in die Nähe. Ich komme.«
Egal, was sich sonst noch in der Grube befand, bevor die Bombe nicht entschärft war, durfte sich ihr keiner nähern. Fischer hatte einmal mitbekommen, wie ein kleiner Blindgänger hochging. Die Detonation war gewaltig und der Bombenkrater anschließend enorm. Da die Bombe auf einem entlegenen Feld gefunden worden war, kam niemand zu Schaden. In der Stadt konnten die Folgen weitaus schwerwiegender sein. Die Kollegen vom Räumdienst würden die Gefahr gut einschätzen können. Sie bestimmten, in welchem Umkreis evakuiert werden musste.
Da nicht viel los war, hatte Fischer die freie Auswahl an Dienstfahrzeugen. Er wählte den Astra, denn bei diesem Wagen funktionierte die Klimaanlage. Nachdem der Juli verregnet gewesen war, schlug der August mit heißem Wetter zu.
Ein Mitarbeiter des Zoos führte ihn zum Fundort. Dieser Bereich war abgesperrt.
»Es ist dort hinten, zwischen Regenwaldhaus und Zooschule. Wir hatten einen Rohrbruch und der Weg ist abgesackt.«
»Kommt immer mal wieder vor, dass man Blindgänger findet.« Fischer sah sich um. Er war bisher nur einmal mit Martina Becker, der Staatsanwältin, im Zoo gewesen.
Hinter dem Regenwaldhaus stand der Bagger, die Schaufel in eine Grube gesenkt. Die Arbeiter hatten sich auf eine Bank gesetzt und rauchten. Oliver Brackhausen kam Fischer entgegen.
»Gut, dass du da bist. Schau mal.« Er führte Fischer zu der Grube, zeigte hinein. Der Blindgänger war unter Sand und Erde gerade zu erahnen.
»Viel Dreck.« Fischer konnte auf den ersten Blick nichts entdecken, das auf eine Leiche hinwies.
»Da rechts, neben der Bombe.«
Der Hauptkommissar ging in die Hocke, starrte in das Loch. Mit viel Mühe und einiger Fantasie konnte er einen Umriss ausmachen. »Meinst du den Wulst da?«
Brackhausen nickte. »Schau mal ein Stück weiter runter. Von da vorne ist es besser zu erkennen.«
Er führte Fischer auf die andere Seite. »Sieh mal, das ist doch ein Stiefel.«
»Sieht tatsächlich so aus.« Wieder ging Fischer in die Hocke. »Anscheinend hat da jemand etwas in eine Plane eingewickelt und in das Loch geschmissen.«
»Etwas?«
»Oliver.« Fischer richtete sich auf und klopfte sich den Staub von der Hose. »Es können Kleider sein oder es sind nur die Plane und Stiefel. Es kann auch ein toter Mensch sein. Erfahren werden wir das erst, wenn die Bombe entschärft und beseitigt worden ist.«
»Besteht nicht Handlungsbedarf bei Verdacht auf einen Mord?«
»Immer langsam. Wer sagt dir denn, dass das ein Mord war? Dieser Stiefel und die Plane liegen schon lange hier. Vermutlich seit dem Krieg. Da eilt gar nichts.«
»Hallo.« Jemand trat auf die beiden zu. »Ich bin Werner Schneider vom KMRD. Mein Kollege Dieter Völler kommt auch noch. Was habt ihr denn hier Schönes?«
»Einen Blindgänger.« Fischer wies zur Grube. »Jürgen Fischer, KK 11.«
»KK 11?«
»Ja. Mein Kollege vermutet, eine Leiche neben der Bombe gefunden zu haben. Dort, die Plane.«
»Plane?« Schneider schüttelte den Kopf. »Na, mit viel Fantasie erkenne ich es. Den Stiefel, ja. Ist schon älter, vermutlich aus dem Krieg. Nicht selten wurden Bombenkrater mit Müll aufgefüllt. Oder wenn etwas reingefallen war, hat man es tunlichst vermieden, es wieder rauszuholen. Zu gefährlich. Heute immer noch.« Er schaute sich um. »Wie ist die Bebauung hier? Ist das Ordnungsamt schon informiert? Viele Anwohner?«
»Ja. Und da hinten ist eine Grundschule.«
»Auch das noch. Erst mal muss ein Erdwall errichtet werden. Gut einen halben Meter hoch, rundherum.« Schneider drehte sich um. »Das Haus ist natürlich klasse. Glas. Herrje, sollte etwas schiefgehen, ist es hin. Was ist da drin?«
»Das ist unser Regenwaldhaus. Auf einer Fläche von gut 1100 Quadratmetern leben hier etwa 350 Tier- und Pflanzenarten in einem Ökosystem. Das Haus ist gut 17 Meter hoch und hat eine Konstruktion aus Holz und Plexiglas.« Der Mitarbeiter des Zoos rasselte die Informationen herunter.
»350 Tierarten?« Schneider schüttelte den Kopf. »Wie lange brauchen Sie, um das Haus zu räumen?«
»Räumen? Das können wir nicht räumen. Zum größten Teil sind es Insekten. Blattschneiderameisen