Krimi Paket 10 Thriller: Mord ist kein Vergnügen. Pete HackettЧитать онлайн книгу.
sagte Bount. „Es war eines. Der Arzt vermutete es jedenfalls. Wegen der erweiterten Pupillen. Es ist nicht auszuschließen, dass der Mann vergiftet wurde.“
„Oh“, machte June.
„Genaueres wird die Obduktion ergeben“, sagte Bount. „Der Mann muss gewusst haben, was ihn erwartete. Ihn muss schlagartig die Erkenntnis überfallen haben, wem er den Schmerz in seinen Eingeweiden verdankt. Er nannte auch den Namen. Jill.“
„Hast du das zu Protokoll gegeben?“
„Selbstverständlich“, sagte Bount. „Aber natürlich habe ich mich jeder Wertung enthalten. Der Mann hat diese Jill nicht angeklagt, nicht direkt jedenfalls. Er hat nur die Frage nach dem ,Warum‘ gestellt.“
„War es eine Schuldfrage?“; wollte Wilkie wissen.
„Ich sehe das so, aber auch das habe ich nicht gesagt. Gefühle gehören nicht in ein Protokoll.“
„Du sprichst immerzu von dem ,Mann“‘, meinte June. „Wie heißt er denn eigentlich?“
„Keine Ahnung. Er hatte keine Papiere bei sich, nichts, was seine Identifizierung ermöglicht haben würde“, sagte Bount. „Komisch, nicht wahr?“
„Kann ich nicht finden“, meinte Wilkie. „Ich vergesse oft genug meine Papiere, oder die Brieftasche. Bei dem, was ich hier verdiene“, fügte er mit mildem Sarkasmus hinzu, „kann ich sie auch ruhig mal verlieren, ohne dabei ein armer Mann zu werden.“
„Deine beklagenswerte Not bricht mir das Herz“, sagte Bount. Sein Gesicht verriet, dass er in Gedanken noch bei dem war, was er in der Subwaystation erlebt hatte. „Es wird morgen in den Zeitungen stehen“, sagte er.
„Auf der letzten Seite“, vermutete June. „Für die Schlagzeilen gibt es nichts her.“
„Stimmt, aber mein Name wird auftauchen. Ich glaubte dem Mann helfen zu müssen, als ich aus dem anfahrbereiten Zug sprang. Ich meinte ihn von einem Selbstmord abhalten zu können, ohne zu ahnen, dass seine Lebensuhr schon abgelaufen war. Ich schulde ihm etwas. Ich weiß nicht genau, was, aber ich muss einfach diese Jill finden und herausbekommen, ob sie die Mörderin war.“
„Noch steht keineswegs fest, dass es sich um ein Verbrechen handelt. Es kann eine ganz gewöhnliche Lebensmittelvergiftung gewesen sein“, sagte Wilkie.
„Es war Mord“, sagte Bount. „Ich warte nur noch auf die offizielle Bestätigung meines Verdachtes, dann werde ich aktiv.“
„In wessen Auftrag?“, fragte June.
„Im Auftrag meines Gewissens. Wie findest du das?“
„Ich bewundere dein Gewissen. Ich bewundere alles an dir“, spottete June, „aber noch mehr würde ich dich bewundern, wenn du dich um Aufträge kümmertest, die das nötige Kleingeld zum Bestreiten der Bürokosten und unserer Gehälter sichern.“
„Das ist ja großartig“, meinte Bount. Habt ihr euch etwa abgesprochen, um mir klarzumachen, dass es ohne Gehaltserhöhungen nicht weiter geht?“
Er wartete die Antwort nicht ab, marschierte in sein Privatbüro, ließ sich in den Drehsessel an seinem Schreibtisch fallen und wählte die Nummer seines Freundes Captain Toby Rogers.
Rogers war Chef der Mordkommission Manhattan, Bount und Toby waren Duzfreunde, aber der häufige Konkurrenzcharakter ihrer Arbeit gestaltete das Verhältnis zuweilen problematisch.
„Hast du schon was von dem Toten aus der U-Bahn gehört?“, fragte Bount.
„Der Bericht ist mir soeben auf den Schreibtisch geflattert“, erwiderte Toby Rogers. „Kann in dieser verdammten Stadt denn nichts passieren, ohne dass auf diese oder jene Weise der Name Bount Reiniger darin vorkommt?“
Bount grinste. „Du kannst dich nicht beklagen. Ich habe es wiederholt verstanden, deiner Position Glanz und Würde zu verleihen.“
„Du verfährst nach dem Prinzip, dass eine Hand die andere wäscht“, knurrte der Captain. „Ab und zu lässt du einige Brosamen aus deiner Ermittlungstätigkeit für mich abfallen, weil du genau weißt, wie sehr dir das hilft, wenn du selbst mal Unterstützung brauchst.“
„Was ist mit dem Mann?“
„Das Obduktionsergebnis liegt noch nicht vor. Ich rufe dich an, sobald ich Näheres weiß“, sagte Toby Rogers. Bount legte auf. Er starrte aus dem Fenster auf den grauen, verwaschenen Himmel, der sich über New York spannte und fragte sich, was in diesem Moment wohl jene Jill denken, tun oder sagen mochte, die im Leben und Sterben des Unbekannten eine so große und entscheidende Rolle gespielt hatte.
5
„Dissinger hat einen Kollaps erlitten“, hörte Oliver Carr am nächsten Morgen im Büro. „Sie haben ihn ins Krankenhaus eingeliefert. Niemand weiß etwas Genaueres.“
Oliver Carr blickte nicht von seiner Arbeit hoch. Das Gift war absolut tödlich, das wusste er. Es wunderte ihn nicht, dass man zögerte, Dissingers Ende publik werden zu lassen.
Selbstmord war eine delikate Angelegenheit. Offenbar scheute die Firmenleitung davor zurück, ihn an die große Glocke zu hängen, oder sie suchte nach einer Formulierung, um das Geschehen nicht allzu schockierend wirken zu lassen. Immerhin hatte Dissinger zur Firmenspitze gehört und die Geldgeschäfte abgewickelt.
Carr hatte sich am Vorabend weder mit Jill getroffen, noch mit ihr telefoniert. Das entsprach einer Absprache. Es war klar, dass sie von nun an vorsichtig sein mussten. Noch stand keineswegs fest, ob die Polizei bereit war, die Selbstmordtheorie zu akzeptieren.
Nach Feierabend fuhr Oliver Carr nach Hause. Er bewohnte ein Anderthalbzimmer-Apartment in der Turnbuli Avenue, Brooklyn.
Er ging geradewegs in die Küche, öffnete den Kühlschrank und holte sich eine Dose Bier heraus. Er leerte sie im Stehen. „Schmeckt besser als Champagner“, sagte er schmatzend und wischte sich mit dem Handrücken die Lippen ab.
Er empfand keine Reue, sondern nur ein Gefühl grimmigen Triumphes. Das überraschte ihn ein wenig, aber gleichzeitig stimmte es ihn froh. Es machte deutlich, dass er das Zeug hatte, auch mit größeren Problemen fertigzuwerden. Er war ein Mann mit guten Nerven.
Er erschrak, als er Schritte hörte.
Schritte in seiner Wohnung.
Die Tür öffnete sich. In ihrem Rahmen stand der Mann, den Oliver Carr für tot gehalten hatte.
6
Lyonel Dissinger trug seinen Nadelstreifenanzug. Es gab in seinem Äußeren nur zwei Veränderungen. Er hatte die weiße Nelke im Revers gegen eine rote vertauscht, und in seinen Augen war ein Ausdruck, den Oliver Carr zum ersten Mal darin bemerkte.
Er enthielt tödlichen Hass, obwohl der Mund des Besuchers ein breites Lächeln zeigte.
„Hallo, Killer“, sagte Dissinger.
Oliver Carr, der gerade noch geglaubt hatte, sich seiner guten Nerven rühmen zu dürfen, ließ die Bierdose fallen. In seinem Magen krampfte sich etwas zusammen. Er hatte Mühe, zu atmen.
Dissinger lehnte sich gegen den Türrahmen. „Du hast deine Gewohnheiten beibehalten“, spottete Dissinger. „Ich weiß es von Jill, Jedes mal, wenn du vom Büro nach Hause kommst, trinkst du ein Bier.“
Oliver Carr griff sich an den Hals. Er musste mit einem plötzlichen Schweißausbruch fert werden. Was war geschehen? Wie kam es, dass Dissinger noch lebte, und wie hatte er es geschafft, in die Wohnung zu gelangen?
„Wir haben die Dose präpariert“, sagte Dissinger mit einem Gesichtsausdruck grimmiger Zufriedenheit. „Ein paar Dosen sind beim Probieren draufgegangen, aber dann hatten wir die Kurve raus.“
Oliver Carr begann zu zittern. Er konnte sich nicht erinnern, jemals von