Omnipotens. Thorsten KleinЧитать онлайн книгу.
in seinem Bett auf. Mühsam, wie Wissarew mit innerer Genugtuung feststellte. „Gravierende politische Fehler? Seine Armeen sind siegreich, seine militärischen Fähigkeiten werden von niemandem angezweifelt. Ich glaube, abgesehen vom General Ehrlichthausen, gibt es keinen General auf Psyche, der Michael Arx das Wasser reichen könnte. Fehler? Oder ist es eher Neid?“
„Ich, neidisch? Kommunisten sind nicht neidisch, Genosse Bolschoi. Mir gefällt nur nicht, wie der Genosse Arx unsere revolutionären Errungenschaften mit Füßen tritt.“
„Er tritt sie nicht mit Füßen, er verteidigt sie. Erst wollte er nicht, aber ich habe ihn überzeugt.“
„Du hast ihn überzeugt, weiterzukämpfen?“
„Überrascht? Wusstest du, dass er uns für immer verlassen wollte?“, fragte Bolschoi.
Natürlich wusste Wissarew das. Er hatte gefeiert, als Tscherkassow ihm diese Nachricht brachte. Ohne Michael Arx wäre der Griff nach der Macht viel einfacher gewesen.
War wieder mal typisch für Bolschoi, ihm diese Feier zu versauen. Der sah aus dem Fenster und bekam nicht mit, welche Gedanken Wissarews Gesicht widerspiegelte.
Er hing seinen eigenen nach. „Ohne Michael Arx hätten wir den Krieg gegen die Weißen verloren. Trotz Mobilisierung der Massen. Er hat aus den Roten Garden eine Rote Armee, eine Truppe echter Revolutionäre gemacht. Keine Plünderungen mehr, keine vergewaltigten Frauen. So sollte Krieg sein.“
Keine Vergewaltigungen? Keine Plünderungen? Wissarew konnte sich einen Krieg ohne solche Zutaten nicht vorstellen. In Georgien hatten sie geplündert und Frauen vergewaltigt. Warum auch nicht? Es stand siegreichen Soldaten einfach zu.
Das Land nannte sich nun trotzdem Sozialistische Georgische Sowjetrepublik. Alle, die dagegen waren, hatte er aussortieren lassen und in sibirische Gulags gesperrt. Das brachte wahre Ordnung. Nicht Michaels Neuerungen.
„Er hat aus den Roten Garden wieder eine echte revolutionäre Truppe gemacht?“, stänkerte Wissarew deshalb. „Wahrscheinlich, weil er wieder den Generalsrang eingeführt hat und Leute erschießen lässt, die gegen die Disziplin verstoßen.“
„Richtig so“, stimmte Bolschoi zu. „Kann man denn anders ein Volk befreien? Indem man es ausplündert, vergewaltigt und einsperrt bestimmt nicht.“
„Man befreit es auch nicht, indem man zaristische Offiziere zu Befehlshabern einer sozialistischen Armee ernennt.“
„Wenn sie fähig sind und uns treu dienen. Warum nicht? Außerdem wurde mir zugetragen, wir hätten deren Familien in Sippenhaft genommen, damit diese Offiziere nicht vergessen, welchem Herrn sie dienen.“
„Das mit der Sippenhaft war meine Idee. Sonst hätte ich nie zugestimmt, diesen Offizieren in unserer Armee eine Befehlsgewalt zu übertragen. Michael hätte nur dem Wort dieser Herren vertraut.“
„Der alte russische Adel ist stolz auf seinen Ehrbegriff.“
„Dass du als Adliger deine Adelskollegen in Schutz nimmst, war so was von klar.“
„Unterbrich mich nicht! Besonders nicht mit solchen Vorwürfen! Noch führe ich unsere Partei. Noch stehen dort draußen mir sehr ergebene Genossen, die dich sofort festnehmen und ins Gefängnis stecken, wenn ich es ihnen befehle. Hast du das verstanden, Genosse Wissarew?“
„Klar und deutlich, Wladimir Iljitsch. Was aber, wenn dich deine Krankheiten zwingen, abzudanken? Oder wenn du stirbst? Es muss klare Nachfolgeregelungen geben. Sonst zerbricht die Partei nach deinem Tod und mit ihr die Revolution.“
Bolschoi musterte seinen alten Freund eine ganze Weile. Er schwieg dabei. Da auch seine Miene nichts ausdrückte, wurde es Wissarew langsam unbehaglich. Die Drohung mit den Wachen und dem Festnehmen hatte er nicht vergessen.
Er hatte einen Verdacht. Einen, den er aussprechen konnte, ohne seine Sicherheit zu gefährden: „Du hast dich mit ihm versöhnt, nicht wahr? Er hat dich auf seine Seite gezogen. Ich habe nicht geglaubt, dass er dir die Ermordung der Zarenfamilie so schnell verzeiht.“
„Er hat eingesehen, dass dies notwendig war.“ Bolschoi sprach so leise, dass Wissarew aufmerksam zuhören musste. Genau das schien der alte Revolutionär damit zu beabsichtigen.
Also lauschte Wissarew sehr aufmerksam.
„Michael hatte Angst, die Revolution würde im Chaos und der Unfähigkeit seiner Führer versinken. Eine berechtigte Angst, will mir scheinen. Wir waren dafür, den Zaren zu stürzen. Aber über das Danach hatten wir nur sehr unkonkrete und voneinander abweichende Vorstellungen. Seine sind konkret, durchdacht und nachvollziehbar. Ich habe über sein umfangreiches politisches und ökonomisches Wissen gestaunt. Er scheint alles gelesen zu haben, was je irgendwann und irgendwo über Revolutionen, Politik und Ökonomie geschrieben wurde. Nicht nur gelesen, er hat es auch verstanden. In den meisten Punkten besser als ich.“
„Du meinst, er wäre der beste Nachfolger für dich, den du finden kannst? Besser als ich? Du irrst. Ihm fehlt das Entscheidende.“
„Das Entscheidende? Was soll das sein?“
„Macht muss man unbedingt wollen. Und man muss bereit sein, alles dafür zu tun, sie sich zu erhalten. Das kannst du nicht und er erstrecht nicht.“
„Aber du? Du glaubst, du kannst das?“
Ort: Psyche, Bad Döttelbach, Schwarzwald
„Ich kann das nicht glauben. Er hat hier gelegen. Vor zwei Minuten noch. Ich habe ihn gespürt, bevor ich die RaumZeit verließ. Nun ist er weg“, tobte il caskar.
„Er war doch tot“, rätselte auch Takhtusho. „Tote hauen nicht ab. Warum haben sie ihn erschossen?“
„Weil er für sie genauso gefährlich war, wie für uns“, platzte il caskar in seiner Wut heraus, was er wohl besser verschwiegen hätte.
Denn Takhtusho erschrak. „Sie sollten ihn töten?“, fragte er seinen Boss. „Du hast das von ihnen verlangt?“
„Unsinn“, log il caskar. „Er war zur falschen Zeit am falschen Ort. An solchen Fehlern stirbt man manchmal. Es ist wie ein Zweikampf.“
„Mord ist kein Zweikampf“, widersprach Takhtusho. „Mord ist verboten. Mord ist was für Feiglinge. Ich bin kein Feigling.“
„Willst du etwa behaupten, ich sei ein Feigling?“, schrie il caskar wütend. „Es war eine Auseinandersetzung zwischen Psychanern. Wenn der Kriminalrat Renatus dabei stirbt, kann man uns keine Schuld geben.“
„Aber hier liegt nur die Leiche des Ministers. Wir müssen uns beeilen. Die Mordkommission wird bald da sein“, ermahnte Bcoto. „Sakania wird unsere Spuren erkennen und uns verfolgen lassen, wenn wir nicht vorsichtig sind.“
„Keine Angst, ich werde unsere Spuren persönlich beseitigen“, antwortete il caskar hochmütig. „Vor Peta Avatars kleiner Tochter habe ich keine Angst. Mich kotzt nur an, dass mein Plan schiefgegangen ist.“
Bcoto hatte ihren Boss lange nicht mehr so wütend gesehen. Nach seinem großen Sieg, der Ermordung von Alexandra Al Kahira und Richard Kummer, war er regelrecht aufgeblüht. Die politische Situation auf Psyche spielte ihm in die Hand. Hier konnte er endlich das verwirklichen, was ihm auf Terra Nostra nie gelungen war.
Also zerfetzte er Imperien und schuf neue. Er verfeindete bisher befreundete Völker, um andererseits Gegner, die seit Jahrhunderten Feinde waren, mit Freundschaft zu beglücken. Und keiner trat ihm in den Weg. Kein Psychaner, keiner der Götter von der Terra Nostra. Nicht einmal eine Einmischung des Hohen Rates in die Taten il caskars war zu spüren. Dafür spürte Bcoto eine Spur von Catarina Velare. Eine Spur, die il caskar niemals wahrnehmen würde. Den Duft eines Parfüms. Damit erklärte sich für Bcoto das unerwartete Verschwinden des Kriminalrates.
Für il caskar war das immer noch ein Rätsel.
„Warum ist er dir so wichtig?“, versuchte Bcoto mit einer Frage zu klären, was ihr ein Rätsel war.
„Ich habe berechnet,