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Die verborgene Kriminalität: Straftaten im Dunkelfeld. Volker MariakЧитать онлайн книгу.

Die verborgene Kriminalität: Straftaten im Dunkelfeld - Volker Mariak


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      Eine weitere Stimme aus dem Kreis US-amerikanischer Fachwissenschaftler sei hier gehört. Die erfahrene Kriminologin Prof. Karel Kurst-Swanger (Oswego State University of New York) betont, mit Blick auf vielfältig vorliegende Forschungsresultate, ebenfalls den Zus ammenhang von häuslicher Gewalt und Tierquälerei / Tiertötung:

      „However, the evidence is clear that there is a strong connection that should not be minimized. When humans are vulnerable to abuse and neglect, animals are likely to be as well. When animals are identified as being abused or neglected, it is feasible that humans may also be at risk of victimization. The risk within abusive families appears to be of greatest concern. Yet, little has been done to document the extent, on a large-scale basis, of the conditions in which animal mistreatment exists within abusive family environments. Animal welfare officials have long known that many victimized animals live with problematic families. At the same time, child and adult protective caseworkers and domestic violence advocates have observed or heard reports from their clients that animals have been mistreated. Most states have no protocols or formal policy to address the cross-system issues inherent when both animals and humans are at risk of abuse.”

      (Kurst-Swanger, Karel: „Animal abuse: The link to family violence”; in: Jackson, Nicky Ali [Ed.]: „Encyclopedia of Domestic Violence”, Routledge, New York und London, 2007, S. 26)

      Mittlerweile wird ebenfalls in der deutschsprachigen Forschung – wenn auch sehr verhalten - auf die wichtige und (primär von US-Forschern) belegte Indikatorfunktion der Gewalt gegen Tiere hingewiesen. So findet sich in der das weite und diffizile Feld familiärer Gewalt umfassend abdeckenden Forschungsübersicht von Lamnek u. a. immerhin der Hinweis, dass Formen psychischer Gewalt auch Drohungen und Nötigungen beinhalten, die sich auf mögliche Gewalt gegen Tiere beziehen:

      „Weitere Formen psychischer Gewalt, die weit weniger auf Verständnis stoßen als der kurzfristige Liebesentzug, sind Drohungen, Nötigungen und Einschüchterungen. Auch die Androhung, Dritte zu verletzen (Verwandte, Haustiere) wird eingesetzt, um den eigenen Willen durchzusetzen.“ (Lamnek u. a., 2012, S. 115)

      Mit Blick auf den „Klassiker“ physische Gewalt stellen Lamnek u. a. klar, dass dazu neben sexueller Gewalt wie etwa der Vergewaltigung auch die Gewalt gegen „Sachen“ zu rechnen ist, die für den Geschädigten einen Wert haben. In der Aufzählung heißt es dann: „… z. B. Kleidungsstücke, Andenken, Spielzeug oder auch Haustiere…“ (Lamnek u. a., 2012, S. 9. Hervorhebung durch V. Mariak). Am Rande interessant ist hier die Benennung der Haustiere als „Sachen“, wobei Lamnek u. a. dieses Wort immerhin in Anführungszeichen setzen und derart als bedenkenswert hervorheben.

      Man folgt hier wohl der immer noch aktuellen deutschen Rechtslage, nach der Tiere eben als „Sachen“ definiert werden (z. B. StGB § 242 (Diebstahl: Strafrechtlicher Begriff der Sache) oder rechtlich als solche zu behandeln sind (BGB § 90a Satz 3). Damit resultiert auch im Fall der ärgsten Tierquälerei – juristisch-logisch korrekt – nur eine Beschädigung „lebender“ Sachen (siehe dazu auch: Mariak, 2019, S.32 ff.).

      Insgesamt bleibt jedoch als positiv festzuhalten: Auch in deutschsprachiger Forschung (Deutschland und Österreich) wird nunmehr anerkannt, dass angedrohte oder ausgeführte Tierquälerei und Tiertötung (psychische oder physische Gewalt) in das Spektrum der bestimmenden Faktoren „häuslicher Gewalt“ zu zählen ist. Nun rechtfertigt sich Sozialforschung nicht als Selbstzweck: Sie ist grundsätzlich dem ethischen, soziokulturellen und auch (straf-)rechtlichen Nutzen der Gesellschaft und ihrer Teilgemeinschaften verpflichtet. Das bedeutet im konkreten Fall: Zielsetzung ist die Minderung innerfamiliärer Gewalt, die – zumindest anzustrebende – körperliche und geistige Unversehrtheit der Familienmitglieder. Der Indikator „Gewalt gegen Tiere“ wäre folglich in der Präventionsarbeit und praktischen Familienhilfe vor Ort einsetzbar. Polizeiliche Behörden und die Judikative könnten mit dieser Zusatzinformation ihre Eingriffe durch das Früherkennen häuslicher Gewalt effektiver gestalten und fatale Eskalationen verhindern.

      Um hier nicht falsch verstanden zu werden: Selbstverständlich ist Tierschutz keinesfalls speziesistisch zu begrenzen auf ein soziales Vehikel zur Verminderung der Gewalt im rein zwischenmenschlichen Bereich. Wir wären dann wieder bei Immanuel Kant und seiner These: eine Verrohung des Menschen durch Tierquälerei führe ebenfalls zu Unbarmherzigkeit und Brutalität gegenüber seinen Mitmenschen. Die gängige Interpretation der Kantischen Tierethik unterstellt, dass diese Aussage nicht etwa das Leid und Unrecht anprangert, welches betroffenen Tieren widerfährt. Vielmehr handle nach dieser Tugendlehre Kants der Tierquäler nur verwerflich, weil er seine Pflicht gegen sich selbst und seine Mitmenschen verletzt: Indem er Tiere quäle, mindere er zugleich seine sozial wertvolle Fähigkeit zur Empathie gegenüber der eigenen Spezies (URL Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften [drze], Kapitel III.: „Kernfragen der ethischen Diskussion. Der moralische Status von Tieren und Menschen.“, Abschnitt: „1. Tiere haben keinen genuinen moralischen Status: sie sind nicht um ihrer selbst willen schützenswert“. Siehe dazu auch: Mariak, 2019, S. 14 f.

      Zur Kantischen Tierethik siehe: Kant, Immanuel: „Die Metaphysik der Sitten“, Teil: „Episodischer Abschnitt. Von der Amphibolie der moralischen Reflexionsbegriffe: das, was Pflicht des Menschen gegen sich selbst ist, für Pflicht gegen andere zu halten“, § 17, Sammlung Hofenberg, vollständige Neuausgabe mit einer Biographie des Autors, Hrsg.: Karl-Maria Guth, 2. Auflage, Verlag: Contumax, Berlin, 2016. S. 224 f.)

      Die Problematik dieser philosophisch üblichen Interpretation wurde in früherem Text bereits erörtert. Sie soll daher hier nicht weiter vertieft werden (siehe dazu: Mariak, 2019, S. 14 ff.). Es ist jedoch zu betonen, dass aus kriminologisch-pragmatischer Sicht Tierquälerei bzw. Tiertötung oftmals das „Probierfeld“ für die Gewalt gegen Menschen darstellt. Der Zusammenhang zwischen beiderlei Gewaltformen wurde, wie erwähnt, wissenschaftlich ausführlich belegt. So gesehen ist Tierschutz ebenfalls Menschenschutz: Die Beachtung des Indikators „Gewalt gegen Tiere“ bzw. „Tierquälerei / Tiertötung“ kann in gefährdeten Familien deutliche Warnzeichen für die Wahrscheinlichkeit weiterer Übergriffe aufzeigen. Tierschutz und Gewaltprävention als Primärziel dieser speziellen, familienbezogenen Sozialforschung? Das klingt zunächst einmal logisch und ethisch erstrebenswert, birgt aber soziologischen bzw. kriminologischen Sprengstoff und bedarf weiterer Vermittlungsarbeit in Forschung und Praxis.

      Eine abschließende Bemerkung. Es heißt durchaus zu Recht: „Wer Tiere quält, der quält letztlich auch Menschen" bzw., er hätte keine Skrupel, die Gewaltspirale eine Drehung weiter zu treiben. Aber ist er damit automatisch auch ein Psychopath? In jedem der folgenden Fallbeispiele beging der Täter schlimmste Gewalt gegen Mensch und Tier und wurde von forensischen Experten prompt als Psychopath bezeichnet. Doch diese Definition hat ihre Tücken und scheint immer dort Anwendung zu finden, wo psychiatrische Gutachter mit ihrem Latein am Ende sind. Um etwas Licht in dieses wissenschaftliche „Dunkelfeld" zu bringen, sind zentrale Fragen zu stellen: Welchen Erklärungswert hat die oftmalige, gern genutzte Psychopathie-Zuschreibung mit Blick auf (häusliche) Gewalt? Wird durch dieses Konzept das Gewalthandeln verständlicher? Oder handelt es sich nur um eine Leerformel, einen praktischen Sammelbegriff ohne Krankheitswert? Und was genau ist ein Psychopath, wie wird er - wissenschaftlich fundiert - von „normalen“ Mitmenschen abgegrenzt?

      Natürlich lässt sich hier keine erschöpfende Antwort geben, aber es soll doch versucht werden, dieses wichtige Erklärungsmuster kritisch zu hinterfragen, um ein erstes, bescheidenes Meinungsbild zu ermöglichen.

      1. 4 Ein kurzes Wort zu Definitionsproblematik & Zitierweise

      a)

      Am Beginn jeder soliden wissenschaftlichen Studie steht die Definition des Forschungsgegenstandes und der relevanten Variablen. In diesem Fall ist die inhaltlich und logisch schlüssige Erklärung dessen, was man unter „häuslicher bzw. familialer Gewalt“ und der „Gewalt gegen Tiere“ versteht, natürlich ein Muss. Andernfalls redet man wie der Blinde von der Farbe und öffnet Missverständnissen und Analysefehlern Tür und Tor. Nur: wie lassen sich diese Begriffe angemessen fassen? Leider ist eine kurze Darlegung wissenschaftlicher Definitionsmöglichkeiten unvermeidbar, wenn die Verdeutlichung dieser Problematik ansteht. Um es mit einem Klassiker der empirischen Sozialforschung


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