Ich kann keinem Menschen mehr vertrauen: Dr. Staffner packt aus 15. Wolf G. RahnЧитать онлайн книгу.
seien alles Vorurteile, versicherte er. Bei seinen Kumpels fände er echtes Zusammengehörigkeitsgefühl. Da stünde einer für den anderen ein. Wie ich darauf käme, dass es Schläger seien?
Wenn ich ehrlich war, hatte ich tatsächlich noch keinen dieser Leute, denen manchmal Schlimmes nachgesagt wurde, persönlich kennengelernt. Vielleicht tat ich ihnen wirklich Unrecht. Eine Glatze machte schließlich keinen Kriminellen.
Trotzdem spürte ich die Veränderung, die Jörg durchmachte. Eine Veränderung, die mir nicht gefiel. Immer häufiger erhielt ich von dem Jungen eine freche Antwort, immer seltener stimmten wir in unseren Meinungen überein. Oft genug beendete er den Streit mit dem Hinweis, kein Kind mehr zu sein und es satt zu haben, ewig herumkommandiert zu werden.
Ich sah ihm manches nach. Ihm fehlte eben der Vater, der die Funktion eines guten, verlässlichen Freundes hätte übernehmen können. Irgendwann würde Jörg wieder zur Einsicht gelangen.
Doch sein Benehmen wurde immer unerträglicher. Gelegentlich provozierte er förmlich eine Auseinandersetzung. Eines Tages gipfelte sie in seinem Vorwurf, unehelich zu sein. Ich hätte es gerade nötig, ihm Vorhaltungen zu machen.
Da rutschte mir die Hand aus. Ich gab ihm in meiner Erregung eine Ohrfeige, die mir sofort leidtat, obwohl ich die Folgen nicht voraussehen konnte.
Das solle ich nicht nochmal wagen, schrie Jörg mich an, bevor er zuschlug. Immer wieder. Seine Fäuste trafen mein Gesicht und meine Brust. Verzweifelt versuchte ich, ihn abzuwehren.
Als ich mich auf dem Fußboden krümmte, trat er mit seinen Stiefeln nach mir. Er war wie von Sinnen, und wären nicht Nachbarn aufmerksam geworden und eingeschritten, hätte es wahrscheinlich ein schlimmes Ende gegeben.
Man riet mir, Jörg ins Heim zu geben. Davon wollte ich nichts wissen. Nachdem ich den Schock leidlich überwunden hatte, war ich bereit, meinem Sohn, den ich doch über alles liebte, seine Entgleisung zu verzeihen. Wichtig war nur, dass er sich von seinen sogenannten Freunden trennte, die offensichtlich einen verheerenden Einfluss auf ihn ausübten.
Jörg weigerte sich entschieden. In der Clique würde man ihn wenigstens verstehen und akzeptieren. Das müsse ich eben auch tun. Dann würden wir schon miteinander auskommen.
Auskommen! Von Zuneigung war keine Rede mehr. Jörg glaubte, endlich den richtigen Weg eingeschlagen zu haben, um sich als Mann zu beweisen.
Die Spuren seiner Misshandlung sind in meinem Gesicht noch deutlich zu erkennen. Nur die Narben meiner Seele bleiben verborgen. Ich habe Angst. Angst vor meinem Sohn, dem ich vor 16 Jahren unbedingt das Leben schenken wollte. Ich bin sicher, irgendwann wird er erneut zuschlagen.
Ein hässlicher Verdacht hätte fast unsere Freundschaft zerstört
Dass unser Wohnungsnachbar Karl-Heinz Untersberger auf einen Sprung zu mir herüberkam, um sich ein Päckchen Vanillezucker auszuleihen, war nichts Ungewöhnliches. Dass er mich plötzlich in seine Arme riss und mich zu küssen versuchte, kam dagegen so unerwartet, dass ich im ersten Augenblick unfähig war, mich zur Wehr zu setzen. Das wertete er offenbar als Einverständnis, denn er wurde nun noch handgreiflicher.
Empört stieß ich ihn zurück und fragte, nach Luft schnappend, was denn, um alles in der Welt, in ihn gefahren sei.
Er grinste zuerst verlegen, dann schon dreister. Ich solle mich doch nicht so anstellen. Seine Frau Annemarie läge nun schon seit drei Wochen im Krankenhaus, und mein Bernhard käme auch erst nächste Woche von seiner Dienstreise zurück. Was läge da also näher...?
Entrüstet wies ich ihm die Tür und war noch Tage danach völlig durcheinander. Wir waren seit Jahren mit den Untersbergers befreundet. Nie wäre ich auf eine solche Idee gekommen.
Nach reiflichem Überlegen hielt ich es für das Beste, gegenüber meinem Mann den Vorfall zu verschweigen. Auch Karl-Heinz' Frau sollte besser nichts davon erfahren. Es hätte ihr zweifellos sehr wehgetan.
Als Bernhard vier Tage später aus Frankreich zurückkam, gab ich mir Mühe, ihn nichts merken zu lassen. Er wunderte sich jedoch, warum uns Karl-Heinz offensichtlich aus dem Weg ging. Er befürchtete ernstlich, ich könnte versäumt haben, Annemarie in der Klinik zu besuchen. Warum sonst sollte ihr Mann verschnupft sein?
Natürlich hatte ich unsere Nachbarin besucht. Seit dem peinlichen Zwischenfall allerdings noch nicht wieder. Ich war mir nicht sicher, ob ich der Ahnungslosen unbefangen unter die Augen treten könnte.
Das holten wir noch am gleichen Tag nach. Als Annemarie uns sah, drehte sie sich brüsk um und verlangte von uns, das Zimmer zu verlassen.
Wir waren beide bestürzt, doch während sich Bernhard dieses Verhalten gar nicht erklären konnte, vermutete ich, dass Karl-Heinz vorsichtshalber hässliche Lügen über mich verbreitet hatte. Wahrscheinlich glaubte sie nun, ich habe ihren Mann verführen wollen.
Notgedrungen erzählte ich Bernhard, was während seiner Abwesenheit geschehen war.
Außer sich suchte er Karl-Heinz auf, um ihn zur Rede zu stellen. Als er zurückkam, war sein Gesicht bleich und abweisend. Das hätte ich niemals tun dürfen, hielt er mir verärgert vor.
Ich wusste nicht, was er meinte. War es Karl-Heinz etwa auch ihm gegenüber gelungen, die Wahrheit zu seinen Gunsten zu verdrehen?
Bernhard ließ mir gar keine Zeit, mich zu rechtfertigen. Zu erregt war er. Annemarie habe sich von ihrer schweren Operation noch längst nicht erholt, erinnerte er mich, und da schickte ich ihr diesen gemeinen Brief.
Ich fiel aus allen Wolken und erfuhr, dass Annemarie einen anonymen Brief mit der Mitteilung erhalten hatte, ihr Mann sei hinter anderen Frauen her. Sogar von versuchter Vergewaltigung war die Rede.
Ich versicherte, mit diesem Schreiben nichts zu tun zu haben und dass ja auch alles nicht so schlimm gewesen sei. Karl-Heinz habe eben leider für einen Moment die Kontrolle über sich verloren. Sonst sei nichts passiert, und ich wolle das Ganze einfach vergessen.
Bernhard schwieg und griff nach halbjähriger Entwöhnung wieder zur Zigarette. Ich spürte seine Betroffenheit.
Die folgenden Tage waren schrecklich. Wenn ich Karl-Heinz traf, warf er mir einen verächtlichen Blick zu. Annemarie wollte mich nicht sehen. Doch am schlimmsten empfand ich, dass sich auch unsere anderen Bekannten von uns zurückzogen.
Plötzlich wurden wir zu Aussätzigen. Man lastete mir einen Brief an, den ich niemals geschrieben hatte. Keiner glaubte meinen Beteuerungen. Für alle war ich das Weibstück, das erst einen Mann verrückt gemacht hatte, um sich dann für eine Zurückweisung auf schmutzigste Weise zu rächen.
Ich traute mich kaum noch in ein Geschäft in der näheren Umgebung. Überall ließ man mich die Geringschätzung spüren. Ich nahm weite Wege in Kauf, um das Spießrutenlaufen in Grenzen zu halten.
Oft lag ich weinend im Bett. Wenn wenigstens Bernhard zu mir halten würde!
Eines Nachts kroch seine Hand zu mir herüber und streichelte meinen Arm. Ich solle nicht so verzweifelt sein, beschwor er mich. Die Leute glaubten nun einmal lieber hässliche Gerüchte als die langweilige Wahrheit.
Im Übrigen müsse den Brief ja tatsächlich jemand geschrieben haben. Wenn wir hier weiter in Frieden leben wollten, müssten wir eben beweisen, dass ich nichts damit zu tun hatte.
Am nächsten Tag verlangte er von Karl-Heinz den anonymen Brief, der aus Zeitungsbuchstaben zusammengesetzt worden war. Wie in einem billigen Krimi. Darüber brütete er stundenlang.
Einmal überraschte ich ihn beim Studium alter Liebesbriefe, die ich ihm geschickt hatte, bevor wir verheiratet waren. Suchte er darin das Mädchen, das er einmal geliebt hatte?
Diese Befürchtung sah ich bestätigt, als ich ihn in einem Café mit der attraktiven Frau Kirchleitner von gegenüber überraschte. Er sah mich nicht, und abends wartete ich vergeblich, dass er mir davon erzählte. Aber er wirkte äußerst zufrieden. Das sagte wohl alles.
Er müsse noch einmal dringend weg, erklärte er. Vom Fenster aus sah ich, wie