von wegen früher war alles besser. Hermann GrabherЧитать онлайн книгу.
telefonierten aus Biasca im Tessin und Muggi (so ihr Kosenamen) - wahrscheinlich eine Erstklässlerin - schrieb folgende Notiz für die Eltern auf einen Zettel: Buben sind gut in Alaska angekommen und lassen grüssen. Die Zeile verursachte etwas Unruhe bei den Eltern. Natürlich nahmen Vater und Mutter nicht an, dass wir es bis nach Alaska geschafft hatten. Andererseits hatten sie aufgrund dieser Notiz keine Ahnung, wo wir uns aufhielten; aber wie es schien war es ziemlich weit entfernt von zuhause. Doch die Hauptsache der Mitteilung war wohl, dass wir noch am Leben waren und es uns offensichtlich gut ging. Und das genügte soweit.
In der Sekundarschule war Werner der talentiertere Schüler als ich. Er war ein Spitzenschüler (in jedem Fach) ohne je zuhause zu lernen und ohne je die Pflicht der Hausaufgaben zu erfüllen. Und in den Schulstunden war er wohl ziemlich oft nicht aufmerksam, was er sich allerdings leisten konnte. Denn er war offensichtlich meistens unterfordert. Dennoch war er in den meisten Fällen in der Lage den Lehrern die Hausaufgaben vorzulegen. Denn die Mädchen in der Klasse rissen sich darum, für ihn die Hausaufgaben zu schreiben. Dabei war Werner so arrogant zu meinen, dass dies normal sei. Oder zumindest gab er sich so. Werners nicht sehr seriöse Arbeitshaltung in der Schule zeitigte keine negativen Folgen für ihn: Die Zeugnisse, die er nachhause brachte, waren gut, vielleicht mal abgesehen von einer nicht so guten «Betragen»-Note. Diesbezüglich hatte sich gegenüber der Primarschule nichts geändert. Ich andererseits hatte einen Pferdefuss, nämlich das Fach Französisch. Diese Fremdsprache lag mir nicht. In den Mathematischen Fächern war ich ein durchschnittlicher Mitläufer, während ich in anderen Fächern wie Deutsch, Geschichte, Geografie ausgesprochen glänzte, von Sport und Religion gar nicht zu reden. Alle diese Fächer interessierten mich sehr, ja ich liebte sie.
Wenn ich Ungerechtigkeiten erkannte, reagierte ich während der Sekundarschulzeit sensibel. Es gab Ereignisse, die meiner Befindlichkeit gar nicht zuträglich waren. Zum einen waren gleich mehrere Lehrer – insbesondere auch in der abgeklärten Rückbetrachtung von heute - unakzeptabel, weil ungerecht und pädagogisch unfähig. Und auch Mitschüler verhielten sich teilweise - für meine Begriffe - sehr unkorrekt. Ihnen hatte es offensichtlich an einer guten Kinderstube gefehlt. Schulkameraden, die schwach, etwas auffällig oder einfach anders waren, oder die sich schlecht wehren konnten, wurden von gewissen Mitschülern unablässig gemoppt. Es war vielleicht nicht mal reine Bösartigkeit, welche jene Jungs leitete, sondern eher ein gewisses gegenseitiges Imponiergehabe, wie es grössere Buben in den Flegeljahren an den Tag legen können. Ich war einer, der auch als nun grösserer Jugendlicher jeglicher körperlichen Auseinandersetzung aus dem Weg ging und Raufereien hasste. Dennoch genoss ich anscheinend genug Respekt, dass ich nie ins Visier der Gruppe der Flegel geriet. Wahrscheinlich, weil ich einerseits als überdurchschnittlich guter Sportler einen gewissen Bonus genoss und wohl auch, weil ich andererseits versuchte an die Vernunft und Ritterlichkeit der Mitschüler zu appellieren. Einer, der permanent im Fokus dieser Grosstuer stand, war Robert, der Sohn eines Bäckermeisters unseres Dorfes. Die Situation eskalierte einmal so weit, dass einige dieser Angeber in der Pause im Schulhof Pflastersteine ausgruben und diese nach Robert schmissen. Sie riefen: «Achtung, Röbi, fang!» Natürlich war es für den bedauernswerten Robert unmöglich die Steine zu fangen, sondern er konnte nur ausweichen. Weil er dies etwas unbeholfen machte, lachten sie und spotteten und hörten nicht auf, bis ein Stein prompt Roberts Kopf traf und der arme Kerl einen Schädelbruch davontrug. Ich regte mich fürchterlich auf, insbesondere auch deshalb, weil die Schulleitung kaum ein grosses Aufheben machte über den Vorfall und die Steinwerfer nicht mal bestraft wurden. Überhaupt war ich der Auffassung, dass es Pflicht der Lehrer gewesen wäre gegen diese Störenfriede ohne Wenn und Aber dezidiert einzuschreiten.
Wenn ich unsere Lehrer in der Sekundarschule hätte benoten dürfen, wären sie sehr schlecht weggekommen! Diese waren mehrheitlich miserable Pädagogen und ohnehin keine Psychologen. Ihr Umgangston war oft – selbst für Rheintaler Begriffe - grob und die Umgangsform demotivierend, statt aufbauend. Die grossen Klassen mit den pubertierenden Jugendlichen machten ihnen offensichtlich übermässig zu schaffen. Auf jeden Fall waren diese Lehrer keine Freunde der Kinder, wie dies hätte sein sollte. Sie waren nie in der Lage irgendwelche positiven Signale auszusenden, um das Selbstvertrauen der Jugendlichen – in diesem Alter ohnehin oft fragil - zu stärken. Als wir in der ersten Klasse der Sekundarschule starteten, zählten wir 33 Schüler und Schülerinnen - eine viel zu grosse Klasse! Nach einem Jahr wurden 11 rausgeschmissen – dies kündigte man uns schon am Anfang des Schuljahres an. Danach ging es in der 2. Klasse mit 22 Schülern weite. Ausnahmslos alle 11 Rausgeschmissenen wurden wegen eines Ungenügens in Französisch auf die Verliererbahn gedrängt. So als wäre Sein oder Nichtsein von dieser Fremdsprache abhängig gewesen. Von den verbliebenen 22 Schülern war die Hälfte immer noch schlecht bis miserabel in Französisch, mich eingeschlossen. In einer solchen Situation hätte man sich schon fragen müssen, ob vielleicht das System, die Methodik mangelhaft sei. In der Tat stand wohl leider jenes System on y va, das zur Anwendung gelangte, ziemlich im Abseits. Der Hauptfokus wurde nämlich auf die Grammatik und die Rechtschreibung gelegt. Das Sprechen, die Kommunikation wurde weitgehend vernachlässigt. Weil die französische Grammatik mit der komplizierten Konjugation, insbesondere der unregelmässigen Verben, wirklich eine Herausforderung darstellt, waren wir alle – auch die guten Schüler - permanent überfordert und verunsichert. Wir kamen mit einem Wort überhaupt auf keinen grünen Zweig. Und das Unbegreifliche ist: Als meine Kinder – eine Generation später – Französisch lernten, verwendete man dieses problematische System noch immer in weitgehend unveränderter Form. Auch die Generation meiner Kinder hatte die identischen Schwierigkeiten wie wir. Auch bei ihnen wurde vor allem Wert auf ein korrektes Passé Composé gelegt und auch sie konnten nach Schulabschluss kaum einen spontanen Satz in Französisch sprechen. Man kann es nicht fassen!
Wie gut unser damaliger Französisch-Lehrer Q diese Sprache beherrschte, kann ich nicht beurteilen. Denn wir hörten ihn ja nie richtig sprechen, geschweige denn hörten wir ihn je in einem Gespräch zum Beispiel mit einem Menschen mit französischer Muttersprache reden. Aber abgesehen von seiner Kernkompetenz (die wir eben nicht beurteilen konnten), nahm ich ihn als Ignorant wahr. Das gravierendste Beispiel meiner Beanstandung: Bei jeder Prüfung erstellte der Mann eine Skala: 0 Fehler = Note 1. 2 Fehler = Note 2. 4 Fehler = Note 3, und so weiter. Aber seine Skala hörte nicht mit der schlechtesten Note 5 auf, sondern ging munter weiter. Wenn einer 20 Fehler hatte, bekam er Note 10. Einer schrieb mal gar die Note 20. Es ist leicht auszurechnen, was in einem solchen Fall passierte: Wenn man einmal einen solch hochgradigen «Ausreisser» eingefangen hatte, war die Zeugnis-Note – die aus dem Durchschnitt der Klausuren und der Skala 1 bis 5 gerechnet wurde - in jedem Fall jenseits von Gut und Böse. Da hätte man anschliessend noch so viele sehr gut oder gut abliefern können, es hätte nichts genützt. Ich versuchte den Lehrer in wiederholten Gesprächen darauf hinzuweisen, dass seine Benotung ein falsches System sei. Er lachte in jedem Fall voller Hohn und zwar mit einer erhabenen, wie auch gleichermassen abschätzigen Geste: «Du wirst mir ja nicht vorschreiben können, welches System ich bei der Benotung anwenden soll! Ich bin hier der Lehrer. Du bist nur der Schüler!» Und damit hatte sich jegliche Grundlage für eine faire Diskussion selbst erledigt.
Ein anderer Lehrer X, der Naturkunde und Biologie, Geografie und Mathematik unterrichtete, war ebenso inkompetent, wenn auch auf eine andere Art und Weise. Er stand wenige Jahre vor der Pensionierung. Der Mann war unverheiratet und lebte mit seiner greisen Mutter zusammen. Er war ungepflegt und unordentlich. Sein Auto war sowohl innen wie aussen der reinste Saustall – um es mal salopp zu formulieren. Er war schwul veranlagt (was die Spatzen von den Dächern pfiffen) und das war in jener Zeit zumindest auf dem Land ein Makel. Allerdings sah man im Dorf dennoch grosszügig über seine sexuelle Orientierung hinweg. Und das war ja nicht mehr als angebracht, denn er liess sich ja nie etwas Illegales zu Schulden kommen. Immerhin war nicht zu übersehen, dass dieser Lehrer (gewisse) Buben auffallend bevorzugte, während er die Mädchen in der Klasse gesamthaft fies, ja eigentlich himmeltraurig schlecht behandelte. Mich persönlich betraf sein eigenartiges Verhalten nicht. Ich war für ihn sozusagen luftleerer Raum und das passte mir gar nicht so schlecht. Ich verabscheute den Kerl, weil er so unmenschlich unfair war und natürlich spürte er dies auch. Die Mädchen in der Klasse hassten ihn abgrundtief und sie zeigten es ihm auch unverhohlen, was er auf eine laszive Art in einer demonstrativ aufgesetzten Dulderrolle genoss. Seine Sprüche sprudelten oft in abartiger Weise aus seinem Mund. In einer Welt, in der me