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ALLTAG WAR GESTERN. Kurt BauerЧитать онлайн книгу.

ALLTAG WAR GESTERN - Kurt Bauer


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zu telefonieren. Diese Art der Kommunikation klappt auch mit meiner Tochter Sarah in der Stadt Salzburg sehr gut. Schwerer wiegt, dass einige Filmaufnahmen, die schon von langer Hand vorbereitet waren, vom Corona-Virus „abgemurkst“ wurden. Das tut mir weh.

      Aufgaben wie Ordnung zu schaffen und manches durchzumustern, werden ihren Platz finden. Naja, aber das ist irgendwie öde, es entfacht meine Leidenschaft nicht. Der Idee der Verlangsamung des Lebens kann ich nicht viel abgewinnen. Dass die Sicherung meines Lebens und das meiner Frau und meines Sohnes an erster Stelle steht, ist mir klar. Aber dann? Dann stehe ich da und schaue beim Fenster hinaus?

      Zum alten Eisen zähle ich mich noch lange nicht, und ich habe mich entschieden, meiner „häuslichen Quarantäne“ aktiv zu begegnen.

      Nach einem morgendlichen Frühstück mit weichem Ei, Schwarzbrot, Frischkäse und dem ausgiebigen Studium der Tageszeitung ist mir klar, dass das Zu-Hause-Bleiben ein national angesagtes Programm für die nächsten drei Wochen sein wird. SCHÜTZ DICH, BLEIB ZUHAUSE! Zunehmend wird mir bewusst, dass ich in nächster Zeit eine Menge Zeit zur Verfügung haben werde. Meine Frau hat schon verkündet, dass sie einen gründlichen Wohnungsputz machen wird, und dann stehen ja einige Dinge im Garten an. Bei mir sieht das anders aus.

      Was mir auffällt, ist, dass im gegenwärtigen Moment klare Handlungsstrukturen im staatlichen Ablauf umgesetzt werden. Damit bin ich einverstanden. Wir sind das „Team Österreich“, wie der Innenminister Karl Nehammer zu sagen neigt. Eines habe ich verstanden, dass mir auf Grund meines Alters eine Rolle zugewiesen wurde, nämlich die des Stubenhockers! Meine erste Idee war, mich beim Zivildienst zu engagieren. Als ich das meinem erwachsenen Sohn Bernhard erzählte, meinte er knapp: „Du bleibst daheim, Papa!“ - „Zu alt?“ fragte ich. „Nein“, sagt er, „Risikogruppe!“ Fazit: Stubenhocker und Risikogruppe.

      Normalerweise neige ich dazu, beim Filmen mitten im Geschehen zu sein. Letztes Jahr im Oktober war ich Nagpur, Indien2, wo ich unter anderem in den Slums filmte und mittendrin war. Es war eine heftige Erfahrung. Der Schmutz, das Elend und die Menschen, die diesen Bedingungen ausgesetzt sind, setzten mir heftig zu. Aber in keinem Fall hatte ich Angst davor, mich mit irgendetwas anzustecken.

      Dieses Mal gehöre ich zur Risikogruppe, und zum Selbstschutz bin ich in häuslicher Quarantäne. Gut, ich bin natürlich Realist und weiß, dass ich mir nichts Gutes tue, wenn ich mich nicht daran halte. Dazu kommt, dass in den letzten Jahren bei mir ein Diabetes Typ 2 festgestellt wurde, wodurch ich zusätzlich zu den besonderen Risikogruppen zähle. Dann fällt mir noch ein, dass ich früher immer wieder eine Lungenentzündung hatte, was meine Beunruhigung noch erhöht. Risiko für Risiko türmt sich aufeinander und ich sehe mich im Geiste schon an einem Multiorganversagen sterben. Es ist so etwas wie eine vorgezeichnete innere Realität, der ich mich nicht entziehen kann. Ziemlich deprimierend. Gut, dass ich rechtzeitig eine Patientenverfügung gemacht habe.

      Ich entschließe mich, eine langjährige Freundin anzurufen und ihr von meinem Dilemma zu erzählen. Dass ich zum nutzlosen Daheimbleiben verurteilt bin und ohnehin ganz sicher eine Covid-19-Infektion nicht überleben werde, und zwar wegen eines Multiorganversagens. Ich gehe davon aus, ein wenig Mitgefühl und Anteilnahme zu erhalten. Aber es kommt anders. Nach der Schilderung meiner Lage habe ich noch keinen Atemzug gemacht, als Christine schon durch das Telefon faucht: „Spinnst du jetzt völlig? Du weißt NICHTS! Sorry, aber warum wirfst du dein Leben schon im Kopf weg? Das nennt man self-fulfilling-prophecy. Du warst in den Slums ohne Gummihandschuhe und Desinfektionsmittel. Ohne Schutz. Jetzt ist das anders. Ersten schützt du dich, und zweitens weißt weder du noch ich, wie sich die Infektion bei dir auswirken würde. Stell dir vor, man kann sie auch überleben! Und übertreibe ja nicht mit deinen Vorerkrankungen. Du hast 17 Kilo abgenommen und deinen Blutzucker schon über lange Zeit hinweg im Normbereich gehalten. Die letzten fünf Jahre hattest du gar nichts an der Lunge, bis auf ein bisschen Reizhusten ab und zu. Du bist fit und aktiv, und nichts weist darauf hin, dass du demnächst das Zeitliche segnest. Ja, natürlich kannst du theoretisch am Corona-Virus auch sterben. Aber es ist nicht die einzige und nicht die wahrscheinlichste Option. Was in dir gerade grassiert, ist ein anderes `Virus`, nämlich das des irrationalen Denkens!“ - Ich bin platt! Warum faucht sie mich so an? Es ist eben, wie es ist! Oder doch nicht? Zaghaft mache ich noch einen Versuch und will mich durch die Statistiken absichern, die ich aus den Medien parat habe. „Ab 70 Jahren sollen zirka 30 Prozent der Erkrankten …“ – Ich werde unterbrochen: „Seit wann unterwirfst du dich einer Statistik? Und dann noch dazu, um die Aussage gegen dich zu richten? Und was ist mit den anderen 70 Prozent, die wieder genesen?“ - Endlich löst sich bei mir der Panzer der negativen Vorstellungen, ich fühle mich wachgerüttelt. Christine hat recht, das ist ein völlig verrücktes Denken. Das passt im Grunde nicht zu mir, kritisches Denken ist eigentlich meine Stärke. Ich distanziere mich entschieden von der Fiktion der self-full-filling-prophecy und atme erleichtert auf.

      Nach dem Telefonat lese ich die Zeitung weiter und muss schmunzeln, als ich auf einen Bericht des Robert-Koch-Instituts stoße, das herausgefunden hat, dass stabile Zuckerwerte bei Diabetes mellitus Typ 2, wie sie bei mir vorliegen, kein Risiko für einen schweren Verlauf einer Corona-Infektion bedeuten. Das entspannt mich.

      Zudem habe ich eine neue Idee. Da ich derzeit keinen DOKU-Film machen kann, könnte ich doch ein DOKU-Buch schreiben. Meine Begeisterung ist entfacht. Noch dazu ist mir ja das Handwerkzeug der Schriftstellerei nicht fremd. Ich spiele in Gedanken: Ich könnte ein DOKU-Tagebuch schreiben, wie das Corona-Virus mein Leben, mein Umfeld, meine Beziehungen in der Familie und mit Freunden verändert. Ich würde das Virus in den Blick nehmen und erzählen, was es alles bewirkt, statt gebannt wie eine Maus vor der Schlange zu stehen.

      Ich setze mich also mit meiner Buch-Idee näher auseinander. Wird der Stoff für eine Geschichte reichen? Ich will keine Aufzählungen machen, die niemanden interessieren. Drifte ich ab in das Ereignislose? Was ist, wenn es nichts zu erzählen gibt? Mein Anspruch ist, von dem zu berichten, wo niemand hinschaut. Ich merke, dass ich derzeit noch keine Orientierung habe. Was bewegt mich selbst dabei, und wie stehe ich diese Zeit durch, oder auch nicht?

      Das Buchprojekt macht für mich plötzlich Sinn und hat etwas Kribbliges. Die Idee elektrisiert mich. Wenn es nicht klappt, kann ich ja einfach aufhören. Solange ich es nicht veröffentliche, weiß niemand davon, so lasse ich mir eine Hintertüre offen. Ich entscheide mich, das DOKU-Tagebuch zu schreiben.

      Tagebucheintragung 21.03.2020

      Heute hatte ich keinen guten Morgen. Um 6: 00 Uhr kam unsere schwarze Katze ins Bett und stakste auf mir herum. Ich reagierte nicht. Die Katze stolzierte quer über das Bett zu meiner Frau, um dort das Gleiche zu tun. Normalerweise ist unsere Katze weich, sanft und anschmiegsam, aber in Ausnahmefällen, wie heute, ging sie mir auf die Nerven, und ich erlebte ihre Annäherungsversuche als Herumtrampeln. Ich reagierte nicht, zog mir die Decke über den Kopf und hoffte, dass sie aufgibt. Also wandte sie sich mit aller Konsequenz meiner Frau zu und machte deutlich, was sie wollte. „Steh auf, gib mir etwas zu fressen, mach dann die Türe auf und lass mich hinaus!“ Irgendwann, nachdem ich mich ausreichend lange totgestellt hatte, stand meine Frau Ingrid verärgert auf. Sie schimpfte, fragte mich ungehalten, warum ich tat, als ob mich das nichts anginge, und kümmerte sich dann um Sunny, so heißt unsere schwarze Katze. Im Nachhinein muss ich sagen, dass sie recht hatte.

      Wie gesagt, ich hatte keinen guten Morgen, und Sunny hatte meine Laune auch nicht verbessert. Ich entschied mich, endlich aufzustehen.

      Ich habe mir ein Morgenritual zurechtgelegt. Aufstehen, duschen gehen, rasieren mit Steppen. Das muss man sich so vorstellen: Ich habe einen Stepper, den ich benütze, während ich mich etwa fünf Minuten lang rasiere. Es ist wie Stiegen steigen. Das klappt hervorragend. Danach mache ich noch einige gymnastische Übungen, um den Körper in Schwung zu bringen, Kniebeugen und Anderes. Anschließend kommen Frühstück und Zeitunglesen an die Reihe. Und danach entscheide ich meist erst, was ich an diesem Tag machen möchte.

      Ich genieße mein Frühstück und bekomme Erstaunliches zu lesen. Die Kanäle in Venedig sind wieder sauber, unzählige Fische tummeln sich darin. Delphine sollen in Sardinien wieder zu sehen sein. In China hat die Smogbelastung abgenommen, und die Menschen brauchen keine Staubmaske mehr. Corona lässt Mutter Natur aufatmen!

      Daneben gibt


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