Wie viele Leben hast Du noch?. Mario SemrauЧитать онлайн книгу.
tätig. Nichts davon ahnend, dass in wenigen Augenblicken von ihm der von mir herbeigesehnte Impuls kommen würde, erzählte ich ihm von meiner Misere. Davon, dass ich zwar weiß, was und wohin ich will, aber noch keinen richtigen Ansatz zur Umsetzung gefunden hätte.
Ich war mitten im Satz, als er mich plötzlich unterbrach: „Mario, Du hast doch schon so viele Seminare gegeben, kannst echt gut mit Menschen umgehen, und Du bist dazu in der Lage, sie zu erreichen“, polterte es aus ihm heraus. „Erarbeite Seminare, die die Leute weiterbringen, ihnen das Leben und ihren Job erleichtern und biete sie an. Du hast schon so viel erlebt! Bringe es ein! Gehe auf Institutionen zu, an denen Du Deine Themen platzieren kannst.
Konzipiere und nimm alles an, von dem Du denkst, dass es nicht nur Deine Teilnehmer, sondern auch Dich weiterbringt! Fange an einer guten VHS an und wachse von dort aus! Was Du jetzt brauchst, sind viele Seminarstunden! Du musst noch mehr Routine bekommen, nützliche Inhalte entwickeln und Deine Talente ausleben!“, fuhr er fort.
Er hatte die Lage erkannt und hat mit seinen Ausführungen bei mir voll ins Schwarze getroffen. Es war an der Zeit, aktiv zu werden, den ersten Schritt zu gehen und die Reise zum Ziel anzutreten. „Raus aus der Blockade und rein ins Tun!“, lautete die Devise. Nachts um 23: 30 Uhr war ich wieder zu Hause, startete sofort den Rechner und bewarb mich per EMail bei der VHS des Landkreises Fulda. Bis in die frühen Morgenstunden hinein arbeitete ich einige Seminarkonzepte aus, die schließlich zum Ausgangspunkt meines Erfolges werden sollten.
In der darauffolgenden Woche betrat ich zum ersten mal die Räumlichkeiten der VHS des Landkreises Fulda. Es sollte der Anfang einer intensiven und für alle Seiten bereichernden Zusammenarbeit gewesen sein, die bis heute andauert. Meine Seminarthemen füllten das Programm und stießen auf eine ordentliche Nachfrage. Der erste Schritt zum Traumjob war getan. „Ready for take-off“, und ich war voll dabei und ging auf Startleistung.
„Erfolgreiche Kommunikation und Körpersprache“, „Endlich selbstbewusst durchs Leben gehen“, „Werbepsychologie“ und „Positives Denken“ lauteten die Titel meiner ersten Seminare, die ich als Freiberufler gehalten habe.
Dabei bin ich vielen tollen Menschen begegnet. Wir lernten voneinander. Es war mir stets wichtig, jeden Einzelnen abzuholen und mit Wissen ebenso wie mit Denkansätzen auszustatten, die die Lebensqualität einer jeden Teilnehmerin und eines jeden Teilnehmers erhöhen konnten. Es war nie mein Ziel, als großer Lehrer dazustehen, der allgemeingültige Lösungen predigt und keine Einwände zulässt.
Vielmehr lag es mir am Herzen, die Menschen dazu in die Lage zu versetzen, individuelle Wege für individuelle Persönlichkeiten, Situationen und Lebensumstände zu gestalten.
Ihr Feedback sollte mir zeigen, dass dies genau der richtige Weg gewesen ist.
Dieser Start in die Selbstständigkeit kann mit einem Felsbrocken verglichen werden, der plötzlich und mit voller Wucht in einem stillen See einschlug. Er zog Kreise, große Kreise. Ich war in Bewegung: Tagsüber studierte ich weiter, abends gab ich meine Seminare, die ich dann bis in die Nachtstunden hinein immer weiter ausarbeitete.
Alles war perfekt durchorganisiert. Mein gesamtes Handeln richtete ich voll und ganz nach den gesetzten Prioritäten aus. Was mich sonst drei Stunden kostete, lernte ich, in 30 Minuten zu erledigen. Das Feuer in mir war am Lodern.
Die Arbeit mit den Menschen und das Feedback seitens der Teilnehmenden waren pures Kerosin für mein inneres Triebwerk. 130 % Startleistung und volle Kraft voraus. Was für ein tolles Leben!
Die Kreise sollten sich weiterziehen: Überpünktlich schloss ich mein Studium mit „sehr gut“ ab und nahm fortan alle Aufträge an, die mir damals attraktiv bzw. interessant zu sein schienen.
Dabei ging es mir niemals primär ums Geld. Vielmehr sollte meine Arbeit anderen Menschen einen Nutzen bringen und mir Freude bereiten, woraus dann das Geld ganz automatisch resultierte.
Schließlich wurden es dann immer mehr Institutionen, für die ich tätig war.
Gefühlt, startete ich zu diesem Zeitpunkt erst richtig durch: Ich veranstaltete Kommunikationstrainings für Geschäftsführer mittelständischer Unternehmen, führte zertifizierte Seminare zur Lehrerfortbildung durch und veranstaltete Erfolgstrainings für die Mitarbeiter diverser öffentlicher Institutionen. Auch habe ich Menschen gecoacht, die in der Krise ihren Job verloren haben, und mit ihnen neue Perspektiven erarbeitet. Unzählige junge Menschen, teilweise mit schweren Lerndefiziten und deutlich ausgeprägter „Antriebsschwäche“, bildete ich überbetrieblich u.a. zu Verkäufern und Einzelhandelskaufleuten aus.
Es gelang mir immer besser, selbst die scheinbar „hoffnungslosesten“ Fälle dazu zu bewegen, Vollgas zu geben und die Prüfungen zu bestehen. Und wie?
Indem ich sie dazu ermunterte, sich große Ziele zu setzen, für etwas zu kämpfen, endlich Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, an etwas zu glauben und nicht nur bis zum Tellerrand zu schauen. Sie sollten lernen, wie gut es sich anfühlt, ein Ziel zu erreichen und an sich selbst glauben zu können. Das Erlernen des erforderlichen Fachwissens war dann, in Anbetracht der Größe der gesetzten Ziele, nur noch „Nebensache“. Es war vielmehr Mittel zum Zweck.
Bei dem einen ging es schneller, beim anderen dauerte das Lernen länger. Egal! So lange sie es wirklich wollten, würden sie ihr Ziel erreichen.
Dann coachte ich diejenigen, die angeblich nicht mehr zu motivieren waren, und dennoch konnte in all den Jahren immer wieder das eine oder andere Wunder vollbracht, das eine oder andere Leben in lebenswerte Bahnen gelenkt und die eine oder andere Gefahr abgewendet werden.
Viele konnten ihr inneres Feuer wieder entzünden und nahmen ihr Leben aktiv in die Hand, weil sie begriffen haben, dass sie selbst am Steuerrad ihres Lebens stehen und nur selber den für sie geeigneten Kurs finden und einschlagen können.
Niemals werde ich aber den Dankesbrief von der damals elfjährigen Tochter einer ehemaligen Seminarteilnehmerin vergessen, in dem u.a. geschrieben stand:
„Endlich kann ich meine Mutter wieder lachen sehen. Danke!“
Das waren die Momente, in denen mal wieder so ein kleines Wunder geschah, an das kaum noch jemand zu glauben wagte. Welche Kraft man aus solchen Momenten schöpft, ist schier unbeschreiblich.
Sicherlich habe ich auch vieles gesehen, was man lieber nicht sehen möchte, und wofür man gewiss eine immense innere Stabilität aufweisen muss, um nicht selbst daran kaputt zu gehen oder den Glauben an die Menschen ganz zu verlieren. Ich habe die Abgründe des menschlichen Daseins gesehen, bin in die schmutzigsten Buden gegangen, u.a. auch, um psychischer und physischer Gewalt ausgesetzte Frauen vor ihren Peinigern zu schützen und für sie den Weg ins Frauenhaus zu ebenen.
Auch hatte ich sehr viel mit Suchtkranken zu tun. Es ist der absolute Wahnsinn, was das ganze Teufelszeug aus eigentlich guten Menschen macht.
Das naive Kind in mir musste in dieser Zeit auch widerwillig lernen, dass man Niemandem helfen kann, der nichts an seinem Leben verändern möchte.
Es musste erkennen, dass man lediglich Wege und Möglichkeiten suchen und aufzeigen kann. Man kann ein Stück weit mitgehen, aber schlussendlich muss jeder selbst seinen Weg gehen. Oder wer atmet, isst und trinkt für Sie?
Mir war es stets immens wichtig, die Menschen noch besser zu verstehen, weshalb ich eine umfangreiche psychologische Ausbildung absolvierte und einige Zeit später noch die schulische Ausbildung zum Heilpraktiker durchlief, die mich auf die bis dato noch zu absolvierende behördliche Prüfung vorbereitet hat. All das, was ich sah, lernte und erlebte, bekräftigte mich in der Auffassung, dass jeder Mensch selbst dafür verantwortlich ist, welches Leben er lebt, wie er mit sich selbst umgeht, und wie seine Reise verläuft.
Man kann Pech haben, in einer Krise sein, den Job verlieren, verlassen werden, einen geliebten Menschen verlieren, einen Unfall haben oder krank werden. Auch kann man im Lotto gewinnen, einen Fünfhunderteuroschein auf der Straße finden oder der großen Liebe in der U- Bahn begegnen. Alles ist möglich, aber entscheidend ist unsere Reaktion darauf, und was wir aus der eingetretenen Situation machen.
Ich