Bahnfahren unter erschwerten Bedingungen. Frank HoleЧитать онлайн книгу.
einfach zusätzliche Züge verkehren sollen, um mehr Platz zur Verfügung zu stellen.
Grundsätzliche Änderungen brauchen im Bahnsystem Jahre bis Jahrzehnte, bis sie geplant, beschlossen, finanziert und umgesetzt sind.1 Um an die Ursachen der tatsächlichen, gefühlten oder zumindest durch die Medien beschworenen Unzuverlässigkeit zu kommen, sind nach dem jahrzehntelangen Abbau der Bahn umfangreiche Investitionsmaßnahmen nötig. Und dazu wiederum benötigt man einen Konsens in der Bevölkerung, dass die Bahn wichtig und Teil einer Lösung der großen Umwelt- und Verkehrsprobleme ist. Und dann brauchen die jeweiligen Regierungen den entsprechenden Auftrag.
Bis diese langfristig umzusetzenden Maßnahmen angepackt werden und Wirkung zeigen, führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass all die zahlreichen Menschen, die die Bahn nutzen, sich mit der heutigen Situation bestmöglich arrangieren müssen. Dazu gibt es glücklicherweise einige vielversprechende Möglichkeiten. Und die lernen Sie nun kennen, ergänzt um viele Hintergrundinformationen und praktische Beispiele.
Ziel ist es, dass Sie möglichst souverän und selbstbestimmt mobil sind. Dazu gehört es, Planabweichungen und Störungen im Betriebsablauf idealerweise bereits vorab zu erkennen und zu vermeiden. Und wenn Sie sich doch in einer derartigen, unangenehmen Situation befinden sollten, dass Sie sich über Ihre Handlungsmöglichkeiten im Klaren sind und eine eigene Entscheidung treffen können.
Es geht um nichts weniger, als dass Sie immer möglichst gut unterwegs sind!
1 „… trifft zehn Minuten
verspätet ein …“
Zugverspätungen kennen alle Fahrgäste. „Pünktlich wie die Eisenbahn“ – dieser Spruch gilt nur bedingt. Leider müssen Sie die Möglichkeit von Verspätungen bei Ihrer Reiseplanung berücksichtigen, auch wenn – insgesamt betrachtet – die meisten Züge pünktlich ankommen.
In diesem Kapitel geht es darum, was jeder Fahrgast selbst tun kann, um diese Erfahrungen entweder möglichst selten zu machen oder deren Auswirkungen auf sich selbst zu verringern. Thema ist auch der übergeordnete Blick: Wie lassen sich die Fahrplanabweichungen in das gesamte Bahngeschehen einordnen? Wer die zahlreichen Ursachen für Verspätungen verstehen will, findet in Kapitel 13.1 bis 13.8 die wichtigsten Zusammenhänge.
1.1 Was Sie als Fahrgast bei Verspätungen tun können
1.1.1 Maßnahmen vor der Fahrt
Schon bei der Reiseplanung empfiehlt es sich, dass Sie sich im Klaren darüber sind, wie WICHTIG die Pünktlichkeit für Sie im Allgemeinen und speziell bei der nächsten Fahrt ist. Wer wirklich richtig pünktlich sein muss, sei es zu einem geschäftlichen Termin, zum Beginn eines einzigartigen Konzerts mit Ihrer Partnerin oder einem entscheidenden Bundesligaspiel, sollte deutliche Spielräume einplanen und keinesfalls glauben, dass eine perfekte minutengenaue Planung funktioniert. Eine Planung ohne Spielräume kann klappen und wird in vielen Fällen auch aufgehen, sie muss aber nicht. Und für Pendlerinnen und Pendler kann ein Zug früher eine große Entspannung bewirken – alternativ die Vereinbarung von Gleitzeit bei der Arbeit.
Zur Planung gehört auch, die WAHRSCHEINLICHKEIT VON VERSPÄTUNGEN einzuschätzen. Zur Hauptverkehrszeit sind Verspätungen wahrscheinlicher, und wenn Baustellen auf Ihrer Strecke liegen, ebenfalls. Dicht befahrene Strecken mit Mischverkehr und solche mit knapp bemessenen Umläufen sind ebenfalls anfälliger.
Es gibt auch eine Datenquelle, die wertvolle Hinweise liefert: die PÜNKTLICHKEITSSTATISTIK vieler Fernverkehrszüge. Zum Beispiel steht dort, dass der IC 2024 Passau–Hamburg über Mainz im Durchschnitt der letzten zwei Jahre auf jeder Fahrt 22 Minuten Verspätung einfuhr, der ICE 1553 Leipzig–Dresden hingegen mit durchschnittlich 1 Minute Verspätung ein sehr pünktlicher und zuverlässiger Zug ist.2
Ebenfalls sind, wo immer möglich und sinnvoll, DIREKTVERBINDUNGEN günstiger. Damit entfallen Anschlussverluste automatisch, die oft eine Stunde Zeitverlust bedeuten. Alternativ sind auch STABILE UMSTEIGEVERBINDUNGEN empfehlenswert, bei denen es nicht um ein oder zwei Minuten Umsteigezeit geht, sondern eher um 10 bis 15 Minuten bei kleineren Knotenbahnhöfen und 20 bis 30 Minuten bei großen Hauptbahnhöfen.
Mit größeren Spielräumen zu planen heißt auch, die dann häufiger auftretenden Aufenthaltszeiten mit positiv besetzten Aktivitäten zu füllen: einen Spaziergang unternehmen oder in Ruhe zu Mittag essen, telefonieren, in der Buchhandlung stöbern – hier sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt.
Wenn GRAVIERENDE WETTEREREIGNISSE wie ein Orkan über Norddeutschland oder massive Schneefälle mit Sturm und Blitzeis in Sachsen angekündigt sind, sind solche Wetterwarnungen durchaus ernst zu nehmen, zusätzlich ist es wahrscheinlich, dass in beiden Fällen spürbare Verspätungen und Ausfälle von Fernverkehrszügen auch im restlichen Deutschland vorkommen.
GROßVERANSTALTUNGEN (bekannte Publikumsmessen, Bundesliga-Fußballspiele, Kölner Karneval, Oktoberfest, Papstbesuch) sorgen nicht nur für volle Züge, sondern auch für spürbare Verspätungen. Das bedeutet konkret, entweder die betroffenen Strecken und Ziele vollständig zu vermeiden oder früher zu fahren.
1.1.2 Informieren
Sie werden im Internet, in Ihrer App, per Durchsage im Zug oder auf dem Bahnsteig und im Bahnhof mittels Durchsage und/oder Monitore über die Verspätung informiert. Reisende sollten deswegen, wie in Band 2 in den Kapiteln 18 und 19 bereits erarbeitet, alle auf die eigene Situation zugeschnittenen, geeigneten INFORMATIONSQUELLEN kennen und griffbereit haben. Wer beispielsweise die Fahrt mit der DB-Fahrplanauskunft geplant hat, kann im Rahmen der Verbindungssuche den VERSPÄTUNGSALARM aktivieren oder mit der APP „DB STRECKENAGENT“ Verkehrsmeldungen zur jeweiligen Strecke abonnieren.3 Auch die Abfahrten von Bahnhöfen und Haltestellen sind einfach abrufbar.4 Derartige Tools gibt es teilweise auch bei anderen EisenbahnVerkehrs-Unternehmen und in Verkehrsverbünden.5 Es sind sogar vereinzelt recht komfortable und aussagekräftige kartografische Informationsmedien auf dem Markt, die die Position der Züge in Echtzeit in einer Karte darstellen.6
1.1.3 Informationen einordnen
Gehen Sie allerdings davon aus, dass die Angabe über die aktuelle Verspätung zwar exakt sein kann, aber die Prognose immer nur eine ungefähre EINSCHÄTZUNG ist. Denn die Einflussfaktoren und Wechselwirkungen sind beim Bahnbetrieb zu groß, als dass es immer eine wirklich sichere, minutengenaue Vorhersage geben kann.
Generell ist zwischen zugbezogenen Informationen und qualitativen Störungsinformationen zu unterscheiden.
• ZUGBEZOGENE INFORMATIONEN: Hier erhalten Sie über einen bestimmten Zug mit einer bestimmten Zugnummer konkrete Informationen über Zugziel, Laufweg, Abfahrtszeit, Gleis und Verspätung/Ausfall.
• QUALITATIVE STÖRUNGSINFORMATIONEN: Sie bekommen Informationen über Ursache, Ort, Dauer und Auswirkung der Störung. Diese Art der Information ist in der Regel recht schnell vorhanden und häufig auch zuverlässig. Sie gibt wichtige Anhaltspunkte, wie sich die Situation darstellt und entwickelt und welche Handlungsoptionen möglicherweise existieren.
Abbildung 1: Ein Beispiel für qualitative und nicht zugbezogene Information: Auf dem Monitor erkennen Sie auf den ersten Blick, dass wegen Bauarbeiten für rund 7 Wochen kein Zugverkehr im Regionalbahnhof des Frankfurter Flughafens möglich ist. Stattdessen fährt die S-Bahnlinie S8 über den Flughafen Fernbahnhof. Außerdem ist ein Ersatzverkehr eingerichtet, der von Rüsselsheim über Raunheim und Kelsterbach zum Terminal 1 fährt. Streng genommen sind Baustellen allerdings keine Störungen, sondern geplante Abweichungen.7 [Copyright Frank Hole]
Die Rangliste der Qualität von zugbezogenen Informationen bei Fahrplanabweichungen sieht so aus:
1. ZUVERLÄSSIG, wenn bei kleineren Störungsereignissen nur wenige Züge gering betroffen sind. Sie bekommen Informationen wie „… trifft wenige Minuten später ein“ oder „… hat ungefähr 5 Minuten Verspätung“.
2. EINGESCHRÄNKT ZUVERLÄSSIG, wenn auf einer Strecke ein größerer Einfluss stattfindet, der beispielsweise zu einer Streckensperrung