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Die verlorene Insel. Nataliya GumenyukЧитать онлайн книгу.

Die verlorene Insel - Nataliya Gumenyuk


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      Die ältere Schwester ergänzt: „Ich habe 1963 mit dem Bau dieses Hauses begonnen und lebe seit einem halben Jahrhundert hier. Ich habe das alles mit meinen eigenen Händen geschaffen, gespachtelt, gestrichen – alles in der Hoffnung auf einen ruhigen Lebensabend.“

      In den kommenden zweieinhalb Monaten werden die Schwestern zweimal nach Kyjiw reisen – davon einmal, um sich für die vorgezogenen Präsidentschaftswahlen zu registrieren. Die Fahrt nach Kyjiw ist kraftraubend und kostet Zeit und Geld. Für die betagten Frauen von der Krim ist sie eine Bürgerpflicht und wenigstens eine Sache, das sie tun können. Sie freuen sich, in Kyjiw zu sein. Die festliche Stimmung in den Wahllokalen und die blau-gelben Flaggen, die auf der Krim zum Symbol des Widerstands geworden sind. Wir unterhalten uns vor dem Eingang zu einem Wahllokal im Zentrum der Stadt, rund einhundert Meter vom Maidan entfernt. Eine der Wahlbeobachterinnen, eine Maidan-Aktivistin, will wissen, woher die Frauen stammen: „Ihr seid von der Krim? Warum habt ihr sie nicht verteidigt?“, fragt sie in vorwurfsvollem Ton: „Hier in Kyjiw haben Frauen in Pelzmänteln Pflastersteine herausgebrochen und Molotow-Cocktails vorbereitet.“

      „Was konnten wir schon groß tun? Auch wir sind auf die Straße gegangen. Nur standen uns bewaffnete Leute gegenüber“, rechtfertigt sich die jüngere Schwester. Die ältere schweigt.

      Für gewöhnlich mische ich mich nicht in Gespräche ein, sondern beschränke mich auf die Rolle der Beobachterin. Doch jetzt kann ich mich nicht zurückhalten und nehme die Wahlbeobachterin zur Seite: „Ist Ihnen überhaupt bewusst, was Sie da sagen? Diese beiden Damen haben am Euromaidan auf der Krim teilgenommen. Sie sind eigens nach Kyjiw gekommen, nur um ihre Stimme abzugeben. Sie haben schon genug Sorgen. Können Sie sich vorstellen, mit welchen Gedanken sie jetzt auf die Krim zurückkehren werden?“ Daraufhin geht die Frau zu den Schwestern zurück und entschuldigt sich.

      Der Zug Simferopol – Kyjiw passiert Dschankoj, den letzten Halt auf der Halbinsel. Das bedeutet, dass es keine Kontrollen mehr durch Kosaken oder Krimnasch (Die Krim ist unser)-Aktivisten geben wird. Für einige Minuten schweigen die Passagiere einfach. Sie hängen ihren Gedanken nach oder schauen auf die Bildschirme ihrer Smartphones. Dann blicken sie auf und beginnen zu reden. Schnell wird klar, dass niemand in unserem Abteil die Annexion unterstützt.

      „Diese Verräter! Sie haben uns einfach fallengelassen, um einem anderen Staat zu dienen“, empört sich eine junge Frau, die, wie sich herausstellt, für die Staatsanwaltschaft in Simferopol tätig war: „Man sollte sie alle vor Gericht bringen. Sie sind Journalistin? Wissen Sie vielleicht, ob man uns dort Arbeit verschafft? Ich habe einfach meine Sachen gepackt und mich auf den Weg nach Kyjiw gemacht. Ich werde bei der Generalstaatsanwaltschaft anrufen und fragen, wo ich jetzt arbeiten soll. Ich hoffe, es findet sich eine Möglichkeit. Wo soll ich sonst hin? Ich komme zwar von der Krim, aber mit Verrätern und Eidbrechern zusammenarbeiten – niemals!“


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