Übergewicht und Krebs. Prof. Dr. Hermann DelbrückЧитать онлайн книгу.
„Zuckersteuer“
Lebensmittelindustrie
Initiativen und Forderungen zur Reduzierung von Übergewicht
Glossar
Literatur und Quellen
Vorwort zur Buchreihe: „PERSONALISIERTE KREBSVORSORGE UND FRÜHERKENNUNG“
Jeder zweite Mensch erkrankt im Laufe seines Lebens an Krebs. Jeder Vierte stirbt daran. Mit einem weiteren Anstieg der Krebserkrankungen wird allgemein gerechnet. Krebserkrankungen stellen heute in der westlichen Hemisphäre die Todesursache Nummer eins dar. Diese Entwicklung zu bremsen, stellt eine Herausforderung dar, der wir uns alle stellen müssen. Dabei macht die Einschätzung des International Agency for Research on Cancer (IARC) und des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) etwas Mut, dass wir dieser Herausforderung nicht völlig machtlos gegenüberstehen. 37,4 % aller Krebserkrankungen in Deutschland sind vermeidbar, wenn die Krebsbehandlung verbessert und die Krebsvorsorge intensiviert wird, befindet das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg (Behrens et al 2018, Baumann 2018). Nach aktuellen Berechnungen können Vorbeugung und Früherkennung zusammengenommen die Krebssterblichkeit sogar um 50 bis 75 Prozent senken.
Bei der Krebsbehandlung gibt es beeindruckende Fortschritte. Die „Pipeline“ der forschenden Pharmaindustrie ist voll von vielversprechenden Krebsmedikamenten. Ihr zielgerichtetes Ansprechen kann heute dank dem besseren Verständnis der molekularen Ursachen von Krebserkrankungen und der Entwicklung prädiktiver molekularer Marker vorhergesagt werden. Individualisierte Therapiekonzepte lassen eine Fortsetzung dieser Entwicklung erwarten. Onkologika sind, mit 7 Milliarden Euro und einem durchschnittlichen Kostenanstieg von 8,3 % im Jahr, inzwischen die umsatzstärkste Indikationsgruppe der Pharmaindustrie. Die innovativen Krebstherapien können allerdings nicht die Anzahl der Neuerkrankungen drosseln. Dies kann allein die Vorbeugung, die Prävention.
Die vorliegende Reihe befasst sich nicht mit der Therapie, sondern mit der Krebsvorsorge. Diese konzentrierte sich in Deutschland bisher vornehmlich darauf, den Krebs so früh wie möglich zu erkennen. Es herrschte die Vorstellung, je früher der Krebs erkannt würde, umso höher würden die Heilungschancen sein. Dies „Dogma“ bedarf der Überprüfung, zumindest der kritischen Kommentierung.
Dank besserer Bildgebung, empfindlicherer Tumormarker, Genanalysen und der Analyse von Tumor-DNA im Blut (liquid biopsy) können wir Krebsgewebe heute zwar wesentlich eher erkennen, doch wissen wir nach wie nicht den tatsächlichen Nutzen hiervon. Würde man sie alle behandeln, könnten „gesunde Menschen“ zu Patienten werden, denn viele entfernten „bösartigen“ Tumore hätten nie Probleme bereitet. Laut einer australischen Studie geht man davon aus, dass etwa 20 % der bislang dank der Krebsvorsorge erkannten Diagnosen das Ergebnis einer Überdiagnostik sind (Glasziou et al 2019). Überdiagnosen sind Krebsdiagnosen bei Menschen, die nie Symptome oder Schäden erfahren hätten, wenn bei ihnen der Krebs unentdeckt und unbehandelt geblieben wäre. Je empfindlicher die Diagnostik, umso höher das Risiko einer Überdiagnostik.
Kritiker der Krebsvorsorge-Früherkennungs-Untersuchungen behaupten, dass der durch die derzeitig praktizierte Vorsorge- Früherkennung verursachte Schaden größer als der Nutzen sei. Dieser pauschalen Kritik stimmt die Buchreihe zwar nicht zu, sie warnt indes vor systematischen Vorsorge -Untersuchungen bei Gesunden ohne Erkrankungsrisiko. Screening-Untersuchungen sollten ihrer Meinung nach vorrangig bei Gefährdeten vorgenommen werden. Sie schlägt einen Paradigmenwechsel vor, nämlich hin zur risikoadaptierten Krebsvorsorge-Früherkennung, die dann aber mit wesentlich empfindlicheren (sensitiveren) und aussagekräftigeren (spezifischeren) Untersuchungsmethoden als derzeitig durchgeführt werden sollte.
Aus der Summe der Informationen über Erkrankungsrisiken könnte man ein persönliches Risikoprofil erstellen, das Empfehlungen ermöglicht, ob, wann und in welcher Intensität eine Krebsvorsorge-Früherkennung oder Vorbeugung sinnvoll ist. Viele unnötige Vorsorge-Untersuchungen würden sich so vermeiden lassen.
Besser als je zuvor wissen wir, welche Risiken für Krebs vermeidbar sind, wer ein höheres oder niedrigeres Erkrankungsrisiko hat. Die Kommentierung der Krebsrisiken und „Krebspromotoren“, die zur Aktivierung latenter Krebsgene und Krebszellen führen, macht einen Schwerpunkt dieser Reihe aus. Die Reihe stützt sich hierbei auf Studien, nach denen allein etwa 40 % aller in Deutschland neu diagnostizierten Karzinome auf einige wenige – aber weit verbreitete Lifestyle-Risiken zurückzuführen sind (Brenner und Mons 2018).
Aus Behrends, G et al.: Krebs durch Übergewicht, geringe körperliche Aktivität und ungesunde Ernährung. Dtsch Ärztebl 115, 35-36 (2018).
Die Bedeutung und die Möglichkeiten der Krebsvorbeugung werden unterschätzt. So herrscht weitgehend Unkenntnis darüber, dass die Abnahme des Gebärmutterhalskrebses nicht etwa nur auf die Früherkennung und präventiven Entfernung von Krebsvorstufen zurückgeführt werden kann, sondern auch eine Folge der besseren Sexualhygiene – und neuerdings der präventiven HPV-Impfung – ist. Nicht die Krebsvorsorge-Früherkennung, sondern der abnehmende Tabakabusus und die Vermeidung einer Asbestexposition führten zum Rückgang der Lungenkrebserkrankungen. Dass die Anzahl der Neuerkrankungen bei Darmkrebs gesunken ist, verdankt man zwar auch der Früherkennung von potenziellen Krebsvorstufen (Polypen), mehr aber deren präventiven Entfernung. Der signifikante Rückgang von Magenkarzinom ist eine Folge der besseren Ernährung und Konservierung von Lebensmitteln. Zu ihr trägt auch die Helicobacter Eradikation bei, nicht jedoch die Früherkennung. Der Rückgang von Leberkrebserkrankungen in der Dritten Welt ist eine Folge der Hepatitis-Impfung, nicht der Krebs-Früherkennung.
Allein die Umsetzung wissenschaftlich belegter Maßnahmen zur Vorbeugung würde eine vierzig- bis fünfzigprozentige Reduzierung aller Krebsneuerkrankungen zur Folge haben, erklären die Weltgesundheitsorganisation, der World Cancer Research Fund und das Deutsche Krebsforschungszentrum. Das Präventionspotential der Krebsvermeidung ist mit Sicherheit größer als das der Krebsfrüherkennung. Amerikanische Forscher behaupten, die Krebssterblichkeit in den USA sinke bereits jetzt dank der Reduzierung von Lifestylerisiken stärker als die Anzahl der Krebsneuerkrankungen zunehme (Islami et al 2018).
Der Herausgeber dieser Reihe verkennt nicht die Sinnhaftigkeit der Krebsfrüherkennung, plädiert jedoch für eine risikoadaptierte Individualisierung der Krebsvorsorge-Früherkennung. Das Plädoyer für „Individualisierung und Personalisierung“ schließt die Aufforderung an die forschende Industrie mit ein, Diagnose- und Behandlungsmethoden zu entwickeln, die passgenau den Bedürfnissen der einzelnen Patienten entsprechen. Es schließt auch die Aufforderung an die Ernährungsindustrie ein, bei der Herstellung und dem Vertrieb sowie der Werbung stärker die Krebsrisiken zu berücksichtigen, die man bislang bei den Nahrungsprodukten kennt.
Die vorliegende Reihe verdankt ihre Entstehung der zunehmenden Kritik an der derzeit praktizierten Krebsvorsorge (sekundäre Prävention), deren Nutzen in der Bevölkerung, aber auch der Ärzteschaft deutlich überschätzt wird, während die Möglichkeiten der Vorbeugung (primäre Prävention) unterschätzt werden.
Prof. Dr. med. H. Delbrück, Wuppertal, September 2020
Vorwort zu Bd. 7 „Übergewicht und Krebs“
Übergewicht galt lange als ein erstrebenswerter Zustand, verband man damit doch Wohlstand, Gesundheit, einen angenehmen Gemütszustand und Ansehen. Heute ist diese Denkweise nicht mehr angebracht, denn Übergewichtige werden eher diskriminiert als geachtet. Sie haben mit vielen psychosozialen und gesundheitlichen Nachteilen zu kämpfen. Zu den gesundheitlichen Handicaps gehört auch das erhöhte Krebsrisiko.
Wären in Deutschland alle Menschen normalgewichtig, so würden pro Jahr etwa 25.000 Personen weniger an Krebs erkranken, meinen die Experten des Deutschen Krebsforschungszentrums. Bei 6,9 % aller Krebserkrankungen soll Übergewicht ein entscheidender Einflussfaktor gewesen sein, sagen sie (Behrens et al 2018).
Die Weltgesundheitsorganisation betrachtet