Der Hungerturm. Michael ThumserЧитать онлайн книгу.
an.
Sie aber antwortete, nun ruhiger: Ich glaube, du wirst allein hingehen müssen.
Er stutzte einen Augenblick. Dann brauste er auf:
Das kommt gar nicht infrage,
und warf die Tür ins Schloss.
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Fast schüchtern trat sie durch die Glastür ein.
Eine elegante Angestellte kam auf sie zu: Guten Tag.
Guten Tag.
Darf ich Ihnen vielleicht …
Ich muss Herrn Güges selber sprechen.
Einen Augenblick, bitte. Die Angestellte verschwand durch eine Tür. Gleich darauf erschien Güges.
Guten Morgen, sagte er herzlich. Ich freue mich.
Sie entgegnete nichts. Er streckte ihr die Hand hin. Ich glaube, ich habe Sie noch nie als Kundin hier gesehen. Suchen Sie etwas Bestimmtes?
Sie sah ihn nicht an. Nein nein. Danke. Ich möchte Sie sprechen.
Bitte. Er ließ ihr den Vortritt ins Nebenzimmer. Nehmen Sie Platz. Etwas zu trinken?
Nein danke. Sie setzte sich auf die Couch.
Er nahm zwei Gläser, stellte eines vor sie hin und goss ein. Zum Wohl, sagte er. Aber sie trank nicht. Er sah sie an – freundlich, wie ihr schien, aber aufdringlich. Sie wandte den Blick ab.
Er ließ sich in einen Sessel nieder. Worum geht es?
Aber sie musste sich erst überwinden. Geben Sie es mir, sagte sie dann heiser und eine Spur zu leise.
Bitte?
Das Foto. Sie räusperte sich. Bitte geben Sie es mir zurück. Es gehört mir.
Er lachte kurz; aber nicht verlegen, schien ihr: er sah ihr dabei begütigend ins Gesicht. Liebe Frau Daules, Christian war schon hier, und ich habe ihm gesagt …
Sie fuhr auf: Es ist mir ganz egal, was … Dann bezwang sie sich. Verzeihen Sie. Ich weiß, was Sie Christian gesagt haben. Trotzdem bitte ich Sie: geben Sie es heraus.
Aber ich habe es doch überhaupt nicht.
Sie kreischte fast: Es gehört mir. Allein.
Ich würde ja gerne. Wenn ich es nur hätte.
Eine Pause entstand, die sie quälte. Sie griff nach dem Glas vor sich und drehte es zwischen den Fingern, ohne daraus zu trinken. Dann sah sie auf ihn und erschrak.
Mustern Sie mich nicht so!
Er verstand nicht. Aber ich bitte Sie …
Ich vertrage das nicht. Sehen Sie mich nicht so an. Nicht so!
Er war noch immer überrascht. Ich wüsste wirklich nicht, wie … Dann aber legte er seine Hand auf die ihre, die sie sofort zurückzog, als hätte er sie verbrannt.
Güges sagte ruhig: Christian hat mir berichtet, Sie fühlten sich nicht recht wohl seit dieser … Sache. Er versuchte ihr aufmunternd in die Augen zu sehen. Sie aber starrte erschrocken nach unten. Glauben Sie mir: das Bild kam mir ganz zufällig in die Hände, ich griff gedankenlos danach und sah kaum darauf. Ich gab es Christian sofort zurück, als ich … erfasste, was … Ich hab Sie gar nicht erkannt darauf.
Sie schüttelte den Kopf und bedeckte das Gesicht mit der Hand. Sie wollte sich noch zwingen, nicht zu weinen. Aber es gelang ihr nicht.
Er erschrak, verließ seinen Sessel und setzte sich neben sie. Zuckend rückte sie ab. Sacht legte er ihr eine Hand auf die Schulter: Frau Daules …
Sie aber schrie: Fassen Sie mich nicht an.
Aber …
Lassen Sie mich los!
Ich will Ihnen doch nur … Er zog die Hand zurück. Das Ganze ist eine dumme Geschichte, zugegeben, aber doch nur ein Missverständnis, ein Zufall. Kein Grund jedenfalls, sich das Leben schwer zu …
Plötzlich sprang sie auf: Lassen Sie mich in Ruhe! Sein Knie hatte an ihrem gelehnt. Sie sind ein … Unsinnige Wut schäumte in ihre Verzweiflung. Dass Sie sich nicht manchmal selbst …
Dann stürzte sie aus dem Zimmer und rannte durch den Ausstellungsraum. Eine Kundin sah ihr fragend nach.
Die meisten Gäste kamen zwischen sieben und halb acht. Güges ließ ihnen Sekt mit Orangensaft anbieten und verwies auf die Platten mit belegten Schnitten. Um dreiviertel acht sprach er einige Worte, stellte Christian und zwei andere Künstler, die gleichzeitig ausstellten, vor und redete mit den Leuten von der Presse.
Dann zog er Christian auf die Seite.
Mit deiner Frau ist heute kein Staat zu machen.
Nein, gab Christian zu. Gestern Mittag kam sie ganz aufgelöst nach Hause.
Du hättest sie erst hier erleben sollen.
Sie hat mir alles erzählt.
So. Und was?
Sie sagte, du hättest sie … angefasst.
Angefasst. Sagte sie das.
Es ist natürlich reiner Unsinn.
Güges grüßte ein Paar, das vorbeiging und ihm zunickte.
Sie wird sich zusammennehmen, beschwichtigte Christian.
Einige Minuten später stand Güges wie zufällig neben Ruth. Er nahm ihre Hand, die sie ihm drucklos überließ, und sagte: Ich bin noch nicht dazugekommen, Sie richtig zu begrüßen.
Sie schwieg.
Warum stehen Sie so allein? Er zeigte dorthin, wo Christian mit ein paar Leuten stand und angeregt sprach. Ich glaube, Ihr Mann hat heute Abend Gelegenheit, einige ganz wichtige Persönlichkeiten kennenzulernen. Das kann ihn weiterbringen.
Sie räusperte sich. Es ist voll und heiß.
Sie haben recht, räumte Güges ein. Die Hitze kommt von den starken Lampen. Haben Sie schon etwas gegessen?
Bitte lassen Sie mich.
Er aber strengte sich an. Ich kann Sie verstehen. Die Leute. Die meisten haben keine Ahnung und wohl auch kein Interesse, stehen, wie man so sagt, mit dem Rücken zur Kunst, und es ist furchtbar, ihnen zuhören zu müssen, wenn sie sich besonders gescheit unterhalten wollen. Aber man gewöhnt sich an sie. Man muss sich an sie gewöhnen. Kunst ist mein Geschäft: einige von den Damen und Herren, die uns hier auf die Nerven fallen, haben genug Geld, um meinen Laden leer zu kaufen. Es sind Kunden. Gute Kunden. Vielleicht die Käufer der Bilder Ihres …
Würden Sie mich jetzt, bitte, alleine lassen, unterbrach sie ihn heftig und strengte sich an, dabei leise zu bleiben.
Güges schloss kurz nach elf. Du hast gewonnen, sagte er zu Christian, der übers ganze Gesicht strahlte. Das war der große Erfolg.
Christians Wangen und Stirn waren gerötet. Er machte ein paar hastige Bewegungen. Ja. Es ließ sich gut an, sagte er dann und hatte Mühe, seine Begeisterung zurückzuhalten. Wir wollen es feiern, rief er, komm noch mit zu uns. Lass uns eine Flasche köpfen.
Gern, sagte Güges.
Ruth aber war erschrocken. Sie zog Christian ein paar Schritte auf die Straße und flüsterte ihm zu: Ich bitte dich, schick ihn fort. Nimm ihn um Himmels willen nicht mit zu uns.
Verblüfft sah Christian auf sie. Dann herrschte er sie an: Es ist genug, Ruth. Es reicht jetzt. Wir feiern mit ihm, weil wir Grund haben, mit ihm zu feiern. Er ist mein Freund und tut viel für mich. Und ich habe keine Lust, deine Feindschaften zu den meinen zu machen.
Er ließ sie stehen, und sie starrte ihm sprachlos nach.
Christian setzte sich ans Steuer. Ruth, neben ihm, sagte die Fahrt über kein Wort, aber die Männer sprachen viel und übermütig von dem, was nach dem Erfolg von heute